Fürsorge für Eltern und Geschwister

Autor: PD Dr. med. Gesche Tallen, Redaktion: Ingrid Grüneberg, Freigabe: Prof. Dr. med. U. Creutzig, Zuletzt geändert: 26.08.2020

Neben den Eltern werden die gesunden Geschwister des Patienten, das heißt sowohl deren seelische als auch körperliche Verfassung in ganz eigener Art und Weise durch die Krebserkrankung und deren Verlauf beeinflusst. Dabei spielt die Art der Krebserkrankung ihrer Schwester oder ihres Bruders keine entscheidende Rolle, sondern vielmehr das Ausmaß und die Intensität, den die Gesamtsituation auf das Familienleben ausübt.

Mögliche Belastungen für Geschwister

  • eingeschränkte Zuwendung der Eltern (Eifersucht auf das kranke Kind und daraufhin zwiespältige und Schuldgefühle)
  • hohe Anforderungen der Eltern in Bezug auf Mitarbeit im Haushalt, Versorgung des kranken Geschwisters, dadurch möglicherweise Rückzug von Freunden
  • Kommunikationsstörungen innerhalb der Familie wie Probleme zwischen den Eltern
  • Angst vor dem Sterben und dem Tod der Schwester oder des Bruders
  • Schuld- beziehungsweise Allmachtsfantasien (altersabhängig), ursächlich an der Erkrankung beteiligt zu sein.

Die Geschwister reagieren nicht selten mit Problemen in der Schule, sozialem Rückzug, Schlaf- oder Essstörungen und Kopfschmerzen.

Wichtig ist es für die gesamte Familie, sich bewusst zu machen, dass diese Belastungen auftreten können und sie nicht zu verdrängen.

Gesunde Geschwister haben jedoch auch positive Erfahrungen, die mit dieser schweren Lebenssituation zusammenhängen. Hierzu gehören beispielsweise:

  • Verstärkte Wertschätzung des Lebens
  • Familiärer Zusammenhalt und in der Folge starkes Selbstbewusstsein
  • Beschleunigte Persönlichkeitsentwicklung.

Soziale Unterstützung für gesunde Geschwister

Die Notwendigkeit, Geschwister von Kindern mit lebenslimitierenden/ -bedrohlichen Erkrankungen zu unterstützen, um Folgeerkrankungen zu verhindern, ist offensichtlich. Eltern sind durch ihr krankes Kind und die damit verbundenen Anforderungen so stark belastet, dass für gesunde Geschwister oft keine ausreichenden Ressourcen mehr vorhanden sind. Hier haben vor allem auch andere Erwachsene mit engerem Familienkontakt große Verantwortung, insbesondere die Mitglieder des Palliativteams.

Professionelle Hilfe hat das Potenzial, gesunde Geschwister sozial zu unterstützen sowie die negativen Effekte zu mildern und so möglichen körperlichen oder seelischen Erkrankungen vorbeugend zu begegnen.

Mögliche Formen einer solchen Maßnahme können beispielsweise Geschwistergruppen und psychosoziale Unterstützung sein.

Familienorientierte Versorgung

Im Jahr 1983 wurden in Frankfurt am Main und Berlin klinikgestuützte ambulante Kinderkrankenpflegedienste gegründet, um hauptsächlich krebskranke Kinder und Jugendliche zu Hause zu versorgen. Dies war der Beginn der familienorientierten palliativen Kinderkrankenpflege in Deutschland.

Das Konzept bezieht

  • Beteiligtsein der Eltern
  • Partnerschaft mit Eltern
  • Familienpflege
  • Familienzentrierte Kinderkrankenpflege stark mit ein.

Ziele familienorientierter Versorgung sind neben der Stärkung der Gesundheit des erkrankten Familienmitglieds auch die Gesundheitsfürsorge für die weiteren Familienmitglieder und die Stärkung der Familiendynamik.

Familienorientierte Versorgung bindet Eltern stufenweise wie folgt ein:

  1. Stufe: Eltern sind für die normale Versorgung des Kindes und das Palliativteam für medizinisch-pflegerische Maßnahmen verantwortlich. Entscheidungen werden gemeinsam mit dem kranken Kind und seinen Eltern getroffen. Andere Familienmitglieder sind selten einbezogen. Die Hauptversorgung erfolgt durch das Palliativteam.
  2. Stufe: Eltern und Fachpersonal entscheiden gemeinsam, wer welche Aufgaben übernimm, und die Eltern werden in pflegerischen Aufgaben unterrichtet. Eltern trauen sich die Durchführung bestimmter pflegerischer Aktivitäten zu und die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Palliativteam wird enger.
  3. Stufe: Die Intensität der Versorgung durch die Eltern erreicht die des Palliativteams. Das bedeutet, dass die Eltern nun in der Lage sind, die Versorgung ihres Kindes zu übernehmen. Andere Familienmitglieder oder Freunde sind ebenfalls an der Versorgung beteiligt, und der Versorgungsplan sowie auch die Verantwortlichkeiten werden immerzu im Team abgesprochen.

So werden Eltern zu den Advokaten und Experten für ihr Kind. Allerdings kann es auch sein, dass Eltern aufgrund der eventuell jahrelangen Belastung durch die Versorgung des Kindes Entlastung benötigen. Dann besteht die Möglichkeit, die Versorgung des Kindes für eine gewisse Zeit einem ambulanten Pflegedienst oder einer Kurzzeitpflegeeinrichtung zu Übergeben (siehe Wer ist für die Palliativversorgung …zuständig?).