Infektionen

Autor: Dr. med. habil. Gesche Tallen, Maria Yiallouros, erstellt am: 15.04.2013, Redaktion: Maria Yiallouros, Freigabe: PD Dr. med. S. Voigt, Zuletzt geändert: 05.06.2020

Die Luft, die wir einatmen, die Nahrung, die wir zu uns nehmen, die Hände, die wir schütteln, die Dinge, die wir anfassen – alles, mit dem wir im täglichen Leben in Berührung kommen, enthält Bakterien, Viren, Pilze und andere Organismen, die Infektionen auslösen können.

Für einen gesunden Menschen mit einem normalen körpereigenen Abwehrsystem (Immunsystem) sind diese alltäglichen Auseinandersetzungen mit Infektionsquellen in der Regel kein großes Problem. Das gesunde Immunsystem sorgt ununterbrochen dafür, dass der Körper einerseits vor Infektionen geschützt wird und andererseits eingedrungene Infektionserreger erfolgreich vernichtet werden. Bei Patienten, die eine hämatopoetische Stammzelltransplantation (HSZT) erhalten haben, sieht das allerdings ganz anders aus, denn ihre Immunabwehr ist durch die Behandlung geschwächt. Wie lange diese Immunschwäche andauert, hängt insbesondere von der Art der Transplantation (autolog oder allogen) ab.

Prinzipiell besteht eine erhöhte Infektgefährdung in den Phasen unmittelbar vor und nach der Transplantation durch die Hochdosistherapie. Bei Patienten, die eine allogene Stammzelltransplantation erhalten, hält die Gefahr für Infektionen länger an, denn sie erhalten zusätzliche Medikamente zur Unterdrückung ihres Immunsystems. Diese so genannte Immunsuppression soll verhindern, dass das Transplantat abgestoßen wird.

Mögliche Infektionsursachen im Überblick

Infektionen treten auf, wenn das körpereigene Abwehrsystem des Patienten nicht richtig funktioniert oder geschwächt ist. Eine behandlungsbedingte Verletzung von Haut und Schleimhäuten kann das Eindringen von Krankheitserregern zusätzlich erleichtern. Im Rahmen einer HSZT gibt es verschiedene Ursachen für eine gestörte Infektabwehr. Dazu gehören

nach autologer und allogener HSZT:

  • eine verringerte Anzahl weißer Blutkörperchen, zum Beispiel während der Phase der Knochenmarkaplasie
  • Schleimhautschäden (Mukositis) in Mund und Magen-Darm-Trakt infolge der Hochdosistherapie
  • Fremdkörper wie Venenverweilkatheter oder Urinkatheter

nur nach allogener HSZT:

  • eine verringerte Anzahl weißer Blutkörperchen infolge der immunsuppressiven Vorbeugung / Behandlung der Spender-gegen-Empfänger-Reaktion
  • eine gestörte Funktionen der weißen Blutkörperchen, insbesondere der T-Lymphozyten und B-Lymphozyten
  • ein zahlenmäßiges Ungleichgewicht zwischen jenen weißen Blutkörperchen, die Abwehrreaktionen ausführen und jenen, die solche Abwehrreaktionen unterdrücken
  • eine verzögerte Regeneration des Knochenmarks durch eine Spender-gegen-Empfänger-Reaktion

Infektionen in der Frühphase nach Stammzelltransplantation (etwa bis Tag+30)

Die ersten Wochen nach der Hochdosistherapie (Konditionierung) und der Stammzelltransplantation sind durch einen ausgeprägten Mangel an weißen Blutzellen (Leukozyten), roten Blutzellen (Erythrozyten) und Blutplättchen (Thrombozyten) gekennzeichnet. Grund dafür ist die herabgesetzte Knochenmarkfunktion, die so genannte Knochenmarkaplasie. Sie kann durchschnittlich zwei bis vier Wochen anhalten, bevor sie, mit dem Anwachsen der neuen Stammzellen und der Wiederaufnahme der Blutbildung, in die so genannte Regenerationsphase übergeht (siehe hierzu auch die Informationen zu Aplasie-Phase und Regenerationsphase).

