Nutzung des körpereigenen Abwehrsystems - Immuntherapie

Autor: Dr. med. habil. Gesche Tallen, Zuletzt geändert: 03.04.2019

Kaum eine Behandlungsform gegen Krebs wird derzeit so intensiv erforscht und weiterentwickelt wie die Immuntherapie. Die Strategie von Immuntherapien bedient sich der Fähigkeit des körpereigenen Abwehrsystems (Immunsystem), körperfremde oder kranke Zellen, wie beispielsweise Krebszellen, zu erkennen und daraufhin gezielt zu vernichten, dabei allerdings gesunde Zellen nicht anzugreifen.

Zu den Immuntherapien, die sich bisher in der Pädiatrischen Onkologie erfolgreich gezeigt haben, gehören:

Antikörpertherapien

Tumorspezifische Antikörper sind kommerziell hergestellte Moleküle (Immunglobuline), die ganz spezielle, für bestimmte Krebszellen charakteristische Eigenschaften (tumorspezifische Antigene), zum Beispiel spezielle Strukturmerkmale auf deren Zellwandoberfläche (wie „CD19“, "CD22" oder „GD2“), erkennen, sich daran binden und dadurch eine Kaskade von Reaktionen auslösen, die die Zellen dann vernichten (Zytolyse). Zahlreiche solcher Antikörper befinden sich derzeit in der klinischen Prüf-Phase II/III (siehe Klinische Studien). Erste Erfolge damit gibt es in der Pädiatrischen Onkologie insbesondere bei Patienten mit Leukämien oder Lymphomen, wie beispielsweise mit dem Einsatz des Antikörpers Blinatumomab („Anti-CD19“), bei einer speziellen Formen der akuten lymphoblastischen Leukämie (B-Vorläufer-ALL) im Kindes- und Jugendalter. Aktuell werden verschiedene Antikörper in frühen klinischen Studien auf ihre Wirksamkeit und Verträglichkeit getestet.

Zur Behandlung großer solider Tumoren sind solche Antikörper allerdings nicht so gut geeignet, weil sie als Moleküle zu groß sind, um in tiefe Tumorschichten einzudringen. Deshalb kommt die Antikörpertherapie bei Patienten mit soliden Tumoren nur zum Einsatz, wenn eine minimale Resterkrankung (siehe oben) nach operativer Tumorentfernung und Chemotherapie vorliegt. Auf diese Weise sollen einzelne, noch frei im Körper bewegliche Krebszellen eliminiert und dadurch Fernabsiedlungen (Metastasierung) verhindert werden. Das erfolgreichste Beispiel in der Pädiatrischen Onkologie ist in diesem Zusammenhang die Behandlung mit dem „Anti-GD2 Antikörper“ beim Neuroblastom.

INFORM-Registerstudie

Grundlage für den erfolgreichen Einsatz einer zielgerichteten Therapie ist die Identifizierung einer molekularen Zielstruktur im Tumorgewebe. Um allen Kinder- und Jugendlichen mit einem Rückfall Ihrer Tumorerkrankung oder unheilbaren Neudiagnosen eine solche präzise molekulare Untersuchung zu ermöglichen wurde die INFORM-Registerstudie entwickelt (INdividualized Therapy FOr Relapsed Malignancies in Childhood – INFORM).

Unter dem Dach der GPOH sind 11 Studiengruppen und 58 Behandlungszentren am INFORM-Register beteiligt und darüber hinaus weitere europäische Länder und Australien Die Ergebnisse der INFORM-Analyse werden in einem molekularen Tumorboard mit den behandelnden Ärzten besprochen um eine passende, individuelle Therapie möglichst im Rahmen einer klinischen Studie für den betroffenen Patienten zu finden. Die molekularen Veränderungen und klinischen Verläufe der in INFORM eingeschlossenen Patienten werden wissenschaftlich am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg (DKFZ) ausgewertet. .

