Hirnstamm und Hirnnerven

Autor: PD Dr. med. Gesche Tallen, erstellt am: 24.04.2007, Redaktion: Maria Yiallouros, Zuletzt geändert: 02.02.2016

Als Hirnstamm bezeichnet man die Abschnitte des Gehirns, die sich unterhalb des Zwischenhirns befinden und die den Übergang zwischen Gehirn und Rückenmark bilden.

Durch diesen Abschnitt soll vor allem besser nachzuvollziehen sein, welche Krankheitszeichen durch einen Tumor in diesem Teil des Zentralnervensystems entstehen können und warum die meisten Hirnstammtumoren noch immer schwierig zu behandeln sind.

Der Hirnstamm besteht aus

  1. Mittelhirn (Mesencephalon)
  2. Brücke (Pons)
  3. verlängertem Mark(Medulla oblongata)

Außerdem liegen im Hirnstamm die Ursprungsorte der zwölf Hirnnervenpaare, die Hirnnervenkerne. In einem Hirnnervenkern entspringen die Fasern, die Erregungen unter anderem zu verschiedenen Muskeln im Kopf- und Halsbereich weiterleiten. Gleichzeitig kommen in diesen Kernen die Nachrichten aus den Regionen an, die von den entsprechenden Hirnnerven versorgt werden.

Mittelhirn (Mesencephalon)

Das Mittelhirn ist nach oben durch das Zwischenhirn und nach unten durch die Brücke begrenzt. Es besteht aus:

  • den Großhirnschenkeln (Crura cerebri): Durch diese verlaufen wichtige, zwischen Gehirn und Rückenmark auf- und absteigende Bahnen.
  • der Mittelhirnhaube (Tegmentum mesencephali): Dort befinden sich große Ansammlungen von Nervenzellkörpern für Muskelaktivitäten (zum Beispiel Substantia nigra, Nucleus ruber) und für den III. und IV. Hirnnerv (Augenmuskelnerven).
  • dem Mittelhirndach (Tectum mesencephali): Dieses besteht aus einer dünnen, hügeligen Gewebeplatte aus Nervenfasern (Vierhügelplatte), die sowohl Anteile der Sehbahn als auch der Hörbahn enthält.

Bezug zur Kinderkrebsheilkunde

Für eine Hirnstammschädigung durch einen Tumor im Bereich des Mittelhirns sprechen unter anderem:

  • Schielstellung der Augen
  • Unfähigkeit, die Augäpfel nach oben oder nach unten zu richten (vertikale Blicklähmung)
  • mittelweite, manchmal entrundete Pupillen
  • Bewegungsstörungen, Gangstörungen
  • Störungen der Atemtätigkeit
  • Konzentrationsstörungen, Bewusstseinsstörungen

Brücke (Pons)

Die Brücke ist nach unten durch das verlängerte Mark, nach oben durch das Mittelhirn und nach hinten durch das Kleinhirn begrenzt. Sie enthält die Nervenzellkörper für den V. bis VIII. Hirnnerv (siehe unten) sowie Teile des Atem-, Kreislauf- und Aktivitätszentrums. Die Brücke erhält zudem verschiedene Informationen aus dem Hörorgan und dem Gesicht, die sie über verschiedene Nervenfaserbahnen an das Kleinhirn weiterleitet.

Bezug zur Kinderkrebsheilkunde

Für eine Hirnstammschädigung durch einen Tumor im Bereich der Brücke sprechen unter anderem:

  • Schielstellung der Augen
  • Lähmung des Gesichtsnervs / Herabhängen einer Gesichtshälfte
  • Blickrichtungsstörungen
  • Lähmung von beiden Armen und beiden Beinen (komplette Querschnittslähmung)
  • unregelmäßige Atemtätigkeit
  • Bewusstseinsstörungen
  • Verlust der Willkürmotorik (außer Augen- und Lidbewegungen) bei erhaltenem Bewusstsein (Locked-in-Syndrom)

Verlängertes Mark (Medulla oblongata)

Das verlängerte Mark geht nach unten direkt ins Rückenmark und nach oben in die Brücke über. Nach hinten ist es vom Kleinhirn überdeckt. In seinem hinteren Anteil befinden sich die Ursprungsorte für den IX. bis XII. Hirnnerv (siehe unten). In seinem vorderen Anteil verdickt sich die größte vom Gehirn durch das Rückenmark absteigende Nervenbahn mit den Erregungsleitungen für die Muskelantworten, die Pyramidenbahn, zu den Pyramiden. Außerdem liegen im verlängerten Mark Gruppen von Nervenzellen, die mit den anderen Hirnstammanteilen das Atem- und Kreislaufzentrum bilden.

