Langzeitnachsorge bei ehemaligen Patienten mit Hodgkin-Lymphom
Autor: Dr. med. habil. Gesche Tallen, Maria Yiallouros, erstellt am: 05.10.2010, Redaktion: Maria Yiallouros, Freigabe: Prof. Dr. med. Günther Schellong, Zuletzt geändert: 21.06.2021
Inhaltsverzeichnis
Nachsorgeuntersuchungen dienen dem Erkennen eines Krankheitsrückfalls (Rezidiv) sowie Diagnostik von Folgen der Erkrankung (zum Beispiel Zweiterkrankungen) und deren Behandlung. Nach bewältigtem Hodgkin-Lymphom spielt auch die psychosoziale Unterstützung des Patienten eine wichtige Rolle im Rahmen der Langzeitnachsorge.
Für die ersten (in der Regel zehn) Jahre nach Abschluss der Krebsbehandlung werden Art und Zeitpunkte der Nachsorgeuntersuchungen durch standardisierte Nachsorgepläne empfohlen. Sie sind Teil der Therapiepläne (Protokolle), nach denen der Patient behandelt worden ist. In der Regel beinhaltet diese frühe, nach dem Therapieende beginnende Nachsorge regelmäßige körperliche Untersuchungen, die Untersuchung von Hormonen, insbesondere der Schilddrüse nach einer Bestrahlung des Halses und des mittleren Brustbereichs (Mediastinum), sowie Ultraschall und Röntgenuntersuchung des Brustkorbs. In Einzelfällen sind weitere bildgebende Verfahren angezeigt.
Wie sich die Nachsorge in den ersten Jahren individuell gestaltet, hängt ganz entscheidend vom individuellen Krankheitsverlauf und der daraufhin durchgeführten Behandlung ab. Ausführlichere Informationen zur "Frühnachsorge" erhalten Sie in unserem Kapitel „Nachsorgeuntersuchungen“.
Besteht eine mindestens zehnjährige Rückfallfreiheit, so sind Routineuntersuchungen zur Früherkennung eines Rückfalls des Hodgkin-Lymphoms nicht mehr erforderlich, da man so gut wie sicher davon ausgehen kann, dass die Krankheit nach zehn Jahren nicht mehr zurückkommt. Trotzdem sind regelmäßige ärztliche Kontrollen dringend anzuraten, denn die Behandlung eines Hodgkin-Lymphoms kann Spätfolgen haben, und das Risiko mancher Spätfolgen kann sich mit zunehmendem Abstand zur Therapie erhöhen (siehe dazu auch Kapitel „Spätfolgen“). Abgesehen von einer regelmäßigen Allgemeinuntersuchung (bei Wohlbefinden alle ein bis zwei Jahre) sollten Spezialuntersuchungen verschiedener Organe hinzukommen:
Die Nachsorgeempfehlungen für die im Zusammenhang mit einer Morbus Hodgkin-Behandlung am häufigsten belasteten Organe sind im Anschluss dargestellt.
Schilddrüse
Wenn eine Strahlentherapie im Hals- und Brustbereich durchgeführt wurde, sollte die Schilddrüse in regelmäßigen Abständen (alle ein bis zwei Jahre) mittels Ultraschall und durch eine Bestimmung der Hormone im Blut kontrolliert werden. Denn ein relativ hoher Prozentsatz aller so behandelten Patienten entwickeln Störungen dieses Organs [DEN2014] [SCH2003a].
Am häufigsten ist eine Unterfunktion der Schilddrüse (Hypothyreose). Sie kann mit verschiedenen Beschwerden (wie Müdigkeit, Antriebslosigkeit, depressive Verstimmungen, Kälteempfindlichkeit, erhöhte Blutfettwerte, Gewichtszunahme) einhergehen, die richtigungsweisend sein können. Die Diagnose lässt sich jedoch nur anhand bestimmter Konstellationen der verschiedenen beteiligten Hormone im Blut (Thyreoidea-stimulierendes Hormon (TSH) und Schilddrüsenhormone T3 und T4) stellen. Eine Schilddrüsenunterfunktion kann durch die Gabe von Schilddrüsenhormon (LThyroxin) ausgeglichen werden.