Während der Mangel an Thrombozyten und Erythrozyten durch geeignete Transfusionen ausgeglichen werden kann, lässt sich die Funktion der Leukozyten durch eine Transfusion nicht in ausreichendem Maße ersetzen. Am gravierendsten ist in dieser Phase der Mangel an Granulozyten, einer Untergruppe der Leukozyten, die als so genannte Fresszellen vor allem für die Bekämpfung von Bakterien und Pilzen zuständig sind. Damit beginnt eine Phase der deutlich erhöhten Anfälligkeit für Infektionen. Behandlungsbedingte Schleimhautschäden im Mund- und Darmbereich erleichtern zusätzlich das Eindringen von Krankheitserregern.

Häufige Krankheitserreger

Folgende Arten von Infektionen kommen in dieser Phase am häufigsten vor:

  • Infektionen durch Haut- und Darmbakterien
  • Infektionen durch Schimmelpilze (Aspergillus) und Hefepilze (Candida spezies)
  • Infektion durch Herpes-simplex-Viren

Die Hauptinfektionsquelle ist der Darm. Seltener werden Krankheitserreger über die Nahrung oder eine andere Person übertragen.

Vorbeugende Maßnahmen

Obwohl es leistungsfähige Antibiotika, Antipilzmittel (Antimykotika) und Virusmedikamente (Virostatika) gibt, die zum Teil auch vorbeugend verabreicht werden, stellt diese Periode eine Gefährdung für die Patienten dar, die nicht unterschätzt werden darf. Aus diesem Grund wurden wichtige Schutzmaßnahmen entwickelt.

Die wirksamste Maßnahme ist die Unterbringung des Patienten in einem so genannten "Sterilzimmer". Eine bedeutende Rolle spielen in diesem Zusammenhang:

  • Filterluftanlagen ("Laminar-Airflow-Einheiten") in den Patientenzimmern
  • die Sterilisation oder Desinfektion aller Dinge, die in das Patientenzimmer gebracht werden
  • eine keimarme Ernährung
  • Zugang für die Angehörigen nur mit spezieller Schutzkleidung und Mundschutz sowie nach gründlicher und regelmäßiger Hände-Desinfektion
  • die Vermeidung von Kontakt zu bestimmten Pflanzen oder Tieren
  • besonders aufbereitete Erythrozyten- und Thrombozytenkonzentrate für eventuell notwendige Transfusionen

Gut zu wissen: Einzelheiten zu diesen und weiteren Schutzmaßnahmen erhalten Sie von Ihrem Transplantatationsteam.

Behandlung von Infektionen

Trotz all dieser Maßnahmen treten bei den meisten Patienten in der Zeit der Knochenmarkaplasie Fieberphasen als Zeichen einer Infektion auf. Da die Ärzte zunächst immer von einer bakteriellen Infektion ausgehen, werden unverzüglich Antibiotika über den Venenverweilkatheter [zentraler Venenkatheter] verabreicht. In der Regel handelt es sich zunächst um Breitspektrumantibiotika, die gegen verschiedene Bakterien‎ wirksam ist. Wenn sich ein bestimmter Erreger feststellen lässt, kann die Antibiotika-Therapie entsprechend angepasst werden. Ist der zentrale Venenkatheter Ausgangspunkt der Infektion, muss er in der Regel umgehend entfernt beziehungsweise ersetzt werden.

Infektionen durch Fadenpilze (Schimmelpilze, Aspergillus) und Hefepilze (Candida-Arten) führen häufig zu Lungenentzündungen oder Blutvergiftungen. Sie sind prinzipiell lebensbedrohlich, daher erhält der Patient bereits vorbeugend bestimmte Medikamente. Wird trotz der Prophylaxe eine Pilzinfektion der Lunge festgestellt, zum Beispiel bei einer Röntgenuntersuchung des Brustkorbs, werden andere Pilzmedikamente gegeben. Die Mehrzahl der Pilzinfektionen lässt sich dadurch erfolgreich behandeln.

Herpes-simplex-Viren sind bei vielen Patienten schon im Körper und werden, wenn das Immunsystem geschwächt ist, häufig reaktiviert. Es bilden sich dann Bläschen oder offene Stellen im Mund, die mit erheblichen Schluckbeschwerden einhergehen können. Um schwere Schleimhautschäden infolge einer Virusinfektion beziehungsweise Virusreaktivierung zu verhindern, erhalten alle Patienten eine vorbeugende Therapie mit Aciclovir. Wenn sich trotz dieser Behandlung Herpes-simplex-Viren zeigen, werden andere Virusmedikamente eingesetzt.

