Phasen der klinischen Prüfung
Autor: Dr. med. habil. Gesche Tallen, Zuletzt geändert: 27.02.2019
Inhaltsverzeichnis
- Phase-I-Studien – Erste Anwendung (überwiegend) am gesunden Menschen
- Phase-II-Studien – Erste Anwendung an einer kleinen Gruppe kranker Menschen
- Phase-III-Studien – Erste Anwendung an einer großen Gruppe kranker Menschen
- Therapieoptimierungsstudien (TOS)
- Phase-IV-Studien – Überwachung der therapeutischen Anwendung nach der Marktzulassung
- „Off-Label“-Gebrauch von Medikamenten
Bei einer Arzneimittelprüfung in der klinischen Forschung kommen grundsätzlich vier aufeinanderfolgende Studienphasen [EGG2018] zum Einsatz, um die hohen gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen.
Wichtig zu wissen: Neue Medikamente dürfen generell nicht bei Kindern und Jugendlichen zum ersten Mal eingesetzt werden. Ihre Prüfung erfolgt zunächst an Erwachsenen.
Phase-I-Studien – Erste Anwendung (überwiegend) am gesunden Menschen
Bei Phase-I-Studien handelt es sich um erste Untersuchungen einer neuen Substanz beim Menschen. Diese neue Substanz hat sich im Zell- und/ oder Tiermodell (siehe präklinische Forschung) als aktiv, also wirksam, erwiesen. Die Probanden in Phase-I-Studien sind im allgemeinen circa 10 – 30 gesunde, freiwillige Individuen. In der Onkologie ist es allerdings anders. Hier ist es häufig eine kleine Gruppe erwachsener Patienten mit fortgeschrittener Krebserkrankung, bei der etablierte Standardtherapien keine Wirkung zeigen.
In der Pädiatrischen Onkologie hingegen werden neue Medikamente meistens nicht in Phase I Studien geprüft (Ausnahme, wenn eine Prüfung bei Erwachsenen nicht in Frage kommt, weil diese Erkrankung nur im Kindesalter vorkommt).
Wichtig zu wissen: In Phase-I-Studien geht es in hauptsächlich darum, die Sicherheit und Verträglichkeit einer neuen Substanz beim gesunden Menschen zu prüfen. Dazu werden ihre so genannten pharmakokinetischen Eigenschaften untersucht. Die Forscher erhalten diese Informationen beispielsweise durch bestimmte Blut-, Urin- oder Stuhluntersuchungen der Probanden. Außerdem wird untersucht, ob und wie die Probanden den neuen Wirkstoff vertragen, beziehungsweise ob unerwünschte Nebenwirkungen auftreten und wenn ja, was für welche und in welchem Ausmaß.
Untersuchung von pharmakokinetischen Eigenschaften einer neuen Substanz
Die Pharmakokinetik in der klinischen Forschung beschäftigt sich mit der
- Art und der Geschwindigkeit, mit der ein Medikament vom menschlichen Körper aufgenommen wird (Absorption/Kinetik)
- Verteilung eines Medikaments im menschlichen Körper (Distribution)
- Verstoffwechselung einer Substanz (Biotransformation; Metabolismus)
- Ausscheidungsmechanismen (Elimination; zum Beispiel über die Nieren oder die Leber beziehungsweise mit dem Urin oder im Stuhl).
Pharmakokinetik erforscht, wie das Medikament im Körper aufgenommen und verstoffwechselt wird.
Phase-II-Studien – Erste Anwendung an einer kleinen Gruppe kranker Menschen
In der zweiten Phase einer klinischen Arzneimittelprüfung wird vor allem untersucht,
- ob die neue Substanz ihre gewünschten Effekte gegen eine bestimmte Krankheit beim erkrankten Menschen entfaltet oder nicht (Wirksamkeit), und
- ob und wie das Medikament vertragen wird (Verträglichkeit).
Dabei soll auch herausgefunden werden, welche Darreichungsform (beispielsweise Tablette oder intravenöse Gabe) und welche Dosis jeweils die beste ist, um höchste Wirksamkeit und gleichzeitig niedrigstes Risiko für unerwünschte Nebenwirkungen sicherzustellen.
Solche Phase-II-Studien schließen in der Regel relativ wenige (30 - 150) Patienten ein. In der Onkologie handelt es sich hierbei überwiegend um erwachsene Patienten mit bestimmten Krebserkrankungen, die nicht selten in verschiedenen Studienzentren und in verschiedenen Ländern („multizentrisch“ – s.o.: Studiendesign) behandelt werden. Phase-II-Studien an Kindern finden meist erst im Anschluss an die Prüfung am Erwachsenen statt.