Neben der Hypothyreose können nach einer Bestrahlung im Hals-/Brustbereich auch eine Schilddrüsenüberfunktion (Basedowsche Erkrankung), eine Schilddrüsenentzündung (Autoimmun-Thyroiditis), gutartige Knoten, Zysten oder Schilddrüsenkrebs auftreten. In all diesen Fällen ist bei rechtzeitiger Erkennung eine erfolgreiche Behandlung ohne allzu eingreifende Maßnahmen möglich.
Wichtig: Da die Entwicklung von bösartigen Schilddrüsentumoren mit zunehmender Dauer nach Therapieende zunimmt, ist eine Nachsorge über mindestens 20 bis 30 Jahre empfehlenswert.
Brust (nur bei Frauen)
In den 1990er Jahren hat sich herausgestellt, dass weibliche Kinder und Jugendliche, die eine Strahlentherapie im Brustbereich erhalten, später ein erhöhtes Brustkrebsrisiko haben, und zwar bereits in einem jüngeren Alter als sonst üblich. So sind ehemalige Patientinnen im Alter von 25 bis 45 Jahren etwa 24-mal häufiger betroffen als Frauen im gleichen Alter.
Besonders gefährdet sind Patientinnen, die zum Zeitpunkt der Diagnose und Behandlung zwischen 9 und 16 Jahre alt waren. Diese Zeitspanne korreliert mit der Pubertätsphase, in der sich das Drüsengewebe der Brust entwickelt. Die sich rasch teilenden Drüsenzellen sind gegenüber einer Bestrahlung besonders sensibel. Eine Bestrahlung der Brust bei Mädchen unter 9 Jahren scheint hingegen nicht mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko einherzugehen [SCH2014].
Um dem hohen Brustkrebsrisiko nach Strahlentherapie Rechnung zu tragen, haben die Morbus Hodgkin-Studienleitungen im Jahre 2012 in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Konsortium für familiären Brust- und Eierstockkrebs und den Krankenkassen-Spitzenverbänden ein strukturiertes, qualitätsgesichertes Früherkennungsprogramm etabliert:
Ehemaligen Patientinnen ab 25 Jahren, die aufgrund ihres Alters zum Zeitpunkt der Diagnose und Therapie ein erhöhtes Risiko haben (siehe oben), wird empfohlen, das angebotene Brustkrebs-Screening in einem auf genetisch bedingten Brust-und Eierstockkkrebs spezialisierten „Brustzentrum“ wahrzunehmen. Bildgebende Verfahren sind Teil der Untersuchungen. Die Kosten für das Screening werden von den Krankenkassen übernommen.
Herz-Kreislauf-System
Das Herz und die Gefäße können sowohl durch Chemotherapie als auch durch Strahlentherapie geschädigt werden. Nach den Erkenntnissen der letzten Jahre sind die Behandlung mit hohen Dosen bestimmter Zytostatika (Anthrazykline wie zum Beispiel Adriamycin = Doxorubicin) und die meist nicht vermeidbare Mitbelastung des Herzens durch eine Bestrahlung, vor allem im Brustbereich, Risikofaktoren für das Herz.
So kann es beispielsweise infolge der Therapie zu Herzklappenfehlern, Herzmuskelerkrankungen (Kardiomyopathien), Entzündungen des Herzbeutels und der Blutgefäße des Herzens sowie zu Herzrhythmusstörungen kommen; das Herzinfarktrisiko kann erhöht sein. Beschwerden treten oft erst 15 bis 25 Jahre nach Ende der Behandlung oder noch später auf [SCH2010d].
Möglicherweise sind die Störungen jedoch schon nachweisbar, wenn noch gar keine Beschwerden vorliegen. Aus diesem Grund wird empfohlen, circa alle vier Jahre eine gründliche Herzuntersuchung durch einen Herzspezialisten (Kardiologen) unter Einschluss eines Herz-Ultraschalls (Echokardiographie) vornehmen zu lassen.