Bezug zur Kinderkrebsheilkunde

Für eine Hirnstammschädigung durch einen Tumor im Bereich des verlängerten Marks sprechen beispielsweise:

  • abgeschwächter oder fehlender Würge- und Hustenreflex
  • weite Pupillen
  • Schiefhals
  • Sprechstörungen und Zungenlähmung
  • Lähmung einer Körperhälfte (auf der Gegenseite der Schädigung)
  • Atmungs- und Kreislaufstörungen

Hirnnerven

Es gibt insgesamt zwölf Hirnnervenpaare. Sie sind, mit einer Ausnahme (N. vagus), in ihrem Verlauf und Versorgungsgebiet auf den Kopf-Hals-Bereich beschränkt und werden traditionell mit römischen Ziffern nummeriert (I-XII).

Bei den ersten beiden Hirnnerven (I und II) handelt es sich um Gehirnanteile, bei den übrigen zehn (III-XII) jeweils um Nervenpaare des peripheren Nervensystems (peripheres Nervensystem, siehe auch "Einführung zum Nervensystem"). Die Ursprungsorte (Hirnnervenkerne) der Hirnnerven I und II liegen im Großhirn beziehungsweise im Zwischenhirn. Die Ursprungsorte der übrigen Hirnnervenpaare befinden sich meist in Mittelhirn, Brücke oder verlängertem Mark, also im Hirnstamm. Sie sind hauptsächlich für die Gefühlsempfindungen, Sinneswahrnehmungen und die Muskeln im Kopf- und Halsbereich zuständig.

Anmerkung: Im Folgenden erfolgt eine Beschreibung von Verlauf und Funktion der einzelnen Hirnnerven. Bitte beachten Sie dabei, dass alle Hirnnerven paarig, das heißt, beidseitig angelegt sind.

I. Hirnnerv: Der Riechnerv (Nervus olfactorius)

Der Riechnerv (Nervus olfactorius) ist für die Geruchswahrnehmung zuständig. Er setzt sich aus gebündelten Fortsätzen der Sinneszellen in der Riechschleimhaut der Nase zusammen. Der Riechnerv zieht von der Nasenhöhle zum Riechkolben (Bulbus olfactorius), einer Gehirnausstülpung im vorderen Bereich der Schädelhöhle.

Bezug zur Kinderkrebsheilkunde

Bestrahlungen und verschiedene Tumoren, zum Beispiel Weichteilsarkome des Kopf- und Halsbereichs oder große ZNS-Tumoren im Bereich des vorderen Großhirns, können durch Schädigung des Riechkolbens die Geruchswahrnehmung des Patienten beeinträchtigen.

II. Hirnnerv: Der Sehnerv (Nervus opticus)

Der Sehnerv (Nervus opticus) ist eine Leitungsbahn des Gehirns, die für das Sehen zuständig ist. Er entspringt in der Netzhaut und tritt durch einen kleinen knöchernen Kanal aus der Augenhöhle in die Schädelhöhle ein. Im weiteren Verlauf bildet er mit dem Sehnerv der Gegenseite die Sehnervenkreuzung (Chiasma opticum).

Von hier an nennt man den Sehnervenfaserzug zunächst "Tractus opticus". Er zieht weiter durch Mittel- und Zwischenhirn und geht dann als "Sehstrahlung" in die Sehrinde über, welche sich im Hinterhauptslappen des Großhirns befindet (siehe auch Kapitel "Großhirn").

Bezug zur Kinderkrebsheilkunde

In der Kinderkrebsheilkunde spielt der Sehnerv unter anderem insofern eine wichtige Rolle, als dass er zum Beispiel durch bestimmte Tumoren, beispielsweise ein Retinoblastom oder ein niedriggradig malignes Gliom, geschädigt werden kann. Die Schädigung kann entweder direkt durch den Tumor erfolgen oder auch indirekt durch einen länger bestehenden erhöhten Druck in der Schädelhöhle, der ebenfalls tumorbedingt ist.