Wichtig zu wissen: In Phase-II-Studien geht es in hauptsächlich darum, die Wirksamkeit und die Verträglichkeit einer neuen Substanz beim erkrankten Menschen zu prüfen. Dazu werden ihre so genannten pharmakodynamischen Eigenschaften untersucht. Die Forscher erhalten diese Informationen beispielsweise durch bestimmte Blut-, Urin- oder Stuhluntersuchungen der Probanden. Außerdem wird herausgefunden, welche Darreichungsform und Dosis die beste ist.
Untersuchung von pharmakodynamischen Eigenschaften einer neuen Substanz
Die Pharmakodynamik in der klinischen Forschung untersucht, wie ein neues Medikament erwünschte Wirkungen und unerwünschte Nebenwirkungen, das heißt ein so genanntes Wirkprofil im menschlichen Körper erzeugt. Das Wirkprofil einer Substanz wird beeinflusst durch
- die verabreichte Dosis
- Wechselwirkungen mit körpereigenen Substanzen (zum Beispiel Enzymen, Rezeptoren), die hemmend oder stimulierend sein können.
Pharmakodynamik erforscht die Wirkungen des Medikaments auf den Körper.
Die Kenntnisse der pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Eigenschaften eines Medikaments, beeinflussen
- die optimale Darreichungsform (zum Beispiel über die Schleimhäute nach oraler Einnahme, auf nüchternen Magen oder nach dem Essen, oder über das Blut nach venöser Gabe)
- das Dosierungsschema (Konzentration und Häufigkeit der Einnahme)
- die eingeschränkte Anwendung (zum Beispiel bei Patienten mit bestimmten Vorerkrankungen).
- die Vermeidung von unerwünschten Nebenwirkungen und Komplikationen.
Phase-III-Studien – Erste Anwendung an einer großen Gruppe kranker Menschen
Die dritte Phase der klinischen Medikamentenprüfung dient dem Nachweis der Wirksamkeit und Verträglichkeit des Prüfpräparates/neuen Medikaments (bei Zulassungsstudien) oder des neuen Therapiekonzeptes (bei Therapieoptimierungsstudien – s.u.: Sonstige Studien) im randomisierten Vergleich (Randomisierung)zum bisherigen Standard der Therapie. Die Phase III Studie soll an einer größeren Patientengruppe bestätigen, was in der Phase II Studie bei einer vergleichsweise kleinen Patientengruppe festgestellt wurde (siehe Abbildung). Ist die Phase III der Arzneimittelprüfung erfolgreich, darf im nächsten Schritt die Zulassung des Medikaments beantragt werden.
Wichtig zu wissen: Phase-III-Studien sind die Voraussetzung für die Marktzulassung eines neuen Medikaments.
Eine in der Pädiatrischen Onkologie häufig eingesetzte, besondere Form der Phase-III-Studien sind die so genannten Therapieoptimierungsstudien (TOS).
Therapieoptimierungsstudien (TOS)
In den Therapieoptimierungsstudien (TOS) der Pädiatrischen Onkologie werden Patienten nach gemeinsam entwickelten, einheitlichen (standardisierten) Therapieplänen behandelt. Es handelt sich dabei überwiegend um kontrollierte, randomisierte klinische Studien (s. Studiendesign), die das Ziel haben, erkrankte Patienten nach dem jeweils aktuellsten Wissensstand zu behandeln und gleichzeitig die Behandlungsmöglichkeiten zu verbessern und weiter zu entwickeln. Da die Patientenzahlen in der Kinderonkologie im Vergleich zu Erwachsenen mit onkologischen Erkrankungen verhältnismäßig klein sind und auch an einzelnen pädiatrischen Kliniken die Zahl von Patienten mit bestimmten Krankheitsbildern gering ist, arbeiten viele Studienkliniken zusammen (multizentrisch).
Auf diese Weise findet ein stetiger Optimierungsprozess statt. Deshalb haben diese Studien den Namen „Therapieoptimierungsstudien“ erhalten. Die Optimierung ist dabei nicht nur auf eine Verbesserung der Überlebensraten, sondern auch auf die Begrenzung behandlungsbedingter Nebenwirkungen und Spätfolgen ausgerichtet.
