Angst

Autor: PD Dr. med. Gesche Tallen, Redaktion: Julia Dobke, Freigabe: Prof. Dr. med. U. Creutzig, Zuletzt geändert: 19.08.2020

Um Kindern und Jugendlichen in der Palliativversorgung bestmögliche Lebensqualität zu schaffen, muss ihnen dabei geholfen werden, Ängste beziehungsweise Stress abzubauen. Dazu ist es vor allem wichtig, die unterschiedlichen Ursachen und Anzeichen für Angst zu erkennen.

Ursachen von Angst

Eingeschränkte Aktivität, Schmerzen, das Gefühl, seines Körpers enteignet worden zu sein, weil so viele andere Menschen nun über ihn bestimmen, verursachen und schüren Ängste bei den Betroffenen. Auch die damit verbundene Hilflosigkeit, der Verlust des normalen Tagesablaufs und des gewohnten sozialen Umfelds, die Konfrontation mit dem Tod und viele andere Probleme können Angst bei den Betroffenen hervorrufen. Unabhängig von ihrer Entwicklungsstufe denken die Kinder- und Jugendlichen über die Art und Ursachen ihrer Krankheit nach. Dabei kommen sie auf ganz eigene Ideen. Oft fühlen sie sich schuldig und empfinden ihre Krankheit als Strafe. Regelmäßig erleben sie Gefühlskrisen, die die bisherigen Sorgen noch größer machen.

Auch spezielle körperliche Probleme und Beschwerden oder Nebenwirkungen von Medikamenten können Ursachen für Angst sein, wie beispielsweise:

  • Gehirntumoren
  • Stoffwechselstörungen (zum Beispiel Flüssigkeitsmangel, Mangel oder Überschuss an bestimmten Mineralien im Blut)
  • Schmerzen
  • Übelkeit und Erbrechen
  • Blutungen
  • bestimmte Medikamente (zum Beispiel Glukokortikoide).

Wichtig zu wissen: Die meisten Kinder und Jugendlichen drücken ihre Angst nicht direkt mit Worten aus. Stattdessen reagieren sie mit Abwehr. Diese Abwehrmechanismen können sich abhängig vom Krankheitsverlauf und vom Entwicklungsstadium des Patienten unterscheiden und Angst kaschieren.

Zeichen der Angst in unterschiedlichen Stadien der Erkrankung

Während viele Kinder und Jugendliche zu Beginn einer lebensbedrohlichen Erkrankung, das heißt etwa zum Zeitpunkt der Diagnosestellung, diese zunächst erfolgreich verdrängen, reagieren sie bei fortgeschrittener Krankheit oft eher überempfindlich auf die meisten Ereignisse in ihrer Umgebung. Meistens ziehen sich dabei unbewusst in ein früheres Entwicklungsstadium zurück, die sogenannte „Regression“. Dieser Rückzug kann beispielsweise durch ein gesteigertes Trotz- und aggressives Verhalten gegenüber der Umwelt und sich selbst, Wieder-einnässen oder wiederholte Ausbrüche von Wut und Verzweiflung auffallen. Zum Lebensende hin kommt es immer seltener zu solchen intensiven Abwehrreaktionen. Deshalb ist es für die Angehörigen und Versorgenden nicht immer einfach zu ergründen, ob nach wie vor Angstgefühle bestehen oder nicht. Erhält der Patient in dieser Phase keinen ausreichenden emotionalen und psychologischen Schutz, kann es sein, dass er sich innerlich vollständig abkapselt. Damit eine solche Isolation nicht eintritt, brauchen die Patienten ganz besonders in dieser Zeit sowohl die lindernde Therapie für bestehende Beschwerden als auch eine kontinuierliche, intensive emotionale Unterstützung.

Zeichen der Angst in unterschiedlichen Altersgruppen

Folgende Altersgruppen äußern ihre Angst häufig durch bestimmte Verhaltensweisen beziehungsweise Abwehrmechanismen, die entsprechend ernst genommen werden müssen:

Kleinkinder

Sind oft lustlos, zunehmend inaktiv, nässen wieder ein und ziehen sich innerlich zurück.

Kinder im Vorschulalter

Zeigen häufig Trennungsängste, eine verminderte Frustrationstoleranz (das heißt, sie fangen eher an zu weinen oder werden schneller wütend als sonst), Traurigkeit und Gleichgültigkeit.

Schulkinder (7 - 11 Jahre)

Verleugnen ihre Krankheit oft, indem sie sie ignorieren, verlieren gleichzeitig an Selbständigkeit und suchen verstärkt nach Aufmerksamkeit, Zuwendung und Versorgung. Sie fürchten vor allem um die Unversehrtheit ihres Körpers (sogenannte "Verstümmelungsangst").

Jugendliche

Verhalten sich oft rebellisch und aggressiv. Ihre Ängste beziehen sich häufig auf das Verlieren ihrer Selbständigkeit (Autonomie) und das Ausgegrenztsein aus dem Freundeskreis.

Maßnahmen zum Abbau von Ängsten

Bevor das Versorgungsteam entscheidet, ob eine bestimmte, beispielsweise medikamentöse Behandlung der Angst angezeigt ist, wird es zunächst die mögliche(n) Ursache(n) (s.o.) erfassen und versuchen zu beheben.

Allgemeine und psychologische Methoden (nicht medikamentöse Behandlung)

Beim Abbau von Angst können folgende nicht-medikamentöse Maßnahmen hilfreich sein:

  • für uneingeschränkten Kontakt zwischen Eltern/ anderen wichtigen Bezugspersonen und Patient sorgen
  • eine Umgebung schaffen, die den emotionalen und medizinischen Bedürfnissen des Patienten angepasst ist (für die meisten Betroffenen ist es das eigene Zuhause)
  • offen und sensibel mit dem Patienten umgehen (ausreichend informieren, ehrlich auf alle Fragen antworten)
  • mangelnden Gesprächsbedarf seitens des Patienten über dessen Angst respektieren/ möglichst keine aktiven Gespräche über die Angst veranlassen (kann oft noch mehr Abwehr auslösen)

Oft ist es förderlich, den Patienten selbst entscheiden zu lassen, wann und wem er sich anvertrauen möchte. Die meisten schwerkranken Kinder und Jugendlichen sprechen nicht gerne mit ihren Eltern über ihre Sorgen. Deshalb ist es besonders wichtig, ihnen die Möglichkeit zu geben, mit anderen, neutralen, Beteiligten wie Psychologen zu sprechen. Darüber hinaus können bestimmte Entspannungsmaßnahmen wie Atemtherapie oder auch beschäftigungs- und verhaltenstherapeutische Methoden dabei helfen, den Patienten von Ängsten zu befreien.

Behandlung mit Medikamenten

Werden die Ängste so stark, dass sie wichtige Aspekte der Lebensqualität wie zum Beispiel selbständiges Handeln und Kommunikation deutlich einschränken, können auch bestimmte, angstlösende Medikamente (sogenannte Anxiolytika) verabreicht werden. Dabei wird der Kinderarzt gemeinsam mit dem Patienten und seinen Eltern den Nutzen und unerwünschte Nebenwirkungen sorgfältig gegeneinander abwägen. Sind alle einverstanden mit einer Behandlung mit Anxiolytika (beispielsweise mit Benzodiazepinen), wird diese jedoch meist nur für kurze Zeit durchgeführt. Sie sollte immer durch nichtmedikamentöse Maßnahmen (s.o.) ergänzt werden.