Typischerweise können niedriggradig maligne Gliome bei Kindern mit Neurofibromatose Typ 1 (NF1) im Bereich der gesamten Sehbahn vorkommen. Sie werden deshalb auch Sehbahngliome genannt.

In Kenntnis des Sehbahnverlaufs kann man sich nun bestimmt besser vorstellen, dass ein Tumor, eine Operation / Tumorentfernung oder auch eine Strahlentherapie im Bereich der Sehbahn immer mit dem hohen Risiko einhergeht, dass der Patient die Sehfähigkeit eines Auges verliert. Tumoren, die nahe der Sehnervenkreuzung liegen oder sogar von ihr ausgehen, sind in diesem Zusammenhang besonders gefährlich, denn hier sind die Nervenfasern beider Augen von einer möglichen Schädigung betroffen. Daher ist die Erstellung einer für den Patienten optimalen Behandlungsstrategie oft sehr schwierig.

Der Sehnerv spielt auch bei der Hirntumor-Diagnostik eine wichtige Rolle: Bei der Augenhintergrundspiegelung wird der Sehnerv untersucht, genauer gesagt, der Bereich der Netzhaut, aus dem er entspringt (Sehnervenpapille). Wölbt sich die Papille in die Augenhöhle hinein, so lässt das auf einen erhöhten Druck hinter der Papille und somit in der Schädelhöhle schließen (beispielsweise ausgelöst durch einen Hirntumor).

III. Hirnnerv: Augenmuskelnerv (Nervus oculomotorius)

Der Augenmuskelnerv (Nervus oculomotorius) ist zusammen mit dem IV. Hirnnerv (Nervus trochlearis) und dem VI. Hirnnerv (Nervus abducens) für die Bewegung der Augenmuskeln und damit für die Bewegung des Augapfels zuständig. Außerdem sendet er Nervenäste zu dem Muskel, der das Oberlid hebt sowie zu dem Muskel, der für die Nah- und Ferneinstellung der Augenlinse (Akkomodation) sorgt.

Der Augenmuskelnerv enthält außerdem spezielle Fasern, die – zusammen mit dem Sehnerv – für die Lichtreaktion der Pupillen, das heißt für die Engstellung der Pupillen (Miosis) bei Lichteinstrahlung, verantwortlich sind. Der III. Hirnnerv entspringt im Mittelhirn, zieht nach vorne und im Bereich der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) in die Schädelhöhle und dann weiter in die Augenhöhle. Dort teilt er sich in seine Äste auf.

Bezug zur Kinderkrebsheilkunde

Ein ZNS-Tumor, der den III. Hirnnerv in seinem Ursprung- und/oder Verlauf behindert, kann zum Funktionsausfall führen. Dann überwiegen für die Bewegung des Augapfels diejenigen Augenmuskeln, die von den intakten Augenmuskelnerven versorgt werden, während die, für die der III. Hirnnerv zuständig ist, gelähmt sind.

Dies führt zu einer typischen Schielstellung: Der Augapfel des betroffenen Auges ist nach außen und unten gerichtet und die Patienten klagen über Doppelbilder. Außerdem kommt es zur Lähmung des Augenlidmuskels und dadurch zum Herunterhängen des Augenlides (Ptosis).

Die Schädigung der Fasern für die Lichtreaktion (siehe oben) führt zum Überwiegen des Muskels, der für die Pupillenerweiterung zuständig ist. Dadurch kommt es zu einer sehr weiten Pupille (Mydriasis). Außerdem ist keine Nah- oder Ferneinstellung der Augenlinse (Akkomodation) mehr möglich – der Patient sieht dann unscharf.

Wird der N. oculomotorius hauptsächlich in seinem Ursprungsbereich, dem Mittelhirn, geschädigt – beispielsweise durch einen Tumor (zum Beispiel einem Tectumgliom) im Bereich des Mittelhirndachs (Vierhügelplatte; siehe Abschnitt "Mittelhirn") – so können Mydriasis (weite Pupille) und unscharfes Sehen zusätzlich von einer Blicklähmung begleitet sein, bei der beide Augäpfel nur noch geradeaus oder seitwärts, das heißt, nicht mehr nach oben oder unten gerichtet werden können (Parinaud-Syndrom).

