Entwicklung der Chemotherapie bei Leukämien und Tumoren
Autor: Ingrid Grüneberg, Redaktion: Ingrid Grüneberg, Freigabe: Prof. Dr. med. Ursula Creutzig, Zuletzt geändert: 25.02.2019
Inhaltsverzeichnis
Beginn der Chemotherapie als Mono-Chemotherapie
Mitte der 40er Jahre wurden in den USA erstmalig Kinder und Jugendliche mit bestimmten Formen von Blutkrebs (akute lymphoblastische Leukämie, ALL) mit Medikamenten behandelt, die direkt das Wachstum von Zellen beeinflussen oder diese abtöten (Zytostatika). Davor bestand die Behandlung von Leukämien lediglich aus symptomatischen Maßnahmen wie Bluttransfusionen. Die zytostatische Behandlung (Chemotherapie) beschränkte sich zunächst auf die Gabe von einzelnen Substanzen (Monotherapie). Hierzu zählt Methotrexat, ein Zytostatikum, das noch heute zum Einsatz kommt. Der mono-chemotherapeutische Ansatz bewirkte, dass die Überlebenszeit der Patienten verlängert wurde. Es kam jedoch nicht zu dauerhaften Heilungen.
Kombinationstherapie – Pinkel- und BFM-Therapie
Mitte der 60er Jahre änderte sich das Behandlungsschema für ALL-Patienten von der Monochemotherapie zur Polychemotherapie: Es wurden wirksame Kombinationen von Zytostatika verabreicht. Damit gelang es, bei einigen Patienten eine länger andauernde Phase ohne (im Mikroskop sichtbare) Leukämiezellen herbeizuführen, die so genannte Remission. Allerdings waren auch hier dauerhafte Heilungen sehr selten (Überlebensraten von 0 bis 20%). Die meisten Patienten erlitten Rückfälle (Rezidive).
Anfang der 1970er Jahre entwickelte Donald Pinkel im St. Jude Children’s Research Hospital in Memphis (USA) eine neue Strategie (Pinkel-Therapie): Zusätzlich zur Kombinations-Therapie - mit Medikamenten wie Vincristin, Methotrexat und Prednison erhielten Leukämiepatienten eine Schädelbestrahlung, um Rückfällen im zentralen Nervensystem vorzubeugen. Der Kombinations-Chemotherapie schloss sich eine längerfristige, milde Chemotherapie (Dauertherapie) an, mit dem Ziel, die letzten noch im Körper verbliebenen Leukämiezellen zu vernichten. Der deutsche Kinderonkologe Fritz Lampert führte nach einem mehrmonatigen Forschungsaufenthalt bei Donald Pinkel die so genannte „Pinkel-Therapie“ in Deutschland ein. Diese führte bei einem Drittel der Kinder mit ALL zu einer langfristigen Heilung.
Parallel dazu entwickelte Hansjörg Riehm (Berlin) eine neue Behandlungsstrategie für leukämiekranke Kinder und Jugendliche. Er initiierte die „West-Berliner Studie“, die aus einer intensiven Kombinations-Chemotherapie mit sieben verschiedenen Substanzen bestand (Prednison, Vincristin, Daunorubicin; L-Asparaginase, Cyclophosphamid, Cytarabin und Methotrexat). Das Behandlungsprotokoll war die Grundlage für die erste kooperative Studie zur Behandlung von Kindern mit ALL in Deutschland. Drei Kliniken schlossen sich zu der ersten kooperativen Studie (ALL-BFM 76) zusammen: Berlin (Hansjörg Riehm), Frankfurt (Bernhard Kornhuber) und Münster (Günther Schellong). Mit der zweiten Studie 1979 kamen weitere deutsche Kinderkliniken hinzu.
Weitere Entwicklung der onkologischen Therapie in Deutschland
In Deutschland entwickelten sich unter dem BFM-Siegel weitere Studiengruppen für hämatologische Krebserkrankungen: Für die akute myeloische Leukämie die AML-BFM-Studie und für die Non-Hodgkin-Lymphome die NHL-BFM-Studie. Die BFM-Studienprotokolle werden heutzutage nicht nur in Deutschland eingesetzt, sondern auch in weiteren europäischen Ländern.
Andere Krebsarten wie Tumoren des zentralen Nervensystems (ZNS-Tumoren, Hirntumoren) und andere solide Tumoren werden seit Ende der siebziger Jahre meist mit einer Kombinations-Therapie aus Operation, Strahlentherapie und Chemotherapie behandelt. Es gibt Studiengruppen für: Hirntumoren (HIT-Forschungs- und Behandlungsnetzwerk), Weichteilsarkome (EuRhab), Knochentumore Osteosarkome (EURAMOS), Ewing-Sarkome (EWING), Neuroblastome (NB) und weitere Krebsarten (Krebsentitäten).
Die Therapieprotokolle (der Studien) werden von der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH), teilweise auch in Zusammenarbeit mit anderen internationalen Gesellschaften für pädiatrische Onkologie (beispielsweise SIOP), entwickelt und regelmäßig dem aktuellen Stand der Wissenschaft angeglichen. Als Grundlage für die Anpassung und Neufassung der Pläne dienen neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Biologie der Erkrankungen und über die Wirkungsweise von Einzelkomponenten der Therapie.
Kinder und Jugendliche (unter 15 Jahren) mit einer Krebserkrankung haben heutzutage in Deutschland hohe Heilungschancen. Die Überlebensrate liegt nach 5 Jahren bei 85 % und bei 82 % nach 15 Jahren. Das heißt 82 % aller Patienten überleben ihre Krebserkrankung um 15 Jahre. In diese statistische Betrachtung fließen alle Krebsarten ein. (Quelle: Jahresbericht 2016 des Deutschen Kinderkrebsregisters, s. unten)
Verwendete Literatur
- Kaatsch P, Grabow D, Spix C: German Childhood Cancer Registry - Jahresbericht / Annual Report 2016 (1980-2015). Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI), Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz 2016 [URI: www.kinderkrebsregister.de]
- Creutzig U ,Zimmermann M, Dworzak MN, Ritter J, Schellong G, Reinhardt D: Development of a curative treatment within the AML-BFM studies. Klinische Padiatrie 2013, 225 Suppl 1:S79 [PMID: 23700063]
- Creutzig U und Klusmann JH: Chronik der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie. Eigenpublikation GPOH und KPOH 2004
- Riehm H, Gadner H, Henze G, Kornhuber B, Lampert F, Niethammer D, Reiter A, Schellong G: Results and significance of six randomized trials in four consecutive ALL-BFM studies. Haematology and blood transfusion 1990, 33: 439 [PMID: 2182435]
- Riehm H, Gadner H, Welte K: Die West-Berliner Studie zur Behandlung der akuten lymphoblastischen Leukämie des Kindes -Erfahrungsbericht nach 6 Jahren. Klin. Pädiat.1977 189; 89