Chemotherapie

Autor: Maria Yiallouros, Dr. med. habil. Gesche Tallen, erstellt am: 25.07.2007, Zuletzt geändert: 09.06.2020

Bei Patienten, bei denen eine operative Tumorentfernung nicht oder nur teilweise möglich ist, kann als nicht-chirurgische Therapie eine Chemotherapie zum Einsatz kommen. Man versteht darunter eine Behandlung mit zellwachstumshemmenden Medikamenten (Zytostatika), die darauf abzielt, Krebszellen in ihrem Wachstum zu stoppen oder zu vernichten.

Die Chemotherapie gewinnt bei Hirn- und Rückenmarkstumoren im Kindes- und Jugendalter zunehmend an Bedeutung. Ihre Wirksamkeit wurde in den letzten Jahren durch zahlreiche Studien belegt. Bei Patienten mit einem niedriggradig malignen Gliom gilt sie inzwischen als nicht-chirurgische Therapie der Wahl. Ihr Hauptziel ist, das Tumorwachstum zu hemmen und eine Strahlentherapie – insbesondere bei jungen Kindern – gänzlich zu vermeiden oder zumindest hinauszuschieben.

Welche Patienten erhalten eine Chemotherapie?

Nach den derzeitigen Behandlungsplänen wird die Chemotherapie in der Regel bei jüngeren Kindern an Stelle der früher üblichen Strahlentherapie eingesetzt, um die schädigende Wirkung dieser Behandlung auf das sich entwickelnde Gehirn zu vermeiden (im Rahmen der derzeit aktuellen Therapieempfehlungen der LGG-Studienzentrale gilt dies für Kinder unter acht Jahren).

Unter Umständen kann auch bei älteren Kindern zunächst eine Chemotherapie sinnvoll sein (so zum Beispiel bei Kindern vor der Pubertät, die an einem Tumor des Zwischenhirns erkrankt sind und bei denen eine Bestrahlung dieser Region zu Wachstumsstörungen führen kann) (siehe auch Informationen zu Aufbau und Funktion des Zentralnervensystems, Kapitel: "Das Zwischenhirn").

Patienten mit einer Neurofibromatose Typ I, bei denen eine nicht-chirurgische Therapie erforderlich ist, werden bevorzugt ebenfalls chemotherapeutisch behandelt, da das Vorhandensein dieser Erkrankung das Ausmaß und den Schweregrad strahlenbedingter Spätschäden zu erhöhen scheint (siehe auch Kapitel "Strahlentherapie"). Gemäß den aktuellen Therapieempfehlungen der Studienzentrale erfolgt bei Neurofibromatose-Patienten generell eine Chemotherapie an Stelle einer Bestrahlung (siehe auch Kapitel "SIOP-LGG 2004").

Welche Medikamente werden eingesetzt?

Die chemotherapeutische Behandlung erfolgt mit mehreren Zytostatika gleichzeitig, um eine möglichst große Wirkung gegen die bösartigen Zellen zu erzielen. Als Standardmedikamente kommen in Europa vor allem Vincristin und Carboplatin zum Einsatz. Ergänzend oder als Alternative (zum Beispiel bei Unverträglichkeit oder einem nicht ausreichenden Ansprechen der Erkrankung auf die Therapie) können weitere Zytostatika hinzukommen (zum Beispiel Etoposid, Cyclophosphamid oder Cisplatin).

Falls die Erkrankung trotz der Chemotherapie fortschreitet und eine Strahlentherapie weiterhin vermieden werden muss, wird versucht, durch die Wahl anderer Medikamentenkombinationen (zum Beispiel Cisplatin und Vincristin oder Cyclophosphamid und Vincristin) das Tumorwachstum zu stoppen.

Wie werden die Medikamente verabreicht?

Die meisten Medikamente werden intravenös oder durch eine länger dauernde (meist einstündige) Infusion in eine Vene verabreicht. In der Regel geschieht dies durch Anstechen (Punktieren) von kleineren (peripheren) Venen auf dem Handrücken oder am Unterarm mittels einer Hohlnadel (Kanüle), die meist einige Zeit an Ort und Stelle belassen wird (wie beispielsweise eine Braunüle). Das Anlegen dieser Kanüle "piekst" natürlich, jedoch gibt es Pflaster, die ein örtliches Betäubungsmittel tragen ("Zauberpflaster") und die, wenn sie etwa eine Stunde vor dem "Pieks" geklebt werden, diesen oft nicht merken lassen.

Von einer Behandlung durch einen zentralen Venenkatheter (Broviac-Katheter oder Hickman-Katheter), wie Sie ihn bei anderen Kindern auf der Station möglicherweise sehen werden, wird – außer bei ganz kleinen Patienten – in der Regel abgesehen, da bei der chemotherapeutischen Behandlung von niedrigmalignen Gliomen weniger Chemotherapieblöcke und seltenere Medikamentengaben vorgesehen sind als bei vielen anderen Tumorerkrankungen.

