Hochdosis-Chemotherapie und Stammzelltransplantation

Autor: Maria Yiallouros, erstellt am: 04.08.2010, Zuletzt geändert: 28.05.2020

Basisliteratur

  1. Ebell W: Hämatopoetische Stammzelltransplantation. in: Gadner H, Gaedicke G, Niemeyer CH, Ritter J:. Pädiatrische Hämatologie und Onkologie Springer-Verlag, 2006, 66 [ISBN: 3540037020] EBE2006a
  2. Klingebiel T: Knochenmark- und Stammzelltransplantation, in Gutjahr P: Krebs bei Kindern und Jugendlichen. Deutscher Ärzte-Verlag Köln 5. Aufl. 2004, 83 [ISBN: 3769104285] KLI2004

Kommt es zu einem Krankheitsrückfall (Rezidiv) oder kann durch die übliche chemotherapeutische Behandlung eine komplette Krankheitsrückbildung nicht erreicht werden, so ist unter Umständen eine Hochdosis-Chemotherapie sinnvoll. Die verabreichte Zytostatikadosis ist dabei so hoch, dass auch widerstandsfähige Lymphomzellen im Körper abgetötet werden.

Die intensive Behandlung zerstört jedoch nicht nur die bösartigen Zellen, sondern auch das blutbildende System im Knochenmark. Aus diesem Grund müssen dem Patienten nach Abschluss der Behandlung Stammzellen der Blutbildung (Blutstammzellen) aus dem Knochenmark oder Blut eines Spenders übertragen (transplantiert) werden, die das zerstörte Knochenmark wieder aufbauen. Fachleute sprechen auch von hämatopoetischer Stammzelltransplantation (abgekürzt: HSZT oder SZT).

Blutstammzellen sind die „Mutterzellen“ aller Blutzellen. Sie werden im Knochenmark gebildet und können sich zu allen Formen von Blutzellen weiterentwickeln. Diese Fähigkeit der Stammzellen macht man sich bei der Stammzelltransplantation zunutze. Voraussetzung für die Durchführung dieser Behandlung ist allerdings, dass bereits zuvor ein Großteil der bösartigen Zellen durch eine konventionelle Chemotherapie zerstört werden konnte, also eine so genannte Remission erreicht wurde.

Da es sich um eine belastende und sehr risikoreiche Behandlung handelt, sind auch das Alter und der allgemeine Gesundheitszustand des Patienten von Bedeutung. Die Indikation für eine Stammzelltransplantation bei Kindern und Jugendlichen mit NHL wird kontinuierlich den neuesten Forschungsergebnissen angepasst.

Für manche Patienten mit einem Non-Hodgkin-Lymphom (zum Beispiel Rezidivpatienten, die mit einer erneuten Standardchemotherapie eine ungünstige Prognose haben) sind Hochdosis-Chemotherapie und Stammzelltransplantation derzeit oft die einzige Chance, geheilt zu werden.

Wie läuft eine Stammzelltransplantation ab?

Die Stammzelltransplantation setzt sich aus zwei Phasen zusammen:

  1. Konditionierung: Zunächst wird der Patient mit Hilfe einer hoch dosierten Chemotherapie – zum Teil kombiniert mit einer Ganzkörperbestrahlung – so intensiv behandelt, dass alle noch vorhandenen Lymphomzellen (und auch die körpereigenen Blutstammzellen) zerstört werden. Diese vorbereitende Behandlung wird Konditionierung genannt.
  2. Stammzelltransplantation: In der anschließenden Phase werden dem Patienten – als Ersatz für das zerstörte Knochenmark – gesunde Stammzellen der Blutbildung von einem geeigneten Spender (allogen), seltener auch von ihm selbst (autolog) übertragen (siehe unten). Der Patient erhält die Blutstammzellen durch eine Infusion in die Vene. Die Stammzellen wandern in die Markhöhlen der Knochen, siedeln sich dort an und beginnen, neue funktionstüchtige Blutzellen zu bilden. Stammt das Transplantat von einem Spender, dauert es in der Regel durchschnittlich drei bis sechs Wochen, bis die transplantierten Stammzellen angewachsen sind und sich die Blutwerte erholt haben. Bei eigenen Blutstammzellen geschieht dies sehr viel schneller, nämlich bereits innerhalb von zehn bis 14 Tagen.

Wenn die Transplantation erfolgreich ist, das heißt wenn die Blutbildung wieder in Gang kommt und tatsächlich keine Lymphomzellen die Vorbehandlung überlebt haben, ist der Patient von der Krankheit geheilt.

