Chemotherapie

Autor: Dipl.-Biol. Maria Yiallouros, erstellt am: 07.05.2012, Zuletzt geändert: 02.11.2016

Die Chemotherapie ist eine Behandlung mit zellwachstumshemmenden Medikamenten, so genannten Zytostatika. Sie zielt darauf ab, Krebszellen in ihrem Wachstum zu stoppen oder zu vernichten. Da die Chemotherapie Tumorzellen überall im Körper bekämpfen kann, wird sie auch als "systemische Therapie" bezeichnet.

Eine systemische Chemotherapie wird beim Retinoblastom grundsätzlich in Ergänzung zu anderen Therapieverfahren eingesetzt, um deren Wirkung zu steigern oder um den Behandlungserfolg zu festigen. In der Regel kommen mehrere Zytostatika gleichzeitig zur Anwendung (Polychemotherapie). Die Medikamente werden über eine Vene (intravenös) verabreicht. Sie verteilen sich über die Blutbahn im gesamten Körper und erreichen so auch die Blutgefäße des Tumors, um hier wirksam zu werden.

Da bei Patienten mit Retinoblastom nach alleiniger Chemotherapie allerdings häufig Krankheitsrückfälle (Rezidive) auftreten, muss jeder Tumor zusätzlich lokal, also zum Beispiel durch Operation oder Strahlentherapie, behandelt werden.

Es gilt als gesichert, dass eine Polychemotherapie eine Verkleinerung der Tumoren bewirkt, jedoch keine vollständige Tumorzerstörung erzielt. Eine Heilung der Krebserkrankung allein durch die Gabe von Zytostatika ist meist nicht möglich [JUR2007].

Welche Patienten erhalten eine Chemotherapie?

In den letzten Jahren hat sich die Bedeutung der Chemotherapie für die Behandlung von Retinoblastom-Patienten gewandelt. Während zellwachstumshemmende Medikamente ursprüngllich vor allem bei fortgeschrittener Erkrankung (also bei einer Tumorausdehnung über den Augapfel hinaus) eingesetzt wurden, kommen sie heute zunehmend auch bei intraokularer Erkrankung zur Anwendung, das heißt bei Retinoblastomen, die noch auf das Auge begrenzt sind.

Mit dieser Strategieänderung wird unter anderem das Ziel verfolgt, bei möglichst vielen Patienten die perkutane Strahlentherapie und, soweit möglich, auch die Entfernung des Augapfels zu vermeiden [SHI2002] [BEL2003].

Eine Indikation zur Chemotherapie besteht zum Beispiel bei Patienten mit:

  • einer Infiltration des Sehnervs (Nervus opticus),
  • einer tiefen Infiltration der Aderhaut,
  • einen Beteiligung des Zentralnervensystems oder bei
  • Vorliegen von Fernmetastasen.

Die Behandlung erfolgt in der Regel im Anschluss an die Operation, in manchen Fällen aber auch vor oder gar an Stelle einer Operation (siehe unten).

Chemotherapie bei Befall des Sehnervs oder der Aderhaut (adjuvante Chemotherapie)

Eine ergänzende (adjuvante) Behandlung mit Zytostatika ist immer dann angezeigt, wenn sich nach der Entfernung des Augapfels (Enukleation) ein Tumorbefall der Aderhaut oder des Sehnervs nachweisen lässt und somit die Gefahr besteht, dass der Tumor bereits außerhalb des Auges gestreut hat. Die Chemotherapie hat dann das Ziel, eventuell im Körper verbliebene Tumorzellen zu vernichten und damit die Heilungschancen zu verbessern.

Chemotherapie zur Verkleinerung intraokularer Tumoren (Chemoreduktion)

Die Chemotherapie kann bei größeren Tumoren auch als Ersttherapie mit dem Ziel der Tumorverkleinerung (so genannte Chemoreduktion) eingesetzt werden, um anschließend eine lokale Behandlung (Kryotherapie, Laserkoagulation oder Brachytherapie) möglich zu machen [BOR1997b]. Dadurch kann in Einzelfällen eine perkutane Strahlentherapie oder Enukleation vermieden werden.