Außerdem kann der Hirnstamm , zum Beispiel durch einen tumorbedingt erhöhten Druck in der Schädelhöhle, nach unten gegen den Schädelknochen gedrückt werden. Dies kann dazu führen, dass auch der III. Hirnnerv in seinem Verlauf gegen eine knöcherne Struktur im Bereich des Hirnstamms (Klivuskante) gedrückt wird. Die dadurch verursachte schnell zunehmende Bewusstseinseinschränkung mit Pupillenerweiterung ist ein Alarmzeichen und deutet auf eine dramatische, lebensbedrohliche Zustandsverschlechterung des Patienten hin (Klivuskantensyndrom).

IV. Hirnnerv (Nervus trochlearis)

Der IV. Hirnnerv (Nervus trochlearis) ist, ebenso wie der III. und der VI. Hirnnerv, an der Bewegung des Augapfels beteiligt. Er zieht etwas hinter und seitlich des III. Hirnnervs vom Mittelhirn in die Augenhöhle.

Bezug zur Kinderkrebsheilkunde

Wird der IV. Hirnnerv geschädigt, so kommt es durch das Überwiegen der von den noch intakten Augenmuskelnerven versorgten Muskeln zu einer Schielstellung, bei der der Augapfel nach oben und zur Nase hin gerichtet ist.

V. Hirnnerv (Nervus trigeminus)

Der V. Hirnnerv (Nervus trigeminus) ist ein großer Nerv mit vielen Aufgaben. Er entspringt am Seitenrand der Brücke und zieht dann in den vorderen Bereich der Schädelhöhle, wo er sich in seine drei Endäste aufteilt:

  • Der Nervus ophthalmicus gelangt mit dem III. Hirnnerv in die Augenhöhle und teilt sich dort in weitere Äste auf. Diese sind für den Nachrichtendienst der gesamten Augenhöhle, der Haut der Stirn, der Schleimhaut der Nasenscheidewand sowie, zusammen mit dem Gesichtsnerv (VII. Hirnnerv - Nervus facialis), der Tränendrüse zuständig sind.
  • Der Nervus maxillaris sendet Äste zur Augenhöhle, zur Schläfe, zum Gaumen, zur Wange, zur Oberlippe und zu Zahnfleisch und Zähnen des Oberkiefers.
  • Der Nervus mandibularis führt Äste für die Kaumuskulatur sowie zum Trommelfell, zur Haut des äußeren Gehörgangs, für die Gefühlsempfindung in den vorderen zwei Dritteln der Zunge, zur Unterlippe und zu Zahnfleisch und Zähnen des Unterkiefers. Zusammen mit dem Gesichtsnerv (VII. Hirnnerv - Nervus facialis) versorgt er außerdem die Ohrspeicheldrüse und die Speicheldrüsen im Mund.

Außerdem ist der V. Hirnnerv für den Kornealreflex verantwortlich. Dieser wird durch leichtes Berühren der Augen-Hornhaut (zum Beispiel mit einem Wattestäbchen) ausgelöst; es kommt zu Lidschluss und einer Aufwärtsbewegung des Augapfels.

Bezug zur Kinderkrebsheilkunde

Der V. Hirnnerv kann im Rahmen einer, meist behandlungsbedingten, Immunsuppression von einer Infektion mit dem Varizella-Zoster-Virus betroffen sein.

VI. Hirnnerv: Augenmuskelnerv (Nervus abducens)

Der Augenmuskelnerv (Nervus abducens) ist zusammen mit dem III. Hirnnerv (Nervus oculomotorius) und dem IV. Hirnnerv (Nervus trochlearis) für die Bewegung der Augenmuskeln und damit für die Bewegung des Augapfels zuständig. Seine Fasern entspringen in der Brücke, an deren Unterrand sie aus dem Hirnstamm austreten. Von dort ziehen sie zur vorderen Schädelgrube, wo sie mit dem III. Hirnnerv in die Augenhöhle eintreten. Der VI. Hirnnerv versorgt den Augenmuskel, der den Augapfel zur Seite zieht.

Bezug zur Kinderkrebsheilkunde:

Der Augenmuskelnerv kann zum Beispiel durch einen Hirntumor im hinteren Bereich der Schädelhöhle (beispielsweise einem Kleinhirn-Astrozytom oder einem Medulloblastom) oder auch durch eine (meist) vorübergehende Störung nach einer Operation in diesem Bereich geschädigt werden. Bei einer solchen Schädigung ist der betroffene Augapfel nach innen, also zur Nase hin gerichtet. Der Patient schielt und sieht doppelt.

