Welche Spätfolgen gibt es?

Autor: Dr. med. habil. Gesche Tallen, Dr. med. Jörn Kühl, erstellt 06.09.2003, Redaktion: Maria Yiallouros, Zuletzt geändert: 05.06.2020

Eine hämatopoetische Stammzelltransplantation (HSZT), insbesondere die allogene Stammzelltransplantation, ist noch immer mit erheblichen akuten Nebenwirkungen und Langzeitfolgen behaftet. Sie sind auf die Hochdosis-Chemotherapie und die Ganzkörper-Bestrahlung (Konditionierung) sowie auf die Stammzelltransplantation selbst zurückzuführen.

  • Durch die allogene Stammzelltransplantation kommt es bei etwa 10 % der Patienten zu einer chronischen Spender-gegen-Empfänger-Reaktion (englisch: „Graft-versus-Host-Disease“, abgekürzt: GvHD), die sich gegen verschiedene Organe und Organsysteme richten kann. Betroffen sind hauptsächlich Haut, Leber und der Magen-Darm-Trakt (siehe Kapitel "Komplikationen").
  • Aufgrund der Therapie sind auch Schädigungen von Lunge, Herz, Nieren, Nervensystem, Knochenmark und Muskulatur möglich.
  • Besonders gefährdet ist das Hormonsystem (endokrine System) des Patienten; es kann teilweise oder komplett ausfallen. Häufig tritt eine Schilddrüsenunterfunktion auf. Nicht selten sind auch Wachstumsverzögerungen (durch eine Störung der Wachstumshormonausschüttung) sowie eine Verzögerung der Pubertät (durch beeinträchtigte Bildung von Geschlechtshormonen). Aus diesem Grund ist die langfristige hormonelle Nachsorge von HSZT-Patienten besonders wichtig. Sie umfasst die regelmäßige Untersuchung des Patienten und, gegebenenfalls, eine Behandlung mit entsprechenden Hormonen.
  • Die intensive Chemotherapie und die Ganzkörperbestrahlung führen, anders als in der Regel eine Standard-Chemotherapie, oft zu einer bleibenden Unfruchtbarkeit. Insgesamt reagieren die Hoden empfindlicher auf die Behandlung als die Eierstöcke. Dementsprechend ist die Fruchtbarkeit bei männlichen Patienten häufiger eingeschränkt als bei weiblichen. Für männliche Patienten nach Eintritt der Pubertät besteht unter Umständen vor Therapiebeginn die Möglichkeit, Spermien zu sammeln und einzufrieren (so genannte Kryokonservierung).
  • Etwa 20-25 % der Patienten entwickeln fünf bis zehn Jahre nach der Ganzkörperbestrahlung eine Trübung der Augenlinse, einen grauen Star (Katarakt). Wenn dieser zu einer stärkeren Sehbehinderung führt, kann er wie bei älteren Menschen durch eine ambulante Operation leicht behoben werden.
  • Des Weiteren besteht ein erhöhtes Risiko, dass zu einem späteren Zeitpunkt eine zweite bösartige Tumorerkrankung eintritt. Das Risiko ist bei einer Kombination von Chemo- und Strahlentherapie höher als bei alleiniger Chemotherapie [BAK2003] [BOR2008]. Auch eine chronische Spender-gegen-Empfänger-Reaktion (GvHD) begünstigt die Entstehung von Zweittumoren, denn sie führt zu einer anhaltenden Beeinträchtigung des Immunsystems. Vor allem Zweitkrebserkrankungen der Haut spielen hier eine Rolle.
  • Durch die Stammzelltransplantation können sich zudem Störungen des Zuckerstoffwechsels, des Geschmackssinns sowie psychische Beeinträchtigungen einstellen.

Weitere, allgemeine Informationen zu möglichen Spätfolgen an Organen oder Organsystemen (wie Fortpflanzungsorgane, Niere, Herz) erhalten Sie in unserer Patienteninformation zum Thema „Spätfolgen - Betroffene Organe“.

Basisliteratur

  1. Handgretinger R, Matthes-Martin S, Lang P: Hämatopoetische Stammzelltransplantation. in: Niemeyer C, Eggert A (Hrsg.): Pädiatrische Hämatologie und Onkologie, Springer-Verlag GmbH Deutschland 2. vollständig überarbeitete Auflage 2018, 17 [ISBN: 978-3-662-43685-1] HAN2018
  2. Leiper A: Non-endocrine late complications of bone marrow transplantation in childhood. British J Haemato 2002, 118: 3 [PMID: 12100125] LEI2002
  3. Brennan BM, Shalet SM: Endocrine late effects after bone marrow transplant. British J Haematol 2002, 118: 58 [PMID: 12100128] BRE2002