Chemotherapie in Kombination mit anderen Therapieformen

Die Chemotherapie kann auch mit anderen Therapieformen kombiniert werden, um die Wirkung der Behandlung zu steigern:

  • Bei der so genannten Thermochemotherapie zum Beispiel wird nach Gabe eines Zytostatikums (Carboplatin) das Tumorgewebe durch Laserstrahlung etwa 10 bis 20 Minuten lang erwärmt (Hyperthermie). Die Wirksamkeit der Chemotherapie auf die Tumorzellen kann dadurch so weit verbessert werden, dass eine vollständige Zerstörung des Tumors möglich wird. Diese Form der Therapie ist allerdings nur bei kleinen Tumoren (unter 4 mm Größe) wirksam [SCH2003k].
  • Liegt eine begrenzte Glaskörperaussaat vor, kann versucht werden, durch eine Kältebehandlung (Kryotherapie) der Netzhaut, die circa 24 Stunden vor der Chemotherapie durchgeführt wird, die Wirkstoffkonzentration der Medikamente im Auge zu erhöhen (pre-chemo-cryo).

Liegt eine begrenzte Glaskörperaussaat vor, kann versucht werden, durch eine Kältebehandlung (Kryotherapie) der Netzhaut, die circa 24 Stunden vor der Chemotherapie durchgeführt wird, die Wirkstoffkonzentration der Medikamente im Auge zu erhöhen (pre-chemo-cryo).

Chemotherapie bei Ausdehnung des Tumors in die Augenhöhle und bei Fernmetastasen

Ist bereits die Augenhöhle befallen oder liegen Metastasen vor, kann eine ergänzende (adjuvante) Chemotherapie nach der Operation (eventuell in Kombination mit einer Strahlentherapie) dazu beitragen, die Überlebensrate der Patienten zu verbessern.

Wie und mit welchen Medikamenten wird die Chemotherapie durchgeführt?

Um eine möglichst große Wirkung gegen die bösartigen Zellen zu erzielen und um die Nebenwirkungen der Behandlung zu reduzieren, wird die Chemotherapie mit mehreren Zytostatika‎ gleichzeitig durchgeführt (Polychemotherapie). Die am häufigsten eingesetzten Medikamente beim Retinoblastom sind Cyclophosphamid, Carboplatin, Etoposid und Vincristin.
Die Verabreichung der Zytostatika erfolgt in mehreren Zyklen (Blöcken). Der Vorteil einer solchen Intervallbehandlung liegt darin, dass Krebszellen, die während des ersten Zyklus nicht erfasst werden, in einer der nachfolgenden Behandlungsphasen vernichtet oder am Wachstum gehindert werden können.

Bei Retinoblastompatienten besteht die Behandlung (zum Beispiel nach einer Enukleation oder auch präoperativ zur Verkleinerung des Tumors) derzeit meist aus sechs Chemotherapie-Zyklen. Dabei erfolgt alle drei Wochen eine zweitägige Behandlung mit jeweils drei Medikamenten aus vier verschiedenen Substanzgruppen, die unterschiedlich kombiniert werden. Zwischen den Therapiephasen liegen Behandlungspausen, die dem Körper die Möglichkeit geben, angegriffenes gesundes Gewebe zu regenerieren. Besser als bösartige Zellen sind gesunde Zellen nämlich in der Lage, die durch die Chemotherapie verursachten Schäden an ihrer Erbinformation zu erkennen und zu reparieren.

Wie werden die Medikamente verabreicht?

Die Zytostatika werden meist als Infusionen in eine Vene verabreicht. Beim ersten Chemotherapiezyklus kann dazu gegebenenfalls eine kleinere (periphere) Vene auf dem Handrücken oder am Unterarm mittels einer Hohlnadel (Kanüle) angestochen (punktiert) werden. Diese Hohlnadel (beispielsweise eine Braunüle) wird dann meist einige Zeit an Ort und Stelle belassen.

Bei mehr als einem Chemotherapie-Block und/oder auch bei sehr kleinen Kindern wird nach Möglichkeit ein zentraler Venenkatheter eingesetzt (Broviac-Katheter, Hickman-Katheter oder Port-Katheter), der vor Beginn der Behandlung in einer kleinen Operation unter Narkose implantiert wird.

Der Einsatz eines solchen zentralen Verweilkatheters ist mit vielen Vorteilen verbunden; unter anderem können sämtliche Zytostatikagaben und Blutentnahmen (mit Ausnahme des Fingerpieks), der Ersatz von Blutprodukten, die Wässerung der Nieren sowie die unterstützende Behandlung mit Medikamenten (zum Beispiel gegen Übelkeit oder zur Vorbeugung von Infektionen) über diesen Katheter erfolgen. Ein wiederholtes Anstechen peripherer Venen wird dadurch vermieden. Hier finden Sie weitere Informationen zur Katheterimplantation.

Wichtig bei blinden Kindern

Soll bei einem blinden Kind die Zytostatikagabe über eine periphere Vene auf dem Handrücken erfolgen, so ist wichtig, dass bei Rechtshändern die linke und bei Linkshändern die rechte Hand dafür genutzt wird. Auf diese Weise besteht im Falle eventueller Komplikationen keine Gefahr für das Lesen der Blindenschrift (Braille).