Welche Möglichkeiten der Transplantation gibt es?

Prinzipiell unterscheidet man nach Art des Spenders zwei Formen der Stammzelltransplantation: die allogene Stammzelltransplantation und die autologe Stammzelltransplantation. Die Entscheidung für eine der beiden Optionen hängt vom NHL-Subtyp sowie von der Spenderverfügbarkeit ab. Bei den meisten Kindern und Jugendlichen kommt bevorzugt die allogene Stammzelltransplantation in Betracht, ist jedoch kein passender Spender vorhanden, so kann unter Umständen auch eine autologe Stammzelltransplantation erfolgen. Beide Formen der Transplantation werden im Folgenden kurz vorgestellt.

Allogene Stammzelltransplantation

Die allogene Stammzelltransplantation kann zum Beispiel bei Patienten mit Krankheitsrückfall eines lymphoblastischen Lymphoms, B-Zell-Lymphoms oder eines großzellig anaplastischen Lymphoms in Frage kommen. Auch für Patienten mit lymphoblastischem Lymphom, die auf eine konventionelle Chemotherapie nicht ansprechen, kann die allogene Stammzelltransplantation eine Behandlungsoption sein [BUR2017].

Bei der allogenen Stammzelltransplantation (“allo“- ist eine griechische Silbe und bedeutet “anders“ oder “fremd“) erhält der Patient Blutstammzellen von einer anderen Person (Stammzellspender). Es kann sich dabei um einen Verwandten oder um einen Fremden handeln (je nach Art des Spenders wird zum Teil auch, sprachlich nicht ganz korrekt, von Familienspender- beziehungsweise Fremdspender-Transplantation gesprochen).

Entscheidend ist, dass der Spender mit dem Patienten bezüglich bestimmter Gewebemerkmale auf der Oberfläche der weißen Blutzellen, den so genannten HLA-Merkmalen (englische Abkürzung für: “human leukocyte antigens“) weitgehend übereinstimmt. Das ist wichtig:

  • damit die Gefahr der Transplantatabstoßung (Empfänger-gegen-Spender-Reaktion, oder englisch: “Host-versus-Graft“-Reaktion) nicht zu groß ist, aber viel mehr noch,
  • damit die Abwehrreaktionen des gespendeten Knochenmarks gegen den Organismus des Empfängers (Spender-gegen-Empfänger-Reaktion oder englisch: “Graft-versus-Host“-Reaktion) nicht zu stark ausfallen (siehe auch Risiken der Stammzelltransplantation).

Die Gewebeverträglichkeit zwischen Spender und Empfänger kann durch Blutuntersuchungen im Labor bestimmt werden. Bei Geschwistern des Patienten besteht eine 25-prozentige Chance, dass sie mit dem Patienten in den HLA-Merkmalen übereinstimmen, das heißt HLA-identisch sind. Die Möglichkeit, im weiteren Familienkreis passende Spender zu finden, ist dagegen gering. Wenn kein passender verwandter Spender zu finden ist, wird in nationalen und internationalen Knochenmarkspender-Registern nach nicht verwandten, freiwilligen Spendern mit weitgehend identischen Gewebemerkmalen gesucht. Die Chance, auf diese Weise einen geeigneten Spender zu finden, liegt heute bei 80 bis 90 %, da weltweit mehrere Millionen freiwillige Spender registriert sind und monatlich Tausende hinzukommen.

Autologe Stammzelltransplantation

Die Hochdosis-Chemotherapie mit anschließender autologer Stammzelltransplantation ist derzeit nur für Patienten mit Rezidiv eines diffusen großzelligen B-Zell-Lymphoms (DLBCL) angezeigt. Möglicherweise kann diese Therapieform auch bei Rückfallen eines reifzelligen B-NHLs eine Rolle spielen, ihr Stellenwert bei diesem Subtyp ist noch nicht abschließend geklärt [BUR2017].

Bei einer autologen Stammzelltransplantation (“auto“ ist eine griechische Silbe und bedeutet “selbst“) bekommt der Patient eigene Blutstammzellen übertragen, die ihm vor Durchführung der Hochdosis-Chemotherapie – in der Phase der Remission – aus dem Blut oder dem Knochenmark, entnommen wurden. Allerdings besteht hier die Gefahr, dass mit der Rückgabe der Blutstammzellen auch wieder Lymphomzellen in den Körper gelangen, die Krankheit kann dann erneut zum Ausbruch kommen. Um dieses Risiko zu verringern, wird das Transplantat gegebenenfalls vor der Rückübertragung mit verschiedenen Methoden „gereinigt“.