Vor allem sollten alle sonstigen Risikofaktoren für das Herz – wie Rauchen, Übergewicht, oder Bewegungsarmut – vermieden werden. Auch sollten Krankheiten wie Diabetes, erhöhter Blutdruck oder erhöhte Cholesterinwerte im Blut konsequent behandelt werden. Mit all diesen Maßnahmen lässt sich das Gesamtrisiko für Herz- und Gefäßkrankheiten nach Behandlung eines Morbus Hodgkin vermindern.
Weitere, allgemeine Informationen zu therapiebedingten Spätfolgen am Herzen finden Sie hier.
Geschlechtsorgane
Insgesamt sind die Daten bezüglich Elternschaft nach Krebserkrankung im Kindes- und Jugendalter ermutigend. Aber Chemo- und auch Strahlentherapie können in manchen Fällen zu Unfruchtbarkeit (Infertilität) führen oder doch zumindest die Zeit der Fruchtbarkeit verkürzen. Dies gilt insbesondere für ehemalige Patienten, die im Rahmen der Chemotherapie das Medikament Procarbazin und/oder eine Strahlentherapie im Bereich der Becken-/Leistenregion erhalten haben [SCH2003a] (siehe dazu unser Kapitel zu „Spätfolgen“).
Da es dank moderner Reproduktionstechniken mittlerweile möglich ist, sowohl Männern als auch Frauen Möglichkeiten zur Elternschaft zu bieten, wenn nicht eine völlige Unfruchtbarkeit vorliegt [BOR2020] [DEN2014] [HEL2005], sollten Sie im Rahmen der Nachsorge unbedingt diese Thematik ansprechen. Das Behandlungsteam kann Ihnen sicher mit Informationen und Kontaktadressen weiterhelfen.
Auf unseren Seiten finden Sie weiterführende Informationen zu Fruchtbarkeitsstörungen nach Krebstherapie, Empfehlungen zur Nachsorge sowie zu Möglichkeiten der Vorbeugung und/oder Behandlung in unserem Text "Spätfolgen für die Fortpflanzungsorgane". Weitere Informationen zu Möglichkeiten der Fruchtbarkeitserhaltung sowie Kontaktadressen finden Sie unter anderem bei FertiPROTEKT, dem Deutschen Netzwerk für fertilitätsprotektive Maßnahmen bei Chemo- und Strahlentherapie. Bitte beachten Sie auch die Broschüren für Jungen und Mädchen, die in unserem Portal für Sie zum Download bereitstehen.
Verhütung und Behandlung bedrohlicher Infektionen bei fehlender Milz oder Milzfunktion
Patienten, bei denen im Rahmen der Therapie eine Bestrahlung der Milz durchgeführt wurde, kann es in der Folge zu einer Beeinträchtigung der Milzfunktion kommen (so genannte funktionelle Asplenie). Ähnlich wie nach einer Milzentfernung (Splenektomie), wie sie früher zum Teil zwecks Stadieneinteilung des Hodgkin-Lymphoms vorgenommen wurde, entwickeln sich diese Patienten im Allgemeinen normal. Sie haben jedoch ein erhöhtes Risiko, an schweren Allgemein-Infektionen zu erkranken, die durch eine ungehemmte Vermehrung bestimmter Bakterien (zum Beispiel Pneumokokken, Haemophilus influenzae) im Körper hervorgerufen werden und einen rasanten, manchmal tödlichen Verlauf nehmen können.
Die statistische Wahrscheinlichkeit für das Auftreten solcher Ereignisse ist nach Ablauf der ersten fünf Jahre nach Verlust der Milz oder Milzfunktion nur gering. Dennoch bleibt das Risiko während des ganzen Lebens bis ins hohe Alter bestehen und muss wegen des gefährlichen Verlaufs der Infektionen sowohl von den Betroffenen selbst als auch den nachsorgenden Ärzten ernst genommen werden [SCH2004c] [SCH2004d]. Im angloamerikanischen Schrifttum wird dieses Krankheitsbild als "overwhelming postsplenectomy infection (OPSI)" bezeichnet.
Gut zu wissen: Patienten mit fehlender Milz oder beeinträchtigter Milzfunktion (also mit einer "Asplenie") sollten stets einen Notfallausweis und einen Impfausweis bei sich tragen. Der Notfallausweis ist erhältlich über: Medizinische Universitätsklinik Freiburg, Infektiologische Ambulanz, Hugstetter Str. 55, 79106 Freiburg. Mehr dazu finden Sie hier.
