Wie erfolgt die Behandlung von Patienten mit ALL-Rezidiv?

Autor: Maria Yiallouros, Zuletzt geändert: 01.06.2021

Literatur

  1. Schrappe M, Möricke A, Attarbaschi A, von Stackelberg A: Akute lymphoblastische Leukämie. in: Niemeyer C, Eggert A (Hrsg.): Pädiatrische Hämatologie und Onkologie. Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2. vollständig überarbeitete Auflage 2018, 269 [ISBN: 978-3-662-43685-1] SCH2018

Die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Rückfall (Rezidiv) einer akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL) erfolgt in Deutschland ausschließlich im Rahmen Therapieoptimierungsstudien oder Registern (siehe Kapitel „Therapiestudien/Register“ im Anschluss). Als Behandlungsmaßnahmen stehen Chemotherapie und Strahlentherapie sowie die Stammzelltransplantation zur Verfügung.

Welche Behandlung für den einzelnen Patienten in Frage kommt, hängt von verschiedenen Prognosefaktoren ab und somit von der Behandlungsgruppe (Risikogruppe), der der Patient zugeordnet wird. In Frage kommt eine Behandlung im Rahmen der Standardrisiko-Gruppe oder der Hochrisiko-Gruppe (siehe Kapitel "„Krankheitsrückfall - Therapieplanung").

Bei der Mehrzahl der Patienten mit ALL-Rezidiv beinhaltet die Behandlung eine intensivierte Chemotherapie mit dem Ziel der Remission sowie, im Anschluss, eine allogene Stammzelltransplantation. Manche Patienten sind durch eine alleinige Chemotherapie heilbar. Eine Strahlentherapie kann zur Behandlung von Zentralnervensystem und/oder Hoden ergänzend angezeigt sein. Ein Teil der Patienten spricht auf eine konventionelle Therapie überhaupt nicht oder nur unzureichend an (refraktäres oder zweites ALL-Rezidiv). Diese Patienten können möglicherweise von neuen Medikamenten mit anderen Wirkmechanismen profitieren, die im Rahmen von Phase-I-/-II-Studien erprobt werden.

Behandlungsmöglichkeiten bei Standardrisiko-Patienten

Patienten der Standardrisiko-Gruppe sprechen in der Regel gut auf eine konventionelle, intensive Induktions-Chemotherapie an, die auf die Rückfallsituation abgestimmt ist (so genannte Rezidiv-Induktionstherapie). Wenn die Zahl der Restleukämiezellen ( minimale Resterkrankung, MRD) nach der Induktion unter einem bestimmten Niveau liegt, ist die Prognose mit einer alleinigen Chemotherapie sehr gut (mit Überlebenswahrscheinlichkeit von über 60 %).

Patienten mit einem unzureichenden Ansprechen auf der MRD-Ebene haben mit alleiniger Chemotherapie eine schlechte Prognose (mit Überlebensraten von unter 20 %), so dass in diesen Fällen eine allogene Stammzelltransplantation erforderlich ist, um das Überleben an das der Patienten mit gutem Ansprechen anzugleichen [ECK2013a].

Behandlungsmöglichkeiten bei Hochrisiko-Patienten

Patienten der Hochrisiko-Gruppe sprechen deutlich schlechter auf die konventionelle Rezidiv-Induktionstherapie an. Sie haben nach alleiniger Chemotherapie eine sehr schlechte Prognose (mit Überlebensraten von unter 20 %) und benötigen daher generell eine Hochdosis-Chemotherapie mit anschließender allogener Stammzelltransplantation, um Aussicht auf Heilung zu haben [SCH2006a].

Die Durchführung einer solchen Behandlung setzt jedoch voraus, dass die Leukämiezellen durch die vorausgehende konventionelle Chemotherapie vollständig zurückgedrängt werden können, also eine zweite Remission erreicht wird. Im Rahmen einer Ende 2018 eröffneten Therapieoptimierungsstudie (IntReALL HR 2010) wird aktuell geprüft, ob die einleitende Standard-Chemotherapie durch Ergänzung eines so genannten Proteasom-Inhibitors (Bortezomib) zu einem besseren Remissionsergebnis führen kann (siehe auch Abschnitt "Neue Therapiemethoden").

