Hochdosis-Chemotherapie und autologe Stammzelltransplantation
Autor: Maria Yiallouros, erstellt am: 17.10.2011, Zuletzt geändert: 17.08.2020
Inhaltsverzeichnis
Eine Hochdosis-Chemotherapie mit anschließender Stammzelltransplantation (zum Teil auch Megatherapie genannt) kommt für Neuroblastom-Patienten in Frage, die mit einer konventionellen (Konsolidierungs-)Behandlung eine schlechte Prognose haben. Dazu gehören Patienten, bei denen zum Zeitpunkt der Diagnose bereits Metastasen vorliegen (Krankheitsstadium 4) und/oder deren Tumor ungünstige molekulargenetische Eigenschaften (wie die MYCN-Amplifikation) aufweist (Hochrisiko-Patienten). Die intensive Behandlung erfolgt iin diesem Fall anstelle der konventionellen Konsolidierungstherapie. Mehr zum Behandlungsablauf bei Hochrisiko-Patienten finden Sie hier. [BER2005] [BER2018] [EGG2018a] [LAD2017] [SIM2017] [SIM2019].
Mit der Hochdosis-Chemotherapie hofft man, auch Neuroblastomzellen abzutöten, die nach der üblichen Induktions-Chemotherapie (siehe Kapitel „Chemotherapie“) noch im Körper verblieben sind. Die verabreichte Zytostatikadosis ist bei dieser Therapie allerdings so hoch, dass sie nicht nur die Krebszellen, sondern auch das blutbildende System im Knochenmark zerstört. Aus diesem Grund werden Ihrem Kind vor Beginn der Hochdosistherapie Stammzellen der Blutbildung (Blutstammzellen) aus Blut oder Knochenmark entnommen und nach Abschluss der Behandlung wieder zurückübertragen (transplantiert). Fachleute sprechen auch von einer autologen hämatopoetischen Stammzelltransplantation (autologe Stammzelltransplantation, abgekürzt: autologe HSZT oder SZT).
Blutstammzellen sind die „Mutterzellen“ aller Blutzellen. Sie werden im Knochenmark gebildet und können sich zu allen Formen von Blutzellen weiter entwickeln. Diese Fähigkeit der Stammzellen macht man sich bei der Stammzelltransplantation zunutze.
Wie läuft eine autologe Stammzelltransplantation ab?
Die Stammzelltransplantation setzt sich aus zwei Phasen zusammen:
- Konditionierung: Zunächst wird der Patient mit Hilfe einer hochdosierten Chemotherapie so intensiv behandelt, dass alle noch vorhandenen Neuroblastomzellen zerstört werden. Diese vorbereitende Behandlung wird Konditionierung genannt. Als Standard gilt derzeit der Einsatz der Zytostatika Busulfan und Melphalan [LAD2017].
- Stammzelltransplantation: In der anschließenden Phase werden dem Patienten – als Ersatz für das zerstörte Knochenmark – die zuvor entnommenen Stammzellen der Blutbildung durch eine Infusion in die Vene zurückübertragen. Die Blutstammzellen wandern in die Markhöhlen der Knochen, siedeln sich dort an und beginnen, neue funktionstüchtige Blutzellen zu bilden. In der Regel dauert es durchschnittlich drei bis sechs Wochen, bis das fremde Knochenmark angewachsen ist und sich die Blutwerte erholt haben.
Gut zu wissen: Während und nach der Phase des Knochenmarkaufbaus ist Ihr Kind vermehrt durch Infektionen gefährdet. Daher müssen besondere Vorsichtsmaßnahmen zur Infektionsvorbeugung getroffen werden. Ihr Arzt und das Pflegepersonal werden Sie ausführlich beraten.
Wie werden die Stammzellen gewonnen?
Prinzipiell können Blutstammzellen entweder aus dem Knochenmark, dem Ort ihrer Entstehung, oder aus der Blutbahn gewonnen werden. Im ersten Fall nennt man das Verfahren ihrer Übertragung Knochenmarktransplantation, im zweiten Fall periphere Stammzelltransplantation.
Die periphere Stammzelltransplantation, also die Stammzellgewinnung aus dem Blut, gewinnt als Alternative zur Knochenmarktransplantation immer mehr an Bedeutung. Auch bei Patienten mit Neuroblastom werden die Stammzellen im Falle einer Megatherapie aus dem Blutkreislauf gewonnen. Denn: Stammzellen der Blutbildung finden sich nicht nur im Knochenmark, sondern auch im zirkulierenden Blut.