Die Dosierung der Zytostatika richtet sich nach der Körperoberfläche des Patienten, welche in m² angegeben wird. Die Zytostatikagabe kann von weiteren Behandlungsmaßnahmen begleitet sein, die der Vorbeugung oder Behandlung therapiebedingter Nebenwirkungen dienen (Supportivtherapie).

Wie wird die Chemotherapie durchgeführt?

Die Chemotherapie erfolgt in mehreren Zyklen oder Phasen. Der Vorteil einer solchen Intervallbehandlung liegt darin, dass Krebszellen, die während des ersten Zyklus nicht erfasst werden, in einer der nachfolgenden Behandlungsphasen vernichtet oder am Wachstum gehindert werden können. Zwischen den Therapiephasen liegen Behandlungspausen, die dem Körper die Möglichkeit geben, angegriffenes gesundes Gewebe zu regenerieren. Besser als bösartige Zellen sind gesunde Zellen nämlich in der Lage, die durch die Chemotherapie verursachten Schäden an ihrer Erbinformation zu erkennen und zu reparieren.

Im Rahmen der derzeitigen Behandlungspläne besteht die Chemotherapie bei niedriggradig malignen Gliomen aus zwei großen Behandlungsabschnitten: der Induktionsphase (Anfangsbehandlung; Induktionstherapie) und der Erhaltungsphase (Konsolidierungstherapie). Beide Behandlungsabschnitte sind wiederum in mehrere Behandlungsblöcke unterteilt. Während die erste (intensive) Behandlungsphase die Verkleinerung oder zumindest einen Wachstumsstillstand des Tumors zum Ziel hat, dient die zweite Chemotherapiephase der Erhaltung oder sogar Verbesserung der zuvor erzielten Therapieergebnisse.

Allgemeine Informationen zur Chemotherapie finden Sie hier.

Wie erfolgreich ist die Chemotherapie bei Patienten mit einem niedrigmalignen Gliom?

In der Mehrheit der Fälle spricht die Erkrankung gut auf die Zytostatika an: Bei etwa 84 % von 202 Patienten, die im Rahmen der Therapieoptimierungsstudie SIOP-LGG 1 (nach Angaben der Studienleitung) behandelt wurden, konnte mit der Chemotherapie ein Stillstand des Tumorwachstums oder gar eine Tumorverkleinerung erzielt werden. Wie die bisherigen Untersuchungen zeigen, tritt dieser Effekt jedoch oft sehr verzögert auf und kann sich auch noch nach Therapieende fortsetzen. Gerade am Anfang einer Chemotherapie kann es durch die Größenzunahme von Tumorzysten sogar zu einem scheinbaren Wachstum kommen. Dies sollte nicht als Versagen der Chemotherapie gewertet werden.

In den meisten Fällen gelingt es, das Weiterwachsen des Tumors über einen Zeitraum von etwa drei bis fünf Jahren zu verhindern und somit in dieser Zeit eine Strahlentherapie zu vermeiden. Ein kleiner Teil der Patienten spricht auf eine Chemotherapie nicht an. Für den einzelnen Patienten lässt sich der Krankheitsverlauf allerdings sehr schwer vorhersagen [GNE2012] [GNE2003]. Anders als bei vielen anderen Krebserkrankungen ist es nicht möglich, den Tumor durch Chemotherapie vollständig zu zerstören.

Zusammengefasst kann man aufgrund der umfangreichen rückblickenden Analysen heute sagen, dass die Chemotherapie bei der Behandlung niedriggradig maligner Gliome im Kindes- und Jugendalter wirksam ist: Die Tumoren sprechen auf die Therapie an, so dass die Notwendigkeit einer Strahlentherapie bei der Behandlungsplanung für eine bedeutende Anzahl von Patienten zurückgestellt werden kann. Gerade bei sehr jungen Kindern (unter 1 Jahr bei Diagnosestellung), für die die Vermeidung einer frühen Bestrahlung besonders wichtig ist, scheint allerdings das Risiko für ein Weiterwachsen des Tumors nach einer Chemotherapie sehr hoch zu sein [GNE2012] [GNE2004a] [HER2010] [LAI2003] [MAS2002] [OPO2006].

Insgesamt beurteilen die Experten den Zeitraum, in dem ein Tumor nach Chemotherapie einen Wachstumsstillstand zeigt (progressionsfreies Überleben) noch als steigerungsbedürftig. Deshalb ist der Einsatz der nicht-chirurgischen Therapie in der Regel nur gerechtfertigt, wenn nach der vollständigen oder unvollständigen Tumorentfernung beziehungsweise, bei nicht operablen Tumoren, nach Diagnosestellung schwere Krankheitszeichen fortbestehen (damit sind in erster Linie neurologische Ausfälle, besonders eine zunehmende Sehminderung, gemeint).