Wie werden die Stammzellen gewonnen?

Die Stammzellen können entweder aus dem Knochenmark, dem Ort ihrer Entstehung, oder aus der Blutbahn gewonnen werden. Im ersten Fall nennt man das Verfahren ihrer Übertragung Knochenmarktransplantation, im zweiten Fall periphere Stammzelltransplantation. Eine besondere Art der Stammzellgewinnung aus dem Blut ist die Nutzung von Plazentarestblut oder Nabelschnurblut. Zur weiteren Information hierzu siehe hier. Die aus Knochenmark oder Blutbahn isolierten Stammzellen werden bis zum Zeitpunkt der Transplantation in speziellen Anlagen bei minus 196°C tiefgefroren (so genannte Kryokonservierung) und in flüssigem Stickstoff gelagert.

Stammzellgewinnung aus dem Knochenmark

Bei der Knochenmarkentnahme wird dem Spender, nach vorheriger eingehender Untersuchung, etwa ein Liter Knochenmarkblut durch Punktionen an beiden Beckenknochen entnommen. Diese Menge ist notwendig, um eine ausreichende Zahl blutbildender Stammzellen für den Wiederaufbau der Blutbildung zu erhalten. Da die Entnahme mit Schmerzen verbunden ist, erfolgt sie unter Vollnarkose. Die roten Blutkörperchen werden dem Spender nach Abtrennung der Stammzellen zurücktransfundiert, um den Blutverlust gering zu halten. Das entnommene Knochenmark bildet sich innerhalb von zwei Wochen wieder nach.

Der Spender kann nach zwei- bis dreitägigem Aufenthalt im Krankenhaus wieder nach Hause gehen. Schmerzen, die noch einige Tage nach der Entnahme auftreten können, lassen sich mit Schmerzmitteln gut lindern. Abgesehen vom allgemeinen Narkoserisiko ist die Knochenmarkentnahme ungefährlich.

Stammzellgewinnung aus dem Blut

Alternativ zur Knochenmarktransplantation findet heute zunehmend die Übertragung von Stammzellen statt, die aus dem Blutkreislauf des Spenders gewonnen werden; man spricht in diesem Fall auch von „peripherer Stammzelltransplantation“. Denn: Blutstammzellen finden sich nicht nur im Knochenmark, sondern auch im zirkulierenden Blut. Allerdings sind Stammzellen im Blut unter normalen Bedingungen nur in geringen Mengen vorhanden. Daher wird dem Spender vier bis fünf Tage vor der Stammzellentnahme täglich eine körpereigene Hormon-ähnliche Substanz, ein so genannter Wachstumsfaktor (zum Beispiel G-CSF) in die Haut gespritzt. Dieser Wachstumsfaktor regt die Stammzellen dazu an, vermehrt aus dem Knochenmark in die Blutbahn überzutreten.

Anschließend werden die Stammzellen mit Hilfe einer speziellen Zentrifugeneinrichtung (Blutzell-Separator) aus dem Venenblut des Spenders gesammelt. Um genügend Stammzellen für eine erfolgreiche Transplantation zu erhalten, muss dieser Vorgang, die so genannte Stammzell-Apherese, an einem oder auch zwei aufeinanderfolgenden Tag(en) über jeweils zwei bis vier Stunden durchgeführt werden. Die im Transplantat enthaltenen reifen roten Blutzellen werden dem Spender rückübertragen, sie werden nicht benötigt.

Gegenüber der Knochenmarktransplantation hat diese Methode gewisse Vorteile: Die Entnahme der Stammzellen beim Spender kann ohne Narkose erfolgen. Außerdem hat sich gezeigt, dass beim Empfänger die Blutbildung nach der Transplantation schneller wieder in Gang kommt. Die Phase akuter Infektionsgefahr ist dadurch verkürzt.

Wo werden Stammzelltransplantationen durchgeführt?
Eine Hochdosistherapie mit anschließender Stammzelltransplantation erfordert einen hohen Aufwand an apparativer Ausrüstung und hoch qualifiziertes Personal. Aus diesem Grund werden Stammzelltransplantationen fast ausschließlich an großen Kliniken durchgeführt, vor allem an Universitätskliniken und Tumorzentren.

Welche Risiken und Nebenwirkungen sind mit einer Stammzelltransplantation verbunden und welche Maßnahmen werden zu ihrer Vorbeugung beziehungsweise Linderung ergriffen?