Therapieoptimierungsstudien haben somit nur wenig gemein mit Arzneimittelstudien, bei denen es um die Zulassung und Einführung neuer Medikamente geht. Die Therapieoptimierungsstudien enthalten die für die Behandlung der Krebserkrankung notwendigen Therapievorgaben (Behandlungsprotokolle), die mit neuen Therapieelementen (beispielsweise mit anderer Dosierung, anderer Kombination) verglichen werden.
Wichtig zu wissen: Neben der Verbesserung der Behandlung, dienen Therapieoptimierungsstudien auch gleichzeitig der klinischen Forschung. Durch ein multizentrisches und standardisiertes Vorgehen ist es möglich, eine größere Anzahl von Patienten mit derselben Erkrankung zu betrachten und spezielle Forschungsfragen zu klären.
Phase-IV-Studien – Überwachung der therapeutischen Anwendung nach der Marktzulassung
Phase-IV-Studien erfolgen mit bereits zugelassenen Arzneimitteln. Ziel dieser Phase ist es, die Wirksamkeit und Sicherheit der neuen Substanz in einer großen Patientengruppe sowie in verschiedenen Untergruppen (beispielsweise verschiedene Alters-, Bevölkerungs-/ethnische Gruppen, Patienten mit Begleit- beziehungsweise mehreren, verschiedenen Erkrankungen, die in die zugehörige Phase-III-Studie nicht eingeschlossen waren) und unter Alltagsbedingungen zu überwachen. Es geht insbesondere darum, seltene Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen, gleichzeitig eingenommenen Arzneimitteln, und die Langzeitauswirkungen der Therapie mit dem Medikament zu erfassen.
Wichtig zu wissen: Phase IV der klinischen Prüfung erfolgt nach der Marktzulassung, dient dem Aufspüren und der Analyse von seltenen unerwünschten Ereignissen und Wechselwirkungen des neuen Arzneimittels mit anderen Medikamenten sowie der Erfassung seiner Langzeitwirkungen im Hinblick auf die gewünschte Bekämpfung der Erkrankung sowie unerwünschte Spätfolgen.
„Off-Label“-Gebrauch von Medikamenten
„Off-Label“-Gebrauch bedeutet Anwendung ohne Zulassung. Dabei unterscheidet man zwischen der Zulassung für eine bestimmte Indikation (Krankheit, Krankheitsstadium) oder eine Altersgruppe (Kinder, Erwachsene).
Viele Medikamente, die bei krebskranken Kinder und Jugendlichen seit langem mit gutem Erfolg verwendet werden, haben keine entsprechende Zulassung für den Einsatz im Kindes- und Jugendalter. Innerhalb der Therapieoptimierungsstudien sind jedoch bei vielen dieser Medikamente sowohl die Sicherheit als auch die Dosierungsschemata für junge Patienten geprüft und dokumentiert worden. Von den Zulassungsbehörden sind viele dieser Medikamente allerdings bisher nur für die Anwendung bei Erwachsenen freigegeben.
Um diese rechtlich unsichere Handhabung einzugrenzen, hat die EU ihre Direktive zur Durchführung von klinischen Studien aus dem Jahr 2001 um eine besondere Regelung für die Pädiatrie im Jahr 2007 ergänzt. So sind Qualität und Sicherheit bei der Entwicklung und beim Einsatz neuer Medikamente bei Kindern und Jugendlichen gewährleistet.
Literaturempfehlung
- Tallen G, Ratei R, Mann G, Kaspers G, Niggli F, Karachunsky A, Ebell W, Escherich G, Schrappe M, Klingebiel T, Fengler R, Henze G, von Stackelberg A: Long-Term Outcome in Children With Relapsed Acute Lymphoblastic Leukemia After Time-Point and Site-of-Relapse Stratification and Intensified Short-Course Multidrug Chemotherapy: Results of Trial ALL-REZ BFM 90. Journal of clinical oncology 2010, 28: 2339 [PMID: 20385996]
- Tallen G, Dworzak M, Gadner H, Masera G, Schrappe M, Biondi A, Vassal G, Pieters R, Jazbec J, Morland B, Creutzig U: Imperative of continual support by the European Community for future advances in paediatric oncology in Europe: meeting report of the EC-funded sciencecommunication project DIRECT “Overcoming Cancer with Research” memo (2009) Vol. 2: 234–245 [DOI: 10.1007/s12254-009-0168-9]