VII. Hirnnerv: Gesichtsnerv (Nervus facialis)

Dieser große Nerv enthält alle Typen von Nervenfasern (für Gefühlsempfindungen, Muskelbewegungen, vegetative Funktionen). Sie entspringen in der Brücke, treten an deren Unterrand aus dem Hirnstamm aus und ziehen dann in einen knöchernen Kanal im Schläfenbein (Canalis facialis). In diesem Kanal werden zwei Nervenäste für die Versorgung von Mittel- und Innenohr (Nervus intermedius und Nervus stapedius) abgegeben.

Nach dem Austritt aus seinem Kanal verläuft der VII. Hirnnerv unterhalb der Ohrspeicheldrüse weiter nach vorne bis zum Hinterrand des Unterkiefers, wo er unter anderem Äste abgibt zur Versorgung eines Großteils der Gesichtsmuskulatur, der Ohrmuskeln, einiger Augenlidmuskeln (zum Beispiel den Muskel für den Lidschluss), der Geschmacksempfindung in den vorderen zwei Zungendritteln, der Tränendrüse, der Speicheldrüsen und einem großen Halsmuskel.

Bezug zur Kinderkrebsheilkunde:

Bei einer Schädigung des VII. Hirnnervs unterscheidet man abhängig vom Ort der Schädigung zwei unterschiedliche Lähmungstypen:

  • Bei der "peripheren Fazialisparese" ist die Schädigung des Nervs in seinem Verlauf (zum Beispiel durch einen Tumor oder durch Infektionen im Mittelohr) erfolgt. Es kommt zu einer schlaffen Lähmung aller Muskeln auf der betroffenen Gesichtshälfte (die Mundpartie hängt herab, das Auge kann nicht mehr geschlossen werden). Zudem treten auch Störungen des Augentränens, des Speichelflusses und der Geschmacksempfindung auf. In manchen Fällen kann die Erregbarkeit der Hörnerven herabgesetzt sein; der Patient hört dann "zu laut".
  • Die "zentrale Fazialisparese" wird durch eine Schädigung im Großhirn verursacht, genauer gesagt, in einem Bereich in der Großhirnrinde (siehe auch Kapitel "Großhirn"), der für die Erregungen im Gesichtsbereich zuständig ist. Anders als bei der peripheren Fazialisparese können die Stirn gerunzelt und das Auge geschlossen werden.

VIII. Hirnnerv: Gehör- und Gleichgewichtsnerv (Nervus vestibulocochlearis oder Nervus statoacusticus)

Der VIII. Hirnnerv ist aus zwei Komponenten zusammengesetzt: den Nervenbahnen für das Hörorgan und denen für das Gleichgewichtsorgan. Er führt hauptsächlich aufsteigende (afferente) Fasern.

Diese übertragen zum einen die Erregungen aus dem Innenohr zum Hirnstamm auf die Hörbahn und weiter zur Hörrinde des Großhirns (siehe auch "Das Großhirn"), zum anderen auf die Gleichgewichtsbahn zum Kleinhirn sowie auch zu den Ursprungsorten der Augenmuskelnerven (siehe auch: III., IV. und VI. Hirnnerv). Dadurch werden besonders Gleichgewicht, aufrechte Haltung, Kopfbewegungen und das Festhalten des Blickes bei Bewegungen kontrolliert.

Bezug zur Kinderkrebsheilkunde

Bei Kindern und Jugendlichen mit Kleinhirntumoren (zum Beispiel bestimmten niedriggradig malignen Gliomen oder einem Medulloblastom) sind die oben beschriebenen Körperfunktionen oft gestört.

IX. Hirnnerv: Zungen-Rachennerv (Nervus glossopharyngeus)

Der XI. Hirnnerv entspringt im verlängerten Mark (Medulla oblongata) des Hirnstamms. Von dort zieht er zum Zungengrund, wo er sich in seine Endäste aufteilt. Diese sind für Gefühlsempfindungen im Mittelohr, Teile der Ohrspeicheldrüse, Zungen- und Schlundmuskulatur, Gaumensegel, Drüsen und Schleimhaut des Rachens, für den Blutdruck-Sensor an der Karotis-Arterie (Glomus caroticum) und letztlich für die Geschmacks- und Gefühlsempfindung des hinteren Zungendrittels und den Würgereflex zuständig.