In den meisten Fällen klingen vor allem bakterielle Infektionen mit der Regeneration des Knochenmarks, also ungefähr vier Wochen nach der Transplantation, wieder ab. Die transplantierten Stammzellen sind dann in der Lage, ausreichend eigene, funktionierende Abwehrzellen (in erster Linie Granulozyten) zu bilden.

Gut zu wissen: Lebensbedrohliche Infektionen zur Zeit der Knochenmarkaplasie sind insgesamt selten.

Später auftretende Infektionen

Die Infektionsgefahr ist mit der Erholung der Granulozytenzahlen (in der Regenerationsphase) noch nicht vorüber. Zwar sinkt das Risiko für bakterielle Infektionen, es besteht aber noch über längere Zeit eine große Gefahr, an Viren-, Pilz- und Parasiteninfektionen zu erkranken. Grund dafür ist die verzögerte Regeneration der T-Lymphozyten; das sind jene Abwehrzellen, die für die gezielte Bekämpfung von Krankheitserregern und für das Immungedächtnis zuständig sind.

Die meisten Infektionen treten innerhalb von drei Monaten nach der Transplantation auf. Im Vordergrund stehen so genannte opportunistische Infektionen. Das sind Infektionen, die einem gesunden Menschen wenig anhaben können, die aber bei einem Patienten mit geschwächtem Abwehrsystem lebensbedrohlich verlaufen können.

Bei Patienten, die eine allogene Stammzelltransplantation erhalten, ist dieser Immundefekt deutlich ausgeprägter und anhaltender als bei Patienten nach autologer Stammzelltransplantation. Das hängt damit zusammen, dass sie während der Konditionierungsbehandlung und nach der Transplantation Medikamente erhalten, die das Immunsystem unterdrücken (Immunsuppression). Damit sollen Abstoßungsreaktionen wie zum Beispiel die akute Spender-gegen-Empfänger-Reaktion (Graft-versus-Host-Disease, GvHD) vermieden oder abgeschwächt werden (siehe Kapitel GvH-Krankheit).

Wenn sich eine chronische Spender-gegen-Empfänger-Reaktion entwickelt, die eine länger dauernde immunsuppressive Therapie erforderlich macht, besteht die Infektgefährdung oft über Monate hinaus, also auch dann noch, wenn der Patient bereits aus der Klinik entlassen ist.

Häufige Krankheitserreger

Am bedeutsamsten innerhalb der ersten Monate nach der Stammzelltransplantation sind Infektionen, die durch verschiedene Pilze (wie Faden- oder Hefepilze) und Viren ausgelöst werden.

Zu letzteren gehören beispielsweise Herpes-simplex-Viren, das Varizella-Zoster-Virus, das Epstein-Barr-Virus sowie das Zytomegalie-Virus. Diese Viren werden in der Regel nicht erst zu diesem Zeitpunkt von außen übertragen, sondern befinden sich infolge früherer, meist harmloser Infektionen schon länger im Körper des Patienten, allerdings in inaktiver Form. Durch die gedämpfte Abwehrlage des Patienten werden sie wieder angeregt und können vor allem lebensbedrohliche Lungenentzündungen (Pneumonien) hervorrufen.

Weitere Infektionserreger können seltenere Organismen wie Toxoplasma gondii (ein einzelliger Parasit und Erreger der Toxoplasmose) oder Pneumocystis jirovecii sein, die ebenfalls zu Lungen- oder auch Hirnhautentzündungen (Meningitiden) führen können.

Vorbeugung und Behandlung

Der Vorbeugung solcher Infektionen dienen, in der frühen Transplantationsphase, zunächst wiederum die beschriebenen Schutzmaßnahmen (siehe oben). Darüber hinaus wird aber noch über einen längeren Zeitraum nach der Transplantation die rechtzeitige und regelmäßige Einnahme von Medikamenten empfohlen, die sich gegen Viren (Virostatika) und Pilze (Antimykotika) richten. Zum Einsatz kommen weitere antibiotische Medikamente sowie bestimmte Eiweißsubstanzen, die die körpereigene Abwehr unterstützen (Immunglobuline). Durch die geschilderten vorbeugenden und therapeutischen Maßnahmen konnten infektionsbedingte tödliche Komplikationen der Stammzelltransplantation deutlich verringert werden.