Chemotherapie

Die Chemotherapie besteht wie bei der Erstbehandlung aus einer Induktionstherapie, einer Konsolidierungstherapie und einer Erhaltungstherapie (auch Dauertherapie genannt). Zum Einsatz kommen in erster Linie die Zytostatika der Ersttherapie, allerdings werden diese höher dosiert, mehrfach kombiniert und in dichterer Abfolge verabreicht.

Die intensive Therapiephase dauert bei Patienten, die keine Blutstammzelltransplantation (HSZT) benötigen (Patienten der Standardrisiko-Gruppe ohne HSZT-Indikation), etwa 20 Wochen. Die Dauertherapie läuft über einen Zeitraum von weiteren zwei Jahren und besteht (wie bei der Erstbehandlung) aus täglichen Gaben von 6-Mercaptorpurin (6-MP) und wöchentlicher Behandlung mit Methotrexat (MTX).

Patienten mit Rückfall einer Philadelphia-Chromosom-positiven ALL [Translokation t(9;22) mit dem Fusionsprotein BCR-ABL] haben eine schlechte Prognose. Sie werden überwiegend individuell behandelt und erhalten zusätzlich zur Chemotherapie einen so genannten Tyrosinkinase-Inhibitor. Dieser zielt darauf ab, das Fusionsprotein BCR-ABL, eine funktionsuntüchtige, krebserzeugende Tyrosinkinase, auszuhebeln.

Strahlentherapie

Die Bestrahlung wird bei Kindern und Jugendlichen mit ALL-Rezidiv nur dann eingesetzt, wenn Zentralnervensystem (ZNS) und/oder Hoden befallen sind, so genannte Extrakompartimente, in denen die Leukämiezellen mit einer systemischen Chemotherapie relativ schlecht erreichbar sind.

Patienten mit ZNS-Rezidiv erhalten am Ende der intensiven Chemotherapiephase (Induktion und Konsolidierung) eine therapeutische Bestrahlung von 18 Gray (Gy). Bei Kindern unter zwei Jahren wird eine geringere Strahlendosis eingesetzt; dies gilt auch bei Patienten mit hoher Strahlenvorbelastung durch die Ersttherapie oder einem zu kurzen Abstand zu einer vorhergehenden Strahlentherapie.

Im Falle eines Hodenrezidivs hängen das Für und Wider sowie die Intensität der Strahlentherapie in erster Linie davon ab, ob der Hoden klinisch befallen (also schmerzlos vergrößert ist) oder nicht. Bei einem klinisch befallenen Hoden wird in der Regel eine Entfernung des Organs (Orchiektomie) als die sinnvollere und, vor allem, sicherere Methode empfohlen. Wird der Hoden nicht entfernt, wird eine relativ hohe Strahlendosis (24 Gy) verabreicht, Folgerezidive können jedoch nicht ausgeschlossen werden. Der gegenseitige Hoden wird, wenn er klinisch nicht befallen ist und auch die Biopsie keinen Hinweis auf einen Befall gibt, mit 15 Gy bestrahlt. Ist der gegenseitige Hoden zwar klinisch unauffällig, aber laut Gewebeentnahme befallen, ist eine Bestrahlungsdosis von 18 Gy vorgesehen.

Während die geringeren Strahlendosen (von 15 und 18 Gy) zwar zur Unfruchtbarkeit führen, jedoch in der Regel die Geschlechtsentwicklung nicht beeinflussen, ist eine Behandlung mit 24 Gy mit einem vollständigen Funktionsverlust der Hoden verbunden, das heißt, es werden keine männlichen Hormone mehr gebildet und der Hoden bildet sich zurück (siehe auch Kapitel „Spätfolgen“).

