Zytostatika-Substanzgruppen

Autor: Dr. med. habil. Gesche Tallen, Julia Dobke, Redaktion: Maria Yiallouros, Zuletzt geändert: 05.06.2020

Zytostatika werden aufgrund ihrer chemischen Struktureigenschaften und der damit einhergehenden zellwachstumshemmenden Wirkung sowie typischen Nebenwirkungen unterschiedlichen Substanzgruppen (Stoffklassen) zugeteilt.

Im Folgenden erhalten Sie allgemeine Informationen zu den einzelnen Stoffklassen, zu denen die verschiedenen Zytostatika gehören.

Die aufgeführten Wirkstoffe innerhalb der verschiedenen Substanzgruppen beschränken sich auf Wirkstoffe, die in der Krebsheilkunde bei Kindern und Jugendlichen verwendet werden können.

Für diese Wirkstoffe entsteht derzeit ein Zytostatika-Glossar.

Wie die unterschiedlichen Wirkstoffe dosiert und verabreicht werden, welche Nebenwirkungen vorkommen und wie diesen vorgebeugt und/oder wie sie behandelt werden, finden Sie im Einzelnen im Zytostatika-Glossar und auf den Seiten für die Behandlung von Nebenwirkungen und Komplikationen.

Pflanzliche Produkte

Pflanzliche Zytostatika werden aus immergrünen Pflanzen gewonnen. Sie werden schon seit 1960 erforscht und gehören zu den ältesten bekannten Zellgiften. Heute werden die Substanzen vorwiegend synthetisch hergestellt.

Vinca-Alkaloide

Vinca-Alkaloide werden aus dem so genannten Madagaskar-Immergrün (Catharanthus roseus/Vinca rosea) hergestellt. Sie behindern die Zelle)n in der Zellteilungsphase (Mitose), indem sie durch Bindung an bestimmte Eiweiße (Tubulin) den Aufbau des Spindelapparates, der aus fadenförmigen Eiweißbausteinen besteht, in der Zelle verhindern (Mitosehemmer). Diese Spindelfasern sorgen normalerweise dafür, dass sich das verdoppelte Erbmaterial gleichmäßig auf die beiden neu entstehenden Zellen verteilt. Wenn das nicht mehr möglich ist, kann die Zelle sich nicht regulär teilen und stirbt ab.

Zu den Vinca-Alkaloiden gehören diese Substanzen:

Epipodophyllotoxine

Diese pflanzlichen Substanzen werden aus dem so genannten Podophyllotoxin hergestellt, das in den Wurzeln der immergrünen Pflanze Podophyllum peltatum vorkommt. Podophyllotoxine greifen in die Ruhe- und die Synthesephase des Zellzyklus ein. Sie können die Zellteilung verhindern und zum Zelltod führen, indem sie das Enzym Topoisomerase II hemmen, das normalerweise beim Aufbau der Erbsubstanz DNA hilft. Dadurch kommt es zu Brüchen in den DNA-Strängen, die die Zelle nicht mehr reparieren kann. Podophyllotoxine können außerdem dazu führen, dass freie Radikale entstehen, die ebenfalls zytostatische Wirkung haben.

Zu den Epipodophyllotoxinen gehören:

  • Etoposid (VP-16)
  • Teniposid (VM-26)

Camptothecine

Camptothecine sind stickstoffhaltige Naturstoffe, die vom Camptothecin-Baum aus bestimmten Aminosäuren gebildet werden. Camptothecine haben im Prinzip dieselbe Wirkung wie die Epipodophyllotoxine (siehe oben); das heißt, auch sie führen zu Brüchen in der DNA, verhindern Reparaturmechanismen und führen folglich zur Verhinderung der Zellteilung und zum Zelltod. Allerdings geschieht dies hauptsächlich durch Hemmung des Enzyms Topoisomerase I.

Zu den Camptothecinen gehören:

  • Topotecan
  • Irinotecan

Antibiotische Substanzen

Unter antibiotischen Substanzen (Antibiotikum) versteht man im Allgemeinen die natürlichen Stoffwechselprodukte von kleinsten Organismen wie zum Beispiel Bakterien, Pilzen, Algen und höheren Pflanzen. Viele dieser Stoffwechselprodukte und ihrer künstlich hergestellten (synthetischen) Nachbildungen werden aufgrund ihrer wachstumshemmenden (zytostatischen) und zellschädigenden Wirkung auf bestimmte Erreger zur Behandlung von Infektionskrankheiten eingesetzt. Manche Antibiotika wirken so stark zytostatisch, dass man sie nur im Rahmen der Chemotherapie bestimmter Krebserkrankungen anwendet.