Genetisch veränderte T-Lymphozyten

Eine weitere, sehr vielversprechende immuntherapeutische Strategie besteht darin, T-Lymphozyten, die man zuvor dem Patienten selbst oder einem gesunden Spender entnommen hat, (genetisch zu manipulieren. Dabei werden so genannte „chimeric antigen receptors - CARs“ in die T-Zellen eingeschleust (transduziert), die die Fähigkeit haben, wie tumorspezifische Antikörper (s.o.), Tumorzellen über deren typische Oberflächenmerkmale zu erkennen und anschließend zu vernichten.

CAR-transduzierte T-Zellen haben bereits großen Erfolg bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit bestimmten Formen der ALL (B-ALL) gezeigt, wenn die Erkrankung gegenüber herkömmlichen Substanzen nicht mehr sensibel war. Ob diese Behandlungsstrategien auch bei jungen Patienten mit soliden Tumoren Erfolge haben werden, ist derzeit noch Gegenstand der klinischen Forschung.

„Tumorimpfung“ (Tumorvakzination) mit dendritischen Zellen

Wie bei Impfungen gegen Infektionskrankheiten kann die Tumorvakzination eine schützende körpereigene Abwehrreaktion auslösen. Zur Herstellung des “Tumorimpfstoffes” werden im Labor Tumorzellen speziell präpariert, um dann den natürlichen Killerzellen des Immunsystems als „feindlich“ vorgeführt zu werden. Somit wird das körpereigene Abwehrsystem auf Tumorzellen aufmerksam gemacht, damit diese erkannt und vernichtet werden.

Hier kommen die dendritischen Zellen (DZ) zum Einsatz. Dabei handelt es sich um eine spezielle Art von Abwehrzellen, die wiederum andere Immunzellen gezielt zur Immunabwehr aktivieren. Dendritische Zellen sind überall im menschlichen Organismus, insbesondere im Blut (Blutdendriten) oder in der Haut (Langerhans Zellen). Aus Zellen des weißen Blutsystems, den Monozyten, lassen sich dendritische Zellen im Labor in größerer Zahl herstellen. Wenn sie ausgereift sind, können sie beispielsweise mit den Tumorzellen aus dem patienteneigenen Tumorgewebe, das dem Patienten zuvor im Rahmen der chirurgischen Tumorentfernung oder durch eine Biopsie entnommen wurde beladen werden. Diese tumorzellspezifischen dendritischen Zellen werden dem Patienten als Impfung verabreicht. Über Lymph- und Blutbahnen gelangen die Zellen nun in die Lymphknoten und regen dort das Immunsystem dazu an, die bösartige Erkrankung des Patienten gezielt anzugreifen und zu vernichten.

Tumorvakzinationen zeigen größte Erfolge, wenn der Tumor komplett entfernt werden konnte und noch keine Metastasen vorliegen. Außerdem sollte das körpereigene Abwehrsystem zuvor möglichst wenig durch eine Zytostatikatherapie unterdrückt worden sein. Die Wirksamkeit hängt von der Art der Krebserkrankung ab.

Bei Kindern und Jugendlichen mit Glioblastom, einem hochgradig bösartigen Hirntumor, hat die Tumorimpfung mit dendritischen Zellen bereits Erfolge gezeigt. Sie befindet sich jedoch noch in der klinischen Prüfphase (s. Klinische Forschung).

Es gibt noch zahlreiche weitere neue immuntherapeutische Behandlungsansätze. Dazu zählen Immuntherapien wie „Check-Point-Inhibitoren“, deren Wirksamkeit bei Kindern und Jugendlichen allerdings noch geprüft werden muss.

Wichtig zu wissen: Die meisten Immuntherapien erfordern komplizierte und kostenaufwändige Herstellungs- und diagnostische Methoden. Die Zukunft wird zeigen, ob sie sich für Kinder und Jugendliche mit Krebserkrankungen eignen und wie sie in die aktuellen Behandlungsprotokolle integriert werden können .

Da all diese Verfahren das Tumorwachstum sowie die Interaktion zwischen Immunsystem und Tumor auf unterschiedliche Weise beeinflussen, bieten gute Kombinationsstrategien vielversprechende Ansatzpunkte, um vor allem künftig auch Erkrankungsrückfälle (Rezidive) bei bisher unheilbaren Erkrankungen wirkungsvoll zu verhindern.