Der Zungen-Rachennerv fällt selten allein aus, sondern gemeinsam mit dem X. und dem XI. Hirnnerv, die gemeinsam mit ihm die Schädelhöhle verlassen.

Bezug zur Kinderkrebsheilkunde

Bei Schädigungen des Zungen-Rachennerves kann es zum Ausfall des Würgereflexes, zu Störungen der Geschmacksempfindung und zu einer Abweichung des Gaumensegels zur gesunden Seite hin (denn Muskelkraft der gesunden Seite überwiegt nun) sowie zu Schluckstörungen kommen.

Als Ursachen kommen sämtliche Schädigungen im verlängerten Mark, beispielsweise durch einen Hirnstammtumor oder durch erhöhten Druck in der Schädelhöhle, in Frage.

X. Hirnnerv (Nervus vagus)

Der X. Hirnnerv (Nervus vagus) nimmt seinen Ursprung im verlängerten Mark des Hirnstamms. Seine Fasern verlassen gemeinsam mit dem IX. und dem XI. Hirnnerv die Schädelhöhle. Der N. vagus ist der größte Nerv des Parasympathicus [siehe parasympathisches Nervensystem] und der wichtigste Gegenspieler des Sympathicus [siehe sympathisches Nervensystem].

Er versorgt nicht nur den Kopfbereich wie die übrigen Hirnnerven, sondern steigt in den Brust- und Bauchraum ab, wo er sich in den Eingeweiden (Herz, Atmungsorgane, Verdauungsorgane bis zum Dickdarm) netzartig verzweigt.

Im Kopf- und Halsbereich versorgen seine Äste unter anderem Ohrmuschel und äußeren Gehörgang, die harte Hirnhaut, die Schleimhaut von Kehlkopf und Luftröhre und die Kehlkopfmuskeln. In diesem Bereich wird er auch Nervus phrenicus genannt. (Weitere Informationen zu Parasympathicus und Sympathicus erhalten Sie im Kapitel "Vegetatives Nervensystem“.)

Bezug zur Kinderkrebsheilkunde

Große Tumoren im Halsbereich (Mediastinaltumoren, wie zum Beispiel bestimmte Lymphome) können zu einer Schädigung des X. Hirnnervs im Halsbereich führen. Die Patienten sind wegen der daraus folgenden Stimmbandlähmung heiser (Phrenicuslähmung).

XI. Hirnnerv (Nervus accessorius)

Der XI. Hirnnerv (Nervus accessorius) führt nur absteigende (efferente) Fasern zu verschiedenen Schlund- und Halsmuskeln. Einige seiner Fasern entspringen im verlängerten Mark des Hirnstamms und verlaufen gemeinsam mit dem X. Hirnnerv, andere entspringen in den ersten sechs Halssegmenten im Rückenmark.

Bezug zur Kinderkrebsheilkunde

Wenn dieser Nerv durch einen Rückenmarkstumor im Bereich der Halswirbelsäule oder im unteren Hirnstamm geschädigt ist, kommt es zu einer Schiefhaltung des Kopfes (Schiefhals). Außerdem kann der Arm der betroffenen Seite nicht mehr über die Schulter hinaus gehoben werden.

XII. Hirnnerv: Zungennerv (Nervus hypoglossus)

Der XII. Hirnnerv (Zungennerv) ist wie der XI. Hirnnerv ein rein motorischer Nerv. Er entspringt ebenfalls im verlängerten Mark und ist für die Versorgung der Zungenmuskulatur, also für die Zungenbewegungen zuständig.

Bezug zur Kinderkrebsheilkunde

Bei einer einseitigen Schädigung des XII. Hirnnervs, zum Beispiel durch einen Hirnstammtumor, kommt es zu einer halbseitigen Zungenlähmung mit Abweichen der Zunge zur gesunden Gegenseite, deren Muskeln nun vergleichsweise stärker ziehen.

Ist der Zungennerv beidseitig geschädigt, beispielsweise durch einen großen Hirnstammtumor oder aber eher noch durch einen Tumor im Bereich des Zungenversorgungsgebietes in der Großhirnrinde (siehe auch Kapitel "Großhirn"), dann kann es zu einer kompletten Zungenlähmung kommen, das heißt, die Zunge kann nicht mehr bewegt werden. Auf diese Weise entstehen schwere Sprechstörungen und eine Behinderung der Nahrungsaufnahme.