Welche Nebenwirkungen hat die Chemotherapie und welche Möglichkeiten zur Vorbeugung und Behandlung gibt es?

Die Chemotherapie schädigt nicht nur die Krebszellen, sondern auch gesunde Zellen, die sich häufig und schnell teilen (zum Beispiel Zellen der Mund- und Darmschleimhaut, Haarwurzel- und Knochenmarkzellen). Dadurch kommt es im Laufe der Behandlung zu einer Reihe von Nebenwirkungen, die je nach Art und Dosierung der Medikamente unterschiedlich stark sind.

Gut zu wissen: Nicht alle Patienten reagieren in gleicher Weise auf die Chemotherapie. Das heißt: Nicht alle der im Folgenden aufgeführten Nebenwirkungen treten bei jedem Patienten auf. Darüber hinaus empfindet jeder Patient einzelne Nebenwirkungen unterschiedlich stark.

Mögliche Nebenwirkungen

  • Zu den häufigsten Nebenwirkungen einer Zytostatikabehandlung zählen Störungen im Verdauungstrakt, Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle sowie Haarausfall.
  • Auch die Bildung gesunder roter und weißer Blutkörperchen und Blutplättchen kann durch die knochenmarkschädigende Wirkung der Zytostatika beeinträchtigt sein. Durch den daraus resultierenden Mangel an Blutzellen kann es zu einer akuten, unter Umständen lebensbedrohlichen Infektionsgefahr sowie zu erhöhter Blutungsneigung und Blutarmut kommen.
  • Ferner können Nieren, Gehör, Gehirn und Nervensystem, Leber und Lunge sowie die männlichen und weiblichen Keimdrüsen – die Eierstöcke und die Hoden – in ihrer Funktion gestört werden. Das Ausmaß der Schädigung und die Dauer der Erholung hängen von der Art und der Dosis der verabreichten Zytostatika sowie von Alter und allgemeiner körperlicher Verfassung des Patienten ab.

Maßnahmen zur Vorbeugung und Behandlung

Um den Nebenwirkungen der Chemotherapie vorzubeugen oder diese zu behandeln, wird das Behandlungsteam verschiedene unterstützende Behandlungsmaßnahmen (Supportivtherapie) ergreifen:

  • Während der Therapie auftretende Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Entzündungen der Mund- und Darmschleimhaut lassen sich mit Hilfe von Medikamenten wirksam bekämpfen oder lindern.
  • Außerdem werden antibakterielle Medikamente (Antibiotika) sowie Medikamente gegen Pilze und gegebenenfalls Viren verabreicht, um gegen Infektionen vorzugehen oder diese von vornherein zu vermeiden.
  • Fehlende rote Blutzellen (Anämie) oder Blutplättchen (Thrombozytopenie) können durch die Gabe entsprechender Blutkonserven (Erythrozyten- und Thrombozytenkonzentrate) ersetzt werden; dies ist jedoch nur selten erforderlich.
  • Mit Hilfe von Wachstumsfaktoren versucht man, die Bildung weißer Blutzellen anzuregen, die eine wichtige Rolle bei der Krankheitsabwehr spielen.
  • Im Hinblick auf eine eventuelle Unfruchtbarkeit oder Erbgutschäden besteht für männliche Patienten die Möglichkeit einer Samenentnahme und für weibliche Patienten einer Eizellentnahme vor Beginn der Therapie. Bitten Sie Ihr Behandlungsteam um weitere Informationen dazu. Zum Thema Fruchtbarkeit und Fruchtbarkeitserhalt können Sie sich auch auf unseren Seiten „Spätfolgen für die Fortpflanzungsorgane“ informieren.
  • Der Haarausfall bildet sich meist drei bis sechs Monate nach Therapieende von selbst vollständig zurück.

Hier erhalten Sie ausführliche Informationen zur Supportivtherapie.

Gut zu wissen: Auch der Patient selbst beziehungsweise seine Angehörigen können durch verschiedene (vorbeugende) Maßnahmen dazu beitragen, Nebenwirkungen zu mildern und Komplikationen so gut wie möglich zu vermeiden. Dies gilt vor allem für Behandlungszeiten, die der Patient zu Hause verbringt (zum Beispiel Therapiepausen oder ambulante Behandlungsphasen). Entsprechende Informationen (zum Beispiel zur Ernährung, zur Vorbeugung von Infektionen, zum Umgang mit Blutungen oder zur Linderung behandlungsbedingter Nebenwirkungen) finden Sie in unserem Text "Empfehlungen für zu Hause (während oder nach der Chemo-​ und Strahlentherapie“. Individuelle Empfehlungen erhalten Sie von Ihrem Behandlungsteam.

Neben akuten Folgen der Chemotherapie muss unter Umständen auch mit verschiedenen Spätfolgen der Behandlung gerechnet werden. Informationen dazu finden Sie im Kapitel "Spätfolgen".