Welche Vorsorgemaßnahmen müssen getroffen werden?
Wichtige Maßnahmen zur Verhütung des beschriebenen Krankheitsbildes „overwhelming postsplenectomy infection (OPSI)“ sind [DAV2011]:
- eine frühzeitige Infektionsprophylaxe (meist mit Penicillin): bei Kindern für mindestens drei bis fünf Jahre nach Milzentfernung, bei Risikopatienten (beispielsweise Patienten mit bereits bestehenden Immundefekten) bis ins Erwachsenenalter hinein;
- aktive Schutz-Impfungen (gegen Pneumokokken, Meningokokken, Haemophilus infuenzae);
- sonstiges: Bei fehlender Milz oder Milzfunktion (Asplenie) wird dringend vom Rauchen abgeraten. Es hat sich bereits für Menschen mit erhaltener Milzfunktion und gesunder Immunabwehr gezeigt, dass Zigarettenraucher gegenüber Nichtrauchern ein vierfach höheres Risiko haben, an einer schweren Pneumokokken-Infektion zu erkranken.
Welche Krankheitszeichen weisen auf eine bakterielle Infektion hin?
Jede Erhöhung der Körpertemperatur über 38.2°C kann Zeichen einer bakteriellen Allgemeininfektion sein. Besonders wenn das Fieber mit einem rasch zunehmenden Krankheitsgefühl, Schüttelfrost, Kopf- oder Nackenschmerzen und Erbrechen einhergeht, sollte unbedingt eine Behandlung begonnen werden.
Welche Behandlung muss bei Verdacht auf eine bakterielle Infektion eingeleitet werden?
Bestehen oben genannte Krankheitszeichen und, vor allem, nehmen diese Krankheitszeichen zu, so sollte so schnell wie möglich (am besten innerhalb von acht bis zehn Stunden) eine Behandlung mit wirksamen Antibiotika begonnen werden. Es ist daher wichtig, dass sofort ein Arzt hinzugezogen wird, der über die Notwendigkeit einer sofortigen Krankenhausaufnahme entscheidet oder selbst die antibiotische Behandlung einleitet.
Manchmal geht alles nicht so schnell. Für den Fall, dass sich der Beginn der ärztlichen Behandlung aus verschiedenen Gründen verzögern sollte, ist es sinnvoll, ein geeignetes Antibiotikum (zum Beispiel Phenoxymethyl-Penicillin, Amoxicillin oder ein Cephalosporin wie Cefaclor) im Hause zu haben, mit dessen Einnahme der Betroffene selbst beginnen kann. Bei der Wahl eines solchen Antibiotikums müssen allerdings individuelle Allergien und Dosierungsschemata berücksichtigt sein. Daher sollte die Verschreibung am besten immer durch den Hausarzt erfolgen und jeweils rechtzeitig neu vor Ablauf des Verfallsdatums erfolgen. Auch nach begonnener Selbstbehandlung muss immer ein Arzt entscheiden, ob eine Krankenhausaufnahme erforderlich ist beziehungsweise wann die Therapie beendet werden kann.
Müssen Vorsichtsmaßnahmen bei Reisen getroffen werden?
Ja, Vorsichtsmaßnahmen vor Reisen sind wichtig. Insbesondere bei Reisen in medizinisch unterversorgte oder anderssprachige Länder sollte unbedingt ein Antibiotikum mitgeführt werden. Bei der Wahl des Antibiotikums durch den verschreibenden Arzt muss bedacht werden, dass in manchen Ländern (zum Beispiel Spanien, Ungarn, Frankreich, USA) Penicillin-resistente Pneumokokkenstämme verbreitet sind. Auch wird die Erweiterung des Impfschutzes gegenüber Meningokokken empfohlen.
Personen ohne Milz oder Milzfunktion sind bei Malaria-Infektionen ebenfalls stärker gefährdet. Deshalb ist eine tropenmedizinische Beratung zur Malariaprophylaxe vor Reisen in Malariagebiete unbedingt wahrzunehmen.