Mögliche Ursachen für Störungen von Hirnstamm- und Hirnnervenfunktionen

In der Kinderkrebsheilkunde kommen vor allem die im Folgenden aufgeführten Ursachen für eine Schädigung des Hirnstamms und damit auch der Hirnnerven in Frage. (Typische Krankheitszeichen bei Hirnstamm- und/oder Hirnnervenschädigungen sind jeweils in den Abschnitten "Mittelhirn", "Brücke", "verlängertes Mark" und "Hirnnerven" unter "Bezug zur Kinderkrebsheilkunde" beschrieben.)

Erhöhter Druck im Schädelinneren

Das Gehirn ist nach außen durch den knöchernen Schädel begrenzt. Das Großhirn liegt unten und hinten dem Kleinhirnzelt (Tentorium cerebelli) auf, welches das gesamte Kleinhirn überspannt und nur eine einzige Öffnung für die Verbindung zum Hirnstamm besitzt (Tentoriumschlitz).

Wenn also ein wachsender Tumor im Bereich des Großhirns dessen Reserveräume ausgeschöpft hat, kann das Gehirn den dadurch ansteigenden Druck im Schädelinneren nicht mehr abpuffern. Es kommt dann, entweder ein- oder beidseitig, zu einer lebensbedrohlichen Massenverschiebung von Großhirnanteilen nach unten und folglich zu deren Einklemmung im Schlitz des Kleinhirnzeltes. Dadurch erfährt der Hirnstamm einen starken Druck, der dramatische Folgen für den Patienten haben kann, wenn die klinischen Veränderungen nicht rechtzeitig erkannt und entsprechend behandelt werden.

Kleinhirntumoren

Kleinhirntumoren wie das Medulloblastom oder das Kleinhirn-Astrozytom können nach einer Ausschöpfung der Reserveräume eine Massenverschiebung mit Einklemmung von Kleinhirnanteilen von unten nach oben in den Tentoriumschlitz verursachen.

Ein sehr großer Tumor in dieser Region kann zusätzlich dazu führen, dass Kleinhirnanteile nach unten auf den Hirnstamm gedrückt werden, der dann in der knöchernen Schädelöffnung zum Wirbelkanal (Foramen occipitale magnum) einklemmt. Diese Gefahr wird verstärkt, wenn durch eine Lumbalpunktion der Druck im Rückenmarkskanal gesenkt wird und sich dadurch der Druckunterschied zwischen Schädelhöhle und Rückenmarkskanal noch weiter vergrößert. Hierdurch kann sich in kürzester Zeit ein Atemstillstand entwickeln.

Deshalb werden bei den betroffenen Patienten immer erst bildgebende Untersuchungen [siehe bildgebende Verfahren] durchgeführt, mittels derer das Ausmaß des Tumors abgeschätzt werden kann. Besteht die Gefahr einer Einklemmung, ist die sofortige Tumorentfernung notwendig.

Hirnstammtumoren

Etwa 10 bis 20 % der ZNS-Tumoren im Kindes- und Jugendalter sind Hirnstammtumoren, bei denen es sich meist um siehe Gliome handelt.

Circa 20 % der Hirnstammgliome wachsen, indem sie das Gewebe verdrängen (exophytisches Wachstum) und verlängertes Mark, Brücke und Mittelhirn in erster Linie durch Druck auf diese Strukturen schädigen. Die verbleibenden 80 % wachsen infiltrierend, das heißt in das Hirnstammgewebe hinein (intrinsisches Wachstum). Dadurch werden nach und nach sämtliche Hirnstammstrukturen zerstört.

Exophytische Tumoranteile können in manchen Fällen operativ entfernt werden, während intrinsisch wachsende Hirnstammgliome sehr schwer zu behandeln sind.

Anmerkung: Die frühzeitige Erfassung und Behandlung der drohenden oder bereits erfolgenden Einklemmung sind ein Ergebnis lückenloser Überwachung mit regelmäßigen körperlichen Verlaufsuntersuchungen durch ein spezialisiertes Behandlungsteam und entscheidend für die Prognose des Patienten.