Krebsmerkmale
Autor: Dr. med. habil. Gesche Tallen, Zuletzt geändert: 03.04.2019
Inhaltsverzeichnis
Im folgenden werden die wesentlichen Abläufe in einer gesunden Zelle dem jeweiligen Krebsmerkmal gegenübergestellt.
Zellkommunikation
Für ihre Teilung und normale Ausreifung sind gesunde Zellen auf bestimmte Faktoren angewiesen, die ihr Wachstum und ihre Spezialisierung auf bestimmte Aufgaben anregen und steuern. Bei diesen so genannten Wachstumsfaktoren handelt es sich um körpereigene Eiweiße (Proteine). Sie regulieren das Zellwachstum, indem sie einerseits bestimmte Abläufe im Inneren einer Zelle und andererseits auch die Kommunikation zwischen verschiedenen Zellen steuern. Wachstumsfaktoren entfalten ihre Wirkung, indem sie sich zunächst von außen an einer bestimmten Stelle (an einem so genannten Rezeptor), an der Wand einer Zelle anheften („andocken“). Dadurch entsteht ein Reiz, den der Rezeptor wie eine Nachricht an zahlreiche Boten-Proteine und Biokatalysatoren (Enzyme) in der Zelle weitergibt. Diese Nachricht (Signal) durchläuft mehrere Stationen nacheinander (Signalkaskade) und aktiviert dabei bestimmte Gene, die für ein normales Zellwachstum sorgen.
Krebszellen brauchen diese Signale nicht, um sich zu teilen. Stattdessen teilen sie sich ganz unabhängig, reifen dabei aber meist nicht aus. Das bedeutet, dass unentwegt krankes, funktionsuntüchtiges Gewebe entsteht, welches dem umgebenden gesunden Gewebe Platz und Nährstoffe wegnimmt, und es auf diese Weise schädigt.
Krebsmerkmal: Krebszellen wachsen unkontrolliert.
Zellwachstumsregulation und Zellalterung
Gesunde Zellen reagieren auf bestimmte Signale, die ihnen mitteilen, wann sie aufhören sollen, sich zu teilen, beziehungsweise, wann es Zeit ist, alt zu werden, das heißt, aufzuhören sich zu teilen und abzusterben. Auf diese Weise bleibt eine gesunde Balance zwischen jungen und alten Zellen im Körpergewebe bestehen. Bei Krebszellen ist dieses Gleichgewicht aufgehoben – sie reagieren nicht auf wachstumshemmende Signale, sondern teilen sich unendlich oft. Ursachen für solche Fehlregulationen im Zellzyklus, die eine Zelle entarten lassen können, sind oft Veränderungen der Struktur (Mutationen) und/oder ihrer Aktivität, sogenannte epigenetische Veränderungen eines oder mehrerer Gene (s. u.: Erbgutveränderungen) [TAL2017].
Krebsmerkmal: Krebszellen teilen sich unendlich oft – sie altern nicht.
Zelltod (Apoptose)
Programmierter Zelltod (Apoptose, von griechisch: apoptosis – Fallende Blätter im Herbst“) ist ein natürlicher Prozess im Zellstoffwechsel, der in jedem gesunden Organismus stattfindet. Es handelt sich dabei um eine Art eingebautes „Selbstmordprogramm“ der Zelle, das durch bestimmte Signale (beispielsweise bestimmte Schädigungen in der Zelle) ausgelöst wird und daraufhin zu einem kontrollierten Zellabbau führt. Durch diese körpereigene Apoptose gelingt es dem Körper, gefährliche, kranke und überflüssig gewordene Zellen loszuwerden. Krebszellen können diese Sterbebefehle jedoch ignorieren.
Krebsmerkmal: Krebszellen sind unsterblich.
Erbgutveränderungen und Tumorstammzellen
Bei jeder Zellteilung verdoppelt sich die Erbsubstanz (Desoxyribonukleinsäure, DNA), um dann auf die beiden Tochterzellen verteilt zu werden. Bei diesem Verdopplungs- beziehungsweise Kopiervorgang können Fehler passieren oder auch bereits bestehende Fehler an die Tochterzellen weitergegeben werden, in denen sie dann weitere genetische Veränderungen verursachen (Mutationen). Bei einer Mutation kann es beispielsweise zum Verlust, fehlerhaften Austausch beziehungsweise fehlerhaften Hinzufügen eines DNS-Bausteins kommen.
In der Folge wird bei der nächsten Zellteilung eine falsche Erbinformation an die Tochterzellen weitergegeben. Eine gesunde Zelle ist in der Regel in der Lage, solche Fehler in der Erbsubstanz zu erkennen und daraufhin zu reparieren oder auf den Schaden mit Apoptose (s. oben) zu reagieren. Gefährlich wird es dann, wenn die Mutationen Gene betreffen, die das Zellwachstum kontrollieren, oder die an der DNS-Reparatur beziehungsweise dem programmierten Zelltod beteiligt sind (so genannte Wächter des Genoms:Tumorsuppressorgene oder Proto-Onkogene).