Welche Nebenwirkungen hat die Chemotherapie und welche Möglichkeiten zur Vorbeugung und Behandlung gibt es?

Die Chemotherapie schädigt nicht nur die Krebszellen, sondern auch gesunde Zellen, die sich häufig und schnell teilen (zum Beispiel Zellen der Mund- und Darmschleimhaut, Haarwurzel- und Knochenmarkzellen). Dadurch kommt es im Laufe der Behandlung unvermeidlich zu einer Reihe von Nebenwirkungen, die das Wohlbefinden und die Gesundheit des Patienten beeinträchtigen. Je nach Art und Dosierung der Medikamente sind die Begleiterscheinungen aber unterschiedlich stark. Wichtig zu wissen ist auch, dass nicht alle Patienten in gleicher Weise auf die Chemotherapie reagieren. Das heißt: Nicht alle der Nebenwirkungen, die im Folgenden aufgeführt werden, treten bei jedem Patienten auf. Darüber hinaus empfindet jeder Patient einzelne Nebenwirkungen unterschiedlich stark.

Zu den häufigsten Nebenwirkungen einer Zytostatikabehandlung zählen Störungen im Verdauungstrakt, Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle sowie Haarausfall. Auch die Bildung gesunder roter und weißer Blutkörperchen und Blutplättchen kann durch die Knochenmark schädigende Wirkung der Zytostatika beeinträchtigt sein. Durch den daraus resultierenden Mangel an Blutzellen kann es zu einer akuten, unter Umständen lebensbedrohlichen Infektionsgefahr sowie zu erhöhter Blutungsneigung und Blutarmut kommen. Ferner können Nieren, Gehör, Gehirn und Nervensystem, Leber und Lunge sowie die männlichen und weiblichen Keimdrüsen – die Eierstöcke und die Hoden – in ihrer Funktion gestört werden.

Um den Folgen der Erkrankung und den Nebenwirkungen der Chemotherapie vorzubeugen oder diese zu behandeln, wird das Behandlungsteam verschiedene unterstützende Behandlungsmaßnahmen (Supportivtherapie) ergreifen:

  • Während der Therapie auftretende Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Entzündungen der Mund- und Darmschleimhaut lassen sich mit Hilfe von Medikamenten wirksam bekämpfen oder lindern.
  • Der Haarausfall bildet sich meist drei bis sechs Monate nach Therapieende vollständig zurück.
  • Zur Vorbeugung oder Behandlung von Infektionen wird der Arzt Medikamente gegen bestimmte Bakterien (Antibiotika), Pilze und gegebenenfalls Viren verordnen. Manchmal wird auch ein Medikament (Wachstumfaktor G-CSF) verabreicht, das die Bildung der weißen Blutzellen anregt, die eine wichtige Rolle bei der Krankheitsabwehr spielen.
  • Fehlende rote Blutzellen (Anämie) oder Blutplättchen (Thrombozytopenie) können durch die Gabe entsprechender Blutkonserven (Erythrozyten- und Thrombozytenkonzentrate) ersetzt werden.
  • Um einer Beeinträchtigung der Organe vorzubeugen, werden während der Medikamentengabe oft große Mengen an Flüssigkeit zugeführt, um die Zytostatika aus dem Körper zu spülen und insbesondere den Schaden für die Niere so klein wie möglich zu halten. Während und nach der Behandlung helfen regelmäßige Untersuchungen, eine eventuelle Schädigung der Organsysteme rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln.

Hier erhalten Sie weitere, ausführliche Informationen zur Supportivtherapie.

Auch der Patient selbst beziehungsweise seine Angehörigen können durch verschiedene (vorbeugende) Maßnahmen dazu beitragen, Nebenwirkungen zu mildern und Komplikationen so gut wie möglich zu vermeiden. Entsprechende Empfehlungen (zum Beispiel zur Ernährung, zur Vorbeugung von Infektionen, im Umgang mit Blutungen oder zur Linderung behandlungsbedingter Nebenwirkungen) finden Sie in unserem Text „Empfehlungen für zu Hause (während oder nach der Chemo-​ und Strahlentherapie)“. Individuelle Empfehlungen erhalten Sie von Ihrem Behandlungsteam.

Neben akuten Folgen der Chemotherapie muss unter Umständen auch mit verschiedenen Spätfolgen der Behandlung gerechnet werden. Informationen dazu finden Sie im Kapitel „Spätfolgen“.