Knochenmarkuntersuchung
Autor: Maria Yiallouros, erstellt am: 14.04.2008, Zuletzt geändert: 11.02.2021
Da eine Leukämieerkrankung vom Knochenmark – dem Ort der Blutbildung – ausgeht, muss der Arzt bei Verdacht auf Leukämie zur Sicherung der Diagnose immer auch das Knochenmark untersuchen. Die Knochenmarkuntersuchung trägt entscheidend dazu bei, eine Leukämie von leukämieähnlichen Krankheitsbildern abzugrenzen, beispielsweise von Viruserkrankungen wie dem Pfeiffer-Drüsenfieber oder von anderen Blutkrankheiten, die nichts mit Leukämien zu tun haben (wie die aplastische Anämie).
Zur Durchführung der Untersuchung entnimmt der Arzt Knochenmark aus dem Beckenkammknochen. Dort ist das Knochenmark nur durch eine relativ dünne Knochenschicht von der Haut getrennt, so dass die Entnahme ohne wesentliches Risiko erfolgen kann. Mit Hilfe einer dünnen Hohlnadel saugt der Arzt wenige Milliliter Knochenmark in eine Spritze (Knochenmarkpunktion). Die Punktion erfolgt bei größeren Kindern unter örtlicher Betäubung; eventuell wird zusätzlich ein Beruhigungsmittel verabreicht (Sedierung). Bei kleineren Kindern kann unter Umständen eine kurze Narkose (auch Allgemeinnarkose, Vollnarkose) zweckmäßig sein. Damit sollen die Schmerzen, die beim Ansaugen des Knochenmarkblutes entstehen, so gering wie möglich gehalten werden. Die Untersuchung kann ambulant durchgeführt werden und dauert meist nicht länger als 15 Minuten.
In seltenen Fällen, zum Beispiel, wenn sich durch die Punktion nicht genügend Knochenmark gewinnen lässt oder bei Patienten mit Verdacht auf eine Myelofibrose oder ein myelodysplastisches Syndrom (MDS), kann der Arzt auch mit einer speziellen, etwas dickeren Hohlnadel einen etwa 2 cm langen Gewebezylinder aus dem Knochen stanzen (Knochenmarkstanzbiopsie). Diese Untersuchung erfolgt immer in Allgemeinnarkose. [CRE2018] [CRE2012a]
Das gewonnene Knochenmark wird im Labor auf seine zellulären und feingeweblichen Eigenschaften überprüft und für weitere, spezielle Untersuchungsmethoden Immunphänotypisierung, Zytogenetik, Molekulargenetik) aufbereitet, die der genaueren Bestimmung der Leukämieform beziehungsweise -unterform dienen. Da sich verschiedene AML-Unterformen zum Teil deutlich in ihrem Krankheitsverlauf sowie in ihrer Prognose und Therapierbarkeit unterscheiden, ist die genaue Kenntnis des AML-Typs von entscheidender Bedeutung für die Behandlungsplanung.
Anmerkung: Bei Patienten mit einer erhöhten Zahl weißer Blutzellen (Hyperleukozytose) wird in der Regel so lange mit der Durchführung einer Knochenmarkpunktion gewartet, bis die Leukozytenzahlen zurückgegangen sind. Dadurch sollen Blutungskomplikationen vermieden werden.
Knochenmarkbefund bei einer AML (Zytomorphologie und Zytochemie)
Die Diagnose AML wird zunächst durch die zytomorphologische und zytochemische Untersuchung des Knochenmarks (und des Blutes) gestellt. (Der Wortteil „zyt"- kommt aus dem Griechischen und bedeutet Zelle). Bei der Untersuchung wird Knochenmark auf einem Objektträger ausgestrichen, mit Spezialfarbstoffen angefärbt und anschließend unter dem Mikroskop betrachtet.
Die Zellen werden im Hinblick auf ihr Aussehen und ihre Anzahl beurteilt. Dabei kann festgestellt werden, ob tatsächlich eine Leukämie vorliegt und wenn ja, ob es sich um eine myeloische oder eine lymphoblastische Leukämie handelt. Die Diagnose AML gilt grundsätzlich als gesichert, wenn 20 % oder mehr der kernhaltigen Zellen des Knochenmarks unreife Zellen (so genannte Blasten) sind und darüber hinaus das Vorliegen eines fortgeschrittenen myelodysplastischen Syndroms (MDS) (mit einem Blastenanteil von 20-30 %) ausgeschlossen werden kann [siehe myelodysplastisches Syndrom]. Für die Unterscheidung zwischen einer AML und einer ALL genügt im Einzelfall auch der Nachweis von Myeloblasten beziehungsweise Lymphoblasten im Blut. Das Vorkommen bestimmter stäbchenförmiger Strukturen in den in den Blasten (so genannte Auerstäbchen) spricht ebenfalls für eine AML.