Stammzelltransplantation

Eine Stammzelltransplantation wird wie bei der Erstbehandlung nur bei Patienten eingesetzt, die mit einer konventionellen intensiven Chemotherapie ein hohes Rückfallrisiko (ab 50 %) und somit eine schlechte Prognose haben. Die Indikation für eine Stammzelltherapie ist daher gegeben bei:

  • allen Patienten mit ALL-Rezidiv der Hochrisiko-Gruppe
  • Patienten der Standardrisiko-Gruppe mit unzureichendem Ansprechen auf die Induktionstherapie

Die Behandlung besteht aus einer intensivierten Chemotherapie ( Hochdosis-Chemotherapie), an die sich eine allogene Stammzelltransplantation anschließt. Da eine Stammzelltransplantation für die Überlebenswahrscheinlich der Rezidivpatienten entscheidend ist, werden neben den idealen Stammzellspendern (Geschwisterkinder oder Fremdspender mit übereinstimmenden HLA-Merkmalen) experimentell auch schlechter kompatible Fremdspender oder haploidente Eltern zugelassen. Letzteres wird als haploidentische Stammzelltransplantation bezeichnet (siehe auch Kapitel „Behandlungsmethoden - Stammzelltransplantation“ unter Erstbehandlung).

Neue Therapiemethoden

Patienten, die mit einer Standardbehandlung (Chemotherapie, Stammzelltransplantation) keine Heilungschancen haben, können möglicherweise von neuen, gezielt wirkenden Substanzen profitieren, die im Rahmen von Studien (Phase I-II, Pharmastudien) erprobt werden. Geprüft wird, ob solche Medikamente die Leukämie zurückdrängen können, das heißt, zu einer Remission führen, und so die Voraussetzung für eine auf Heilung ausgerichtete (kurativen) Weiterbehandlung (allogene Stammzelltransplantation) schaffen.

Die Anwendung neuer Substanzen kann zum Beispiel bei Patienten in Frage kommen, die auf eine Induktionstherapie nicht ansprechen (so genannte Non-Responder), bei Patienten mit großer Leukämierestzahl (minimale Resterkrankung, MRD) nach der Konsolidierung (vor einer geplanten Stammzelltransplantation) und Patienten mit einem Folgerezidiv nach Chemotherapie oder Stammzelltransplantation.

Derzeit zugelassene und untersuchte Substanzgruppen sind zum Beispiel

  • Nukleosidanaloga wie Clorafabin, Nelarabin: Hierbei handelt es sich um „falsche“ Purinbasen, die in neu entstehende Nukleinsäuren (DNA, RNA) eingebaut werden und auf diese Weise die bösartigen Zellen schädigen.
  • Niedermolekulare Verbindungen („small molecules“): Hierzu gehören zum Beispiel die Tyrosinkinase-Inhibitoren
  • Proteasom-Inhibitoren (wie Bortezomib): Sie hemmen einen Komplex aus Enzymen (Proteasen) in der Zelle, die so genannten Proteasomen, deren Aufgabe es unter anderem ist, nicht mehr benötigte Proteine zu erkennen und abzubauen. Proteasomen sind in Krebszellen besonders aktiv, was dazu führt, dass diese sich ungehindert vermehren können. Wird die Aktivität der Proteasomen gehemmt, sammelt sich „Müll“ in den Zellen an, wodurch diese in den Zelltod getrieben werden. Die geschädigten Zellen reagieren auch besonders empfindlich auf eine Chemotherapie.
  • Monoklonale Antikörper (wie Rituximab oder Inotuzumab Ozogamicin): [siehe monoklonale Antikörper]

Die verschiedenen Substanzen und Wirkmechanismen werden intensiv erforscht, zum Teil mit vielversprechenden Ergebnissen. Weitere Informationen zum Thema "Nukleosidanaloga", die zu den Antimetaboliten gehören, und zu den "Monoklonalen Antikörpern" finden Sie in unserem Text zu Zytostatika-Substanzgruppen.