Allerdings sind Stammzellen im Blut unter normalen Bedingungen nur in geringen Mengen vorhanden. Daher wird dem Patienten vier bis fünf Tage vor der Stammzellentnahme täglich eine körpereigene Hormon-ähnliche Substanz, ein so genannter Wachstumsfaktor (zum Beispiel G-CSF) in die Haut gespritzt, der die Stammzellen dazu anregt, vermehrt aus dem Knochenmark in die Blutbahn überzutreten. Anschließend werden die Stammzellen mit Hilfe einer speziellen Zentrifugeneinrichtung (Blutzell-Separator) aus dem Venenblut des Patienten gesammelt.
Um genügend Blutstammzellen für eine erfolgreiche Transplantation zu erhalten, muss dieser Vorgang, die so genannte Stammzellapherese, an einem oder auch zwei (aufeinanderfolgenden) über jeweils zwei bis vier Stunden durchgeführt werden. Die aus Knochenmark oder Blutbahn isolierten Stammzellen werden bis zum Zeitpunkt der Transplantation in speziellen Anlagen bei minus 196°C tiefgefroren (“Kryokonservierung“) und in flüssigem Stickstoff gelagert.
Wo werden Stammzelltransplantationen durchgeführt?
Eine Hochdosis-Chemotherapie mit anschließender Stammzelltransplantation erfordert einen hohen Aufwand an apparativer Ausrüstung und hoch qualifiziertes Personal. Aus diesem Grund werden Stammzelltransplantationen fast ausschließlich an großen Kliniken durchgeführt, vor allem an Universitätskliniken und Tumorzentren.
Welche Risiken und Nebenwirkungen sind mit einer Stammzelltransplantation verbunden und welche Maßnahmen gibt es zur Vorbeugung beziehungsweise Linderung?
Eine Stammzelltransplantation ist für den Patienten eine sehr risikoreiche und belastende Behandlung. Sie geht mit zum Teil lebensbedrohlichen Komplikationen einher, an denen Patienten auch versterben können.
Risiken der Konditionierung (Chemotherapie)
Risiken ergeben sich zunächst durch die Knochenmark-zerstörende Chemotherapie, die der eigentlichen Transplantation vorausgeht; sie bringt die Immunabwehr des Patienten fast gänzlich zum Erliegen. Vor allem in der Zeit unmittelbar nach der intensiven Therapie und bevor die übertragenen Stammzellen die Blutbildung wieder in Gang gesetzt haben, ist der Patient durch den Mangel an Abwehrzellen extrem infektionsgefährdet.
Zum Schutz vor Infektionen und Pilzerkrankungen erfolgt deshalb bereits vorbeugend eine Behandlung mit entsprechenden Medikamenten. Außerdem muss sich der Patient in der Zeit vor und nach der Transplantation in einer Sterileinheit aufhalten, zu der außer Ärzten und Pflegepersonal nur wenige Personen – vielfach sogar in Schutzkleidung und mit Mundschutz – Zutritt haben. Die fehlenden roten Blutzellen (Erythrozyten) und Blutplättchen (Thrombozyten) müssen, bis das transplantierte Knochenmark die Blutbildung übernimmt, durch Transfusion ersetzt werden.
Die Zeit, in der die Bildung von Blutzellen brachliegt, wird als „Aplasie“-Phase bezeichnet. In der Regel beginnen die transplantierten Stammzellen mit einer Verzögerung von etwa 10 bis 20 Tagen mit der Produktion von Blutzellen. Sobald ausreichend weiße Blutzellen vorhanden sind, kann die Isolation aufgehoben werden. Dies ist normalerweise nach 10 bis 14 Tagen der Fall.
Risiken der Transplantation
Auch die Transplantation selbst kann mit verschiedenen Komplikationen verbunden sein. So besteht zum Beispiel immer die (geringe) Gefahr, dass das transplantierte Knochenmark nicht „anwächst“. Eine Stammzelltransplantation ist außerdem mit verschiedenen Spätfolgen verbunden, die vor allem auf die hoch dosierte Chemotherapie zurückzuführen sind.
Trotz der möglichen Nebenwirkungen darf jedoch nicht vergessen werden, dass die Stammzelltransplantation in manchen Fällen die einzige Chance ist, ein Neuroblastom zu heilen.
Basisliteratur
- Handgretinger R, Matthes-Martin S, Lang P: Hämatopoetische Stammzelltransplantation. in: Niemeyer C, Eggert A (Hrsg.): Pädiatrische Hämatologie und Onkologie, Springer-Verlag GmbH Deutschland 2. vollständig überarbeitete Auflage 2018, 17 [ISBN: 978-3-662-43685-1]
- Ebell W: Hämatopoetische Stammzelltransplantation. in: Gadner H, Gaedicke G, Niemeyer CH, Ritter J:. Pädiatrische Hämatologie und Onkologie Springer-Verlag, 2006, 66 [ISBN: 3540037020]