Eine Stammzelltransplantation ist für den Patienten eine sehr risikoreiche und belastende Behandlung. Sie geht mit zum Teil lebensbedrohlichen Komplikationen einher, an denen einige Patienten auch versterben können.

Risiken der Konditionierung (Chemo-/Strahlentherapie)

Risiken ergeben sich bei einer Stammzelltransplantation zunächst durch die knochenmarkzerstörende Chemotherapie (und Strahlentherapie), die der eigentlichen Transplantation vorausgeht; sie bringt die Immunabwehr des Patienten fast gänzlich zum Erliegen. Vor allem in der Zeit unmittelbar nach der intensiven Therapie und bevor die übertragenen Stammzellen die Blutbildung wieder in Gang gesetzt haben, ist der Patient durch den Mangel an Abwehrzellen extrem infektionsgefährdet.

Zum Schutz vor Infektionen (durch Bakterien, Viren, Pilze) erfolgt deshalb bereits vorbeugend eine Behandlung mit entsprechenden Medikamenten. Außerdem muss sich der Patient in der Zeit vor und nach der Transplantation in einer Sterileinheit aufhalten, zu der außer Ärzten und Pflegepersonal nur wenige Personen – vielfach sogar in Schutzkleidung und mit Mundschutz – Zutritt haben. Die fehlenden roten Blutzellen (Erythrozyten) und Blutplättchen (Thrombozyten) müssen, bis das transplantierte Knochenmark die Blutbildung übernimmt, durch Transfusion ersetzt werden.

Die Zeit, in der die Bildung von Blutzellen brach liegt, wird als „Aplasie“-Phase bezeichnet [siehe Knochenmarkaplasie]. In der Regel beginnen die transplantierten Stammzellen mit einer Verzögerung von etwa zehn bis zwanzig Tagen mit der Produktion von Blutzellen. Sobald ausreichend weiße Blutzellen vorhanden sind, kann die Isolation aufgehoben werden. Dies ist normalerweise nach zehn bis vierzehn Tagen der Fall.

Risiken der Transplantation

Auch die Transplantation selbst kann mit verschiedenen Komplikationen verbunden sein. So besteht immer die (geringe) Gefahr, dass das transplantierte Knochenmark nicht „anwächst“. Darüber hinaus muss bei einer allogenen Stammzelltransplantation – selbst bei guter Gewebeverträglichkeit – immer damit gerechnet werden, dass die mit dem Transplantat übertragenen Immunzellen des Spenders den Körper des Empfängers als fremd erkennen und angreifen. Diese Reaktion wird „Spender-gegen-Empfänger-Reaktion“ (englisch: Graft-versus-Host-Disease, GvHD) bezeichnet. Sie richtet sich hauptsächlich gegen Haut, Leber und Darm des Patienten und kann unter Umständen lebensbedrohlich werden.

Ein positiver Effekt der allogenen Transplantation ist hingegen, dass sich die Abwehrzellen des Spenders auch gegen im Körper verbliebene Lymphomzellen des Patienten richten und diese vernichten (Transplantat-gegen-Lymphom-Reaktion). Dies schützt den Patienten effektiver vor einem Krankheitsrückfall.

Maßnahmen zur Vorbeugung und Behandlung von Nebenwirkungen

Um das Auftreten der Spender-gegen-Empfänger-Reaktion zu verhindern oder um die Schwere dieser Reaktion zu mindern, werden nach der Transplantation Medikamente verabreicht, die die Immunreaktion unterdrücken. Diese Behandlung trägt dazu bei, dass nach der Transplantation noch längere Zeit eine erhöhte Infektionsgefahr besteht. Bis das körpereigene Abwehrsystem wieder völlig intakt ist, dauert es etwa ein Jahr. Während dieser Zeit ist der Patient für Infektionen erheblich anfälliger als andere Menschen. Empfehlungen und Verhaltenshinweise zur Verminderung des Infektionsrisikos sollten daher unbedingt beachtet werden. Der Arzt und das Pflegepersonal werden Sie ausführlich beraten.

Eine Stammzelltransplantation ist außerdem mit verschiedenen Spätfolgen verbunden, die vor allem auf die hoch dosierte Chemotherapie und die Ganzkörperbestrahlung zurückzuführen sind. Informationen hierzu finden Sie im Kapitel „Spätfolgen“.

Trotz all dieser möglichen Nebenwirkungen darf jedoch nicht vergessen werden, dass die Stammzelltransplantation in manchen Fällen die einzige Chance ist, ein NHL zu heilen.

Weitere Informationen zur Stammzelltransplantation erhalten Sie hier.