Dies ist in vielen Krebs- oder Krebsvorläuferzellen der Fall. Hier kann das Zellwachstum nicht mehr in Schach gehalten, Defekte können nicht mehr ordentlich repariert und auch kein Zelltod ausgelöst werden. Stattdessen vermehren sich die kranken Zellen ungehemmt und geben dabei ihre Schäden an die Tochterzellen weiter und diese wiederum an ihre Tochterzellen und so weiter. Auf diese Weise entsteht ein pausenloser Nachschub an bösartigen Zellen. Diese Ausgangszellen nennt man in der Krebsforschung auch „Tumorstammzellen“. Sie wurden erstmalig im Zusammenhang mit charakteristischen Eiweißen auf der Zelloberfläche von Leukämiezellen beschrieben. Bei Kindern und Jugendlichen mit bestimmten Krebserkrankungen werden solche Eigenschaften von Tumorstammzellen heute beispielsweise dazu benutzt, um eine minimale Resterkrankung nachzuweisen. So können Erkrankungsrückfälle rechtzeitig erkannt und möglicherweise früh behandelt werden, bevor es zu einem sichtbaren Rückfall kommt.
Tumorstammzellen können über lange Zeit in einer Art Schlafzustand verharren. Da Chemotherapie und Strahlentherapie aber hauptsächlich auf Zellen wirken, die sich gerade teilen, sind Tumorstammzellen in dieser Phase relativ unempfindlich gegenüber diesen Behandlungen. Solche ruhenden Tumorstammzellen sind wohl mitverantwortlich, wenn ein scheinbar zerstörter Tumor nach längerer Zeit wieder zu wachsen beginnt. Forscher arbeiten daher an Therapien, die zuerst schlafende Tumorstammzellen "wecken" sollen, um sie anschließend mit den gängigen Therapeutika zu behandeln. Bisher stehen solche Entwicklungen noch ganz am Anfang.
Krebsmerkmal: Krebszellen haben krankhafte Erbgutveränderungen, die Tumorwachstum fördern.
Energiestoffwechsel und Blutgefäßbildung
Die Ausbildung neuer Blutgefäße (Angiogenese) in gesunden Geweben von Kindern und Jugendlichen richtet sich normalerweise nach dem Bedarf an Sauerstoff und anderen Nährstoffen, das ein normales Körperwachstum fordert. Dabei sprießen die neuen Blutgefäße aus bereits bestehenden Gefäßen. Krebsgewebe braucht aber, wenn es eine bestimmte Größe erreicht hat, zusätzliche Blut- und Nährstoffversorgung, um weiterwachsen zu können. Deshalb haben Krebszellen die Eigenschaft, die Neubildung von Blutgefäßen (so genannte Tumor-Neo-Angiogenese) zu veranlassen. So können sie sich selbst ausreichend ernähren.
Krebsmerkmal: Krebszellen bilden ihre eigenen Blutgefäße, um sich selbst mit Sauerstoff-/Energie zu versorgen (Neoangiogenese).
Abwehrmechanismen
Normalerweise erkennt und bekämpft das körpereigene Abwehrsystem (Immunsystem) veränderte, kranke und andere fremde Zellen, um den Organismus davor zu schützen.
Krebszellen können jedoch “Tricks” entwickeln, mit denen sie diesen Abwehrmechanismen entkommen: Sie können einerseits die körpereigene Abwehrreaktion abschwächen, andererseits aber auch dem Immunsystem gezielt ausweichen. Es reicht aber nicht aus, sein Immunsystem zum Beispiel mit Vitaminen oder anderen Nahrungszusätzen zu „stärken“, um Krebs wirksam vorzubeugen beziehungsweise zu bekämpfen. Stattdessen arbeiten Forschergruppen derzeit daran, die “Tricks” der Krebszellen zu identifizieren, um deren Ausweichmanöver gezielt zu verhindern und dem Abwehrsystem dabei zu helfen, die Krebszellen als böse zu erkennen und sie daraufhin erfolgreich zu eliminieren.
Krebsmerkmal: Krebszellen lassen sich meistens von körpereigenen Abwehrzellen nicht angreifen.
Entzündungsmechanismen
Man weiß, dass Entzündungen normales, sie umgebendes gesundes Gewebe reizen. Dieses sendet Signale an Zellbotenstoffe aus, die Fresszellen (Makrophagen) zur Beseitigung der Schädigungen herbeirufen. Wenn aber die Reizung nicht aufhört und die Entzündung chronisch wird, dann kann die Aktivität all der beteiligten Botenstoffe zu einer solchen Überaktivität führen, dass diese sich nachteilig auf das gereizte Gewebe auswirkt. Das liegt daran, dass solche Überaktivitäten des körpereigenen Abwehrsystems zur Freisetzung von schädlichen Substanzen führen können. Diese Substanzen begünstigen Krebsmerkmale wie Erbgutschäden, gestörte Wachstumsregulation und defekte Zelltodmechanismen (s.o.).
Darüber hinaus reizt auch ständig wachsendes Krebsgewebe seine Umgebung und kann auf diese Weise zur Überaktivität des Immunsystems mit den entsprechenden Folgen beitragen. Daher, und weil sich Makrophagen in manchen Krebsgeweben finden, gehen Krebsforscher heute davon aus, dass auch chronische Entzündungen grundsätzlich zur Krebsentstehung und -ausbreitung beitragen können. Im Zusammenhang mit Krebs bei Kindern und Jugendlichen ist dieses Krebsmerkmal allerdings noch Gegenstand der Grundlagenforschung.
Krebsmerkmal: Krebszellen regen Entzündungen an, die das Tumorwachstum fördern.
Ausbreitung/ Metastasenbildung
Außer Blutzellen und Lymphozyten wandern Körperzellen nicht, sondern gehören zu einem festen Organgewebe im Organismus. Krebszellen können jedoch, zum Beispiel über das Blut- und/oder das Lymphsystem in andere Organe gelangen, dort anwachsen und Tochtergeschwülste bilden (metastasieren) und sich auf diese Weise im gesamten Körper ausbreiten (Metastasierung).
Krebsmerkmal: Krebszellen breiten sich ungehemmt aus.