Fortbildungskonzept SICKO (Sicherheit in der Kinderonkologie)

Das Fortbildungskonzept SICKO (Sicherheit in der Kinderonkologie) ist an der Medizinischen Hochschule Hannover entwickelt worden. Es handelt sich um ein modulares Einarbeitungs- und Trainingskonzept für Mitarbeiter aus Pflege und Ärzteschaft, um höhere Sicherheit bei der Behandlung von Patienten zu gewährleisten.

Autor: PD Dr. Lorenz Grigull, Birte Rodewald, Petra Tiroke, erstellt am: 16.04.2015, Redaktion: Julia Dobke, Zuletzt geändert: 19.05.2015

Einführung

Die erfolgreichen Protokolle und Behandlungskonzepte in der Kinderonkologie enthalten komplexe Therapien, die hohe und steigende Anforderungen für die Anwender mit sich bringen. Neben der Verabreichung der Chemotherapien sind manuelle Fähigkeiten und präzise Kommunikation in einem multiprofessionellen Team erforderlich. Hierbei ist die Ausbildung im pflegerischen oder medizinischen Bereich nicht entsprechend angepasst worden. Fallberichte und systemische Erfassungen dokumentieren, dass unterschiedliche (Beinahe-) Fehler in diesem Bereich auftreten.

Daher wurde ein Einarbeitungs- und Trainingskonzept neu entwickelt, um Mitarbeiter aus Pflege und Ärzteschaft schrittweise für die typischen Behandlungs- und Beratungsanlässe im Bereich Kinderonkologie zu schulen.
 
Im Rahmen einer Bedarfsanalyse mittels anonymisierter Mitarbeiterbefragung ergab sich der Wunsch nach einer standardisierten Einarbeitung von neuen Mitarbeitern aus dem pflegerischen und ärztlichen Bereich. „Empathie“ und „Kommunikation“ wurden als bereits vorhandene Kompetenzen bezeichnet, bessere und mehr praktische Kenntnisse zur Durchführung einer Knochenmarkpunktion (KMP), Lumbalpunktion (LP) und von Transfusionen wurden als wichtige Voraussetzung für den Bereich Onkologie benannt.

Eine gezielte Literaturrecherche führte neben den inhaltlichen Schwerpunkten mit Themen aus der Onkologie (Leitlinienrecherchen/ Standards für onkologische Interventionen) auch in pädagogische Bereiche (Aufbau eines Workshops, Auswahl und Definition geeigneter Lernziele für Teilnehmer, Blooms Taxonomie). Die erarbeiteten Inhalte flossen direkt in die Erstellung von Unterrichtsmaterialien und -inhalten für den Workshop.

Das Gesamtkonzept beinhaltet 3 Module, die aufeinander aufbauend Mitarbeiter mit theoretischen und praktischen Kenntnissen und Fertigkeiten versorgen.

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Modul 1 - Grundkenntnisse in der Kinderonkologie

Modul 1, ein Tagesworkshop zum Basiswissen (KMP, LP, zentrale Katheter, Transfusionen, Chemotherapie), vermittelt den Teilnehmern Grundlagen und bietet Gelegenheit für praktische Übungen an (Abbildung 1).

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Abbildung 1: Die korrekte Durchführung einer Lumbalpunktion wird am Modell geübt. Bei korrekter Lage der Punktionsnadel wird Liquor aufgefangen.

Junge Kollegen können die Abläufe stressfrei in ruhiger Atmosphäre einüben, bevor die erste Lumbalpunktion am Patienten erfolgt. Natürlich wird die Lumbalpunktion auch von Mitarbeitern aus der Pflege geübt. Dieser Rollentausch verbessert das Verständnis füreinander im multiprofessionellen Team. Ein Nebeneffekt der praktischen Übungen ist der kollegiale Austausch untereinander. Teilnehmer aus unterschiedlichen Kliniken haben zum Teil erstmalig die Möglichkeit zu erfahren, wie die Prozedur „woanders“ gemacht wird. Wenn vorhanden, ergänzen die Workshop-Leiter mit Leitlinien bzw. Empfehlungen der jeweiligen Fachgesellschaften die Diskussion.

Analog zum Vorgehen bei der LP werden die Teilnehmer in Kleingruppen zum Umgang mit Port- und Broviac-Katheter geschult. Hier zeigt sich das gleiche Bild: die Teilnehmer lernen sowohl von den Workshop-Inhalten als auch vom Austausch untereinander.

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Abbildung 2: Kursteilnehmerin übt das Anstechen eines Port-Katheters am Modell, unterstützt von Lorenz Grigull.

Am Beispiel der KMP ergab die Recherche, dass kein kommerziell erwerbbares Modell auf dem Markt zu beziehen war. Versuche mit Tierknochen (Schwein, Rind) wiederum waren erfolglos. Dank einer Kooperation mit dem SkillsLab der Tierärztlichen Hochschule Hannover konnte jedoch ein entsprechendes Modell entwickelt werden. So wird im Rahmen des Workshops zum Modul 1 auch die Durchführung einer KMP erstmalig am Modell trainiert. (Abbildungen 3a - c). Die TeilnehmerInnen aus dem ärztlichen Bereich können Sicherheit in den Abläufen gewinnen, Pflegende wiederum haben die Chance, diese Prozedur kennenzulernen.