Anthrazycline

Anthrazycline (oder Anthracykline) sind aus bestimmten Bakterienarten (Streptomyces) gewonnene oder künstlich hergestellte (synthetische) Substanzen. Sie verhindern auf verschiedene Weise die Zellteilung, so zum Beispiel, indem sie durch Einlagerung in die Erbsubstanz DNA deren Verdoppelung stören (die jeder Zellteilung vorausgeht) oder auch dadurch, dass sie (durch freie Radikale) die DNA in kleine Stücke brechen. Darüber hinaus können Anthrazykline die die Zelle umgebende Zellmembran schädigen und dadurch bewirken, dass sie abstirbt.

Zu den Anthrazyclinen gehören:

Actinomycin D

Actinomycin D wird wie die Anthracycline aus Streptomyces-Bakterien gewonnen oder synthetisch hergestellt. Auch diese Substanz lagert sich direkt in den DNA-Doppelstrang ein und verhindert dadurch die Neubildung von DNA sowie einer anderen wichtigen Nukleinsäure, der RNA. Auf diese Weise kann sie – je nach eingesetzter Dosierung – sowohl die DNA-Verdopplung und Zellteilung als auch die Eiweißsynthese in der Zelle blockieren. Letztere ist für die Lebensfähigkeit einer Zelle unentbehrlich.

Bleomycin

Bleomycin wird natürlicherweise von Streptomyces-Bakterien gebildet und für therapeutische Zwecke synthetisch (durch Fermentation) hergestellt. Es kann sowohl durch Einbau in die DNA also auch durch Hemmung von Enzymen (DNA-Polymerase) die Verdopplung der Erbsubstanz und somit die Zellteilung verhindern. Außerdem kann es freie Radikale erzeugen und auf diese Weise Brüche in den DNA-Strängen verursachen.

Antimetabolite

Antimetabolite sind künstlich hergestellte (synthetische) Substanzen. Sie ähneln körpereigenen Stoffwechselprodukten (Metaboliten) in ihrer chemischen Struktur, hemmen aber deren Stoffwechselweg, so dass der biologische Prozess gestört wird.

Manche Antimetabolite können zum Beispiel als „falsche" Purinbasen oder Pyrimidinbasen“ (Purinanaloga; Pyrimidinanaloga) in neu entstehende Nukleinsäuren eingebaut werden, so deren Struktur und Funktion schädigen und dadurch eine weitere Vermehrung der Zelle verhindern. Andere Antimetabolite können den Aufbau bestimmter Enzyme (wie der Dihydrofolatreduktase und/oder DNA-Polymerase) hemmen und auf diese Weise die Bildung neuer Nukleinsäuren verhindern.

Zu den Antimetaboliten gehören:

Alkylantien

Alkylantien (auch: Alkylanzien) sind künstlich hergestellte (synthetische) Substanzen. Sie wirken grundsätzlich dadurch, dass sie feste Bindungen mit der DNA und/oder bestimmten Eiweißen im Zellkern eingehen, das Erbmaterial dadurch verändern oder zerstören (zum Beispiel durch Strangbrüche) und somit dessen Vervielfältigung verhindern. Die Teilung der Zellen wird auf diese Weise blockiert.

Manche Alkylantien müssen nach der Verabreichung erst in der Leber umgewandelt werden, bevor sie ihre zytostatische Wirkung entfalten können.

Zu den Alkylantien gehören:

Platinsubstanzen

Platinsubstanzen bilden mit der Erbsubstanz DNA Metallkomplexe und stören dadurch deren Struktur und Funktionsfähigkeit. Der Zellstoffwechsel kommt zum Erliegen und eine Zellteilung ist ebenfalls nicht mehr möglich. Da Platinsubstanzen auch die Reparaturmechanismen der Zelle hemmen, kann der Schaden nicht mehr behoben werden; die Zelle stirbt ab.

Zu den Platinsubstanzen gehören:

  • Carboplatin (Carbo)
  • Cisplatin (CDDP)
  • Oxaliplatin

Enzyme

Enzyme sind bestimmte Körpereiweiße, so genannte Biokatalysatoren, die chemische Reaktionen beschleunigen können.