Zytomorphologie und Zytochemie erlauben aber nicht nur eine Unterscheidung zwischen AML und ALL beziehungsweise anderen Bluterkrankungen, es lässt sich auch feststellen, um welche Form der AML es sich handelt. Bei zusätzlicher Berücksichtigung immunologischer Zellmerkmale lassen sich nach der so genannten French-American-British-Klassifikation (FAB-Klassifikation) die akuten myeloischen Leukämien in acht Hauptgruppen (FAB M0-M7) einteilen [BEN1985b]. Informationen zur FAB-Klassifikation erhalten Sie im Kapitel „Risikogruppen“. Heute spielen bei der Einordnung der Erkrankung überwiegend zytogenetische und molekulargenetische Zellmerkmale eine Rolle, weil sich gezeigt hat, dass sie für die Prognose und Therapie des Patienten von größerer Bedeutung sind. Mehr zu den immunologischen und genetischen Verfahren finden Sie im Anschluss.
Immunologische und genetische Untersuchungen zur Bestimmung der AML-Unterform
Immunologische und genetische Untersuchungsmethoden erlauben zum einen eine Sicherung der Diagnose AML, zum anderen ermöglichen sie es, die Form der AML anhand bestimmter Zellmerkmale noch genauer zu bestimmen.
Ein wichtiges Verfahren bei der Bestimmung des AML-Typs (sowie zur Klassifizierung der Leukämien allgemein) ist die Immunphänotypisierung (siehe unten). Die Ergebnisse der Untersuchung stehen rasch zur Verfügung und können zur sofortigen Behandlungsplanung herangezogen werden. Zytogenetische und molekulargenetische Untersuchungen (siehe unten) sind technisch aufwändiger und daher in der Regel nicht für die schnelle Diagnose des AML-Typs verfügbar. Sie spielen jedoch eine wichtige Rolle bei der weiteren Therapieplanung und der Bewertung der Prognose. Vor allem die Molekulargenetik gewinnt zunehmend an Bedeutung und ersetzt heute teilweise die Zytogenetik. Die verschiedenen Verfahren werden im Anschluss kurz erläutert.
Immunphänotypisierung
Bei der Immunphänotypisierung wird mit Hilfe verschiedener Spezialverfahren und unter Verwendung monoklonaler Antikörper [siehe monoklonale Antikörper] nach bestimmten Eiweißen, so genannten Antigenen, auf der Oberfläche der Leukämiezellen gesucht. Dadurch ist es möglich, die Art der bösartigen Zellen und ihr Reifungsstadium (Differenzierungsstufe) zu bestimmen.
Zytogenetik und Molekulargenetik
Die Zytogenetik umfasst Untersuchungen zum Nachweis von Veränderungen im menschlichen Erbmaterial (Genom). Leukämiezellen weisen nämlich bei 80-85 % der AML-Patienten Veränderungen der Chromosomen auf, die mit Hilfe der Zytogenetik, das heißt der mikroskopischen Untersuchung des Zellkerns, festgestellt werden können. Um das Erbgut für die mikroskopische Untersuchung sichtbar zu machen, wird die Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH-Untersuchung) eingesetzt, eine molekularbiologische Methode, die auf einer speziellen Anfärbung der DNA beruht.
Häufig lässt sich in den Leukämiezellen ein Austausch von Genabschnitten zwischen zwei Chromosomen feststellen, eine so genannte Translokation, die in der Regel mit der Entstehung eines neuen Gens (auch Fusionsgen genannt) verbunden ist. Chromosomen können aber auch in zu großer oder zu kleiner Zahl vorhanden sein (wie zum Beispiel bei einer Monosomie 7). Die verschiedenen Chromosomenveränderungen wirken sich unterschiedlich auf die Prognose aus und werden bei der Therapieplanung entsprechend berücksichtigt [CRE2019] [CRE2018] [MAN2009] [NEU2010] [REI2012a].
Neben der Zytogenetik haben molekulargenetische Methoden einen bedeutenden Stellenwert in der schnellen Untersuchung der Gene, die in den Leukämiezellen häufig verändert sind (Fusionsgene, siehe oben).
Informationen zu verschiedenen morphologischen, zytogenetischen und molekulargenetischen Veränderungen in Leukämiezellen, die damit einhergehende Einteilung der AML in verschiedene Unterformen und deren Bedeutung für die Prognose des Patienten finden Sie im Kapitel „Therapieplanung“.