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Abbildung 3a: Bei dem hier gezeigten Modell handelt es sich um eine Entwicklung des SkillsLab der Tierärztlichen Hochschule (Marc Dilly und Jan Rosenthal). Eine weiche Gummihaut ummantelt eine Hartplastik-Matrix, die der Form des Beckens nachempfunden ist. Im Kern des Modells befindet sich ein befüllbares Schlauchsystem, sodass bei korrekter Position der KMP-Nadel auch „Knochenmark“ aspiriert werden kann.

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Abbildung 3b: Einsatz im Workshop

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Abbildung 3c: Das Gefühl beim Punktieren des Modells entspricht sehr der KMP beim Menschen.

Weitere Schwerpunkte im Modul 1 sind Chemotherapie und Verbesserung der Kommunikation durch z.B. interaktive Rollenspiel-Übungen.

Das Merkmal der Sicko-Workshops ist die abwechslungsreiche und innovative Gestaltung der Unterrichtseinheiten. Daher findet nur wenig Frontalunterricht statt und Powerpoint-Folien sind die Ausnahme. Stattdessen wird z.B. im Rollenspiel die Begrüßung eines neuen Patienten simuliert und so das Thema „Kommunikation“ eingeläutet. Konzentrations-Tests wiederum vermitteln den Teilnehmern anschaulich im Selbst-Test, wie sehr sich Störungen auf die Ergebnisqualität auswirken. Der Bezug zur „Sicherheit in der Kinderonkologie“ wird unmittelbar hergestellt: Alle TeilnehmerInnen arbeiten in ihrem beruflichen Umfeld mit Chemotherapie. Rechenfehler beim Erstellen des Chemotherapieplanes oder falsche Laufgeschwindigkeiten der Chemo-Infusion werden durch Störungen am Arbeitsplatz begünstigt. Hier liefert der Workshop Impulse, die eigene Arbeitswelt und den Arbeitsplatz entsprechend „sicherer“ zu gestalten.

Modul 2 - Komplikationen in der Kinderonkologie

Im Rahmen des Modul 2 haben TeilnehmerInnen einerseits erneut die Möglichkeit, spezifische Tätigkeiten am Modell und Arbeitsabläufe im Team zu trainieren. Daneben stehen aber besonders typische Komplikationen des Bereiches Kinderonkologie (z.B. Tumorlyse-Syndrom, Kind mit Sepsis, Schmerzbehandlung) und deren Management im Vordergrund. Anhand definierter Szenarien erarbeiten die TeilnehmerInnen in Kleingruppen Lösungsstrategien. Im Plenum werden dann die Lösungen vorgestellt und diskutiert. Auch im Modul 2 wird die Arbeit im multiprofessionellen Team unterstützt, indem die Teilnehmer in unterschiedliche Rollen schlüpfen und sich entsprechend „ein-denken“ und „ein-fühlen“ müssen.

Modul 3 - Erhöhtes Anforderungsniveau

Das Modul 3 setzt Vorerfahrung in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit einer Krebserkrankung voraus. Die hier zum Einsatz kommenden Szenarien weisen eine höhere Komplexität auf, so dass nicht nur die reine Fachkenntnis zum Erfolg führt, sondern die Arbeit im Team noch stärker Berücksichtigung finden muss. Um hier einen möglichst hohen und nachhaltigen Lernerfolg für die Teilnehmer zu erzielen, werden die Fallsituationen durch individuelles Feedback anhand von Beobachtungen und Videodokumentation reflektiert.

Entwicklung von Checklisten

Begleitend werden den Kursteilnehmern in allen Modulen durch „best-practice-Beispiele“ Anregungen gegeben, die auch für den eigenen Arbeitsplatz zu nutzen sind.
In Hannover wurden z.B. im Rahmen des Projektes Checklisten entwickelt und eingeführt, um typische Prozeduren im stationären oder ambulanten Bereich (noch) sicherer für die Patienten zu machen.

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Abbildung 4: Checkliste zur Vorbereitung eines Patienten für eine Lumbalpunktion.
Sind alle Häkchen im grünen Bereich, sind die Voraussetzungen für eine Lumbalpunktion erfüllt.

 

Zusammenfassung und Ausblick

Zusammenfassung
Es besteht Bedarf, Mitarbeiter gezielt für den speziellen Arbeitsplatz „Kinderonkologie“ vorzubereiten und regelmäßig zu schulen. Hierfür entwickeln wir ein Schulungskonzept, welches TeilnehmerInnen aus der Pflege und dem ärztlichen Bereich gemeinsam mit theoretischen und praktischen Fähigkeiten ausrüstet. Das Konzept steht nicht im Widerspruch zu bestehenden Einarbeitungskonzepten, sondern bietet darüber hinaus Gelegenheit für den multiprofessionellen Austausch. Die Finanzierung des Projektes erfolgt für 2 Jahre durch den Elternverein Krebskranke Kinder Hannover e.V..

Ausblick
Zukünftige Ziele von SICKO sind u.a. die Entwicklung einer Datenbank für die Dokumentation von sicherheitsrelevanten Zwischenfällen in der Kinderonkologie; der Aufbau eines Netzwerkes „Sicherheit in der Kinderonkologie“ sowie die Weiterentwicklung von Trainingsprogrammen und regelmäßige Treffen des Netzwerkes und weiterer interessierter Teilnehmer.

Kontakt

PD Dr. Lorenz Grigull, Birte Rodewald, Petra Tiroke
Medizinische Hochschule Hannover
Kinderklinik, Pädiatrische Hämatologie und Onkologie
Carl-Neuberg Str. 1
D-30623 Hannover
E-Mail: Grigull.lorenz@mh-hannover.de