Asparaginase

Das Enzym Asparaginase (L-Asparaginamidohydrolase) kommt in allen Lebewesen vor. Seine Wirkung besteht darin, dass es die Aminosäure Asparagin, die für verschiedene zelluläre Prozesse wichtig ist, zu Asparaginsäure und Ammoniak abbaut. Als Arzneistoff wird die L-Asparaginase (L-ASP) aus verschiedenen Bakterien gewonnen, vor allem aus Escherichia coli und Erwinia Chrysanthemi (E-coli-Asparaginase, Erwinia-Chrysanthemi-Asparaginase).

Da Asparaginase ein körperfremdes Eiweiß ist, treten bei ihrer Anwendung oft Abwehrreaktionen im Sinne einer Allergie auf, so dass die Behandlung abgebrochen werden muss. PEG-Asparaginase wird zusätzlich pegyliert, das heißt, das Enzym wird in Polyethylenglykol (PEG) „verpackt“. Diese kettenförmigen Moleküle umhüllen die Asparaginase nahezu vollständig und verdecken so die für die Unverträglichkeit entscheidenden Strukturen, lassen aber die für die Wirkung wichtigen Strukturen frei.

Die Asparagin-abbauende Wirkung des Enzyms macht man sich in der Krebstherapie zunutze. Dazu muss man wissen, dass gesunde Zellen eigenes Asparagin herstellen können, während manche Krebszellen (besonders Leukämie- und manche Lymphomzellen) dazu nicht in ausreichendem Maße in der Lage sind. Da dieser Baustein aber für ihr eigenes Überleben wichtig ist, sind sie auf das im Blut zirkulierende Asparagin angewiesen. Durch die Verabreichung von Asparaginase als Medikament wird das Asparagin im Blut verstärkt abgebaut, so dass den Krebszellen auch diese, für ihre Vermehrung und /oder ihr Überleben wichtige, Asparagin-Quelle verlorengeht.

Zu den Asparaginasen gehören:

Hormone

Hormone sind grundsätzlich körpereigene chemische Signalstoffe, die in verschiedenen Drüsen produziert werden und unterschiedliche, lebensnotwendige Wirkungen auf zahlreiche Körperfunktionen ausüben.

Kortikosteroide

Kortikosteroide gehören zu den so genannten Steroidhormonen, die natürlicherweise in der Nebennierenrinde aus Cholesterin gebildet werden. Kortikosteroide haben verschiedene Eigenschaften und Aufgaben. Für die Chemotherapie im Rahmen der Krebsbehandlung werden die (je nach eingesetzter Konzentration) wachstumshemmenden und zellvernichtenden Eigenschaften der Kortikosteroide ausgenutzt. Die Substanzen werden zu diesem Zweck künstlich (synthetisch) hergestellt.

Zu den Kortikosteroiden gehören:

  • Dexamethason (DEXA)
  • Prednison (PRED)
  • Prednisolon
  • Methylprednison

Monoklonale Antikörper

Monoklonale Antikörper [monoklonale Antikörper] sind streng genommen keine Zytostatika, werden hier aber der Vollständigkeit halber auch beschrieben.

Ganz allgemein handelt es sich bei Antikörpern um Eiweiße, die im Dienst des Immunsystems stehen: Sie heften sich an bestimmte Oberflächenstrukturen (so genannte Antigene), die der Körper als fremd erkennt, und machen diese für das körpereigene Abwehrsystem erkennbar. Das können zum Beispiel Strukturen auf der Oberfläche eingedrungener Krankheitserreger oder Stoffe sein. Das Immunsystem reagiert darauf, indem es verstärkt Substanzen bildet, die die Zellen angreifen und zerstören.

Für die Nutzung in der Krebstherapie werden Antikörper gentechnisch hergestellt, und zwar so, dass sie sich ganz gezielt an eine bestimmte Struktur auf der Oberfläche von Krebszellen binden. Diese werden dadurch für das Immunsystem sichtbar und Zielscheibe für Abwehrzellen. Da sich jede Tumorart durch unterschiedliche Oberflächenstrukturen auszeichnet und es nur wenige Gemeinsamkeiten gibt, werden Antikörper für verschiedene Tumorarten jeweils spezifisch hergestellt.

Zu den Monoklonalen Antikörpern gehören:

  • Alemtuzumab
  • Rituximab
  • Inotuzumab Ozogamicin