Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken (Epidemiologische Studie)

Seit 2003 wurde am Deutschen Kinderkrebsregister die KiKK-Studie durchgeführt. In diese Untersuchung gingen Daten von mehr als 6000 Kindern ein, die in der Umgebung von Kernkraftwerken wohnten. Die Studie wurde vom Bundesumweltministerium über das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) finanziert.

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Studienregionen und studienrelevante Kernkraftwerke: Brunsbüttel, Brokdorf, Stade, Krümmel, Unterweser, Lingen/Emsland (2), Grohnde, Würgassen, Grafenrheinfeld, Biblis, Obrigheim, Philippsburg, Neckarwestheim, Grundremmingen, Isar


[ Hannover , 12.12.2007 ]  Was war das Ziel der Studie?
Immer wieder wird der Verdacht geäußert, dass Kinder in der Nähe von Kernkraftwerken häufiger an Krebs erkranken. Eine frühere Studie schien darauf hinzudeuten, dass speziell das Leukämie-Risiko bei jüngeren Kindern erhöht war.
Die KiKK-Studie verglich daher die Daten von Kindern unter fünf Jahren, die in der Umgebung von Kernkraftwerken gelebt hatten, als sie an Krebs erkrankten, mit denen von Kindern aus denselben Regionen, die nicht erkrankt waren. Ziel war es herauszufinden, ob die erkrankten Kinder im Durchschnitt näher an den Kraftwerken gewohnt hatten als die nicht erkrankten.

Wie sind wir vorgegangen?
Bereits in den Jahren 1992 und 1997 hat das Kinderkrebsregister zwei Studien über Kinderkrebserkrankungen in der Umgebung von Kernkraftwerken veröffentlicht. Dabei wurden Daten von Kindern unter 15 Jahren ausgewertet. Ein viel diskutierter Nebenbefund der ersten Studie bestand darin, dass bei Kindern unter fünf Jahren Leukämien gehäuft im 5-km-Umkreis von Kernkraftwerken aufgetreten waren. Um dieses Ergebnis nochmals zu untersuchen und mögliche Erklärungen zu finden, wurde die KiKK-Studie durchgeführt, bei der ein anderer methodischer Ansatz gewählt wurde. Es handelte sich dabei um eine so genannte Fall-Kontroll-Studie, in der an Krebs erkrankte Kinder („Fälle“) mit nicht an Krebs erkrankten Kindern („Kontrollen“) aus jeweils derselben Region verglichen wurden. Die Daten der Kinder, die im Alter unter fünf Jahren an Krebs erkrankt waren und zum Zeitpunkt der Diagnose in der Nähe eines von 16 Kernkraftwerken (s. Anhang) gewohnt hatten, stammten aus dem Deutschen Kinderkrebsregister (1592 Fälle). In den früheren Studien war der Zeitraum von 1980 bis 1995 abgedeckt worden, in die KiKK-Studie wurden zusätzlich die Jahre 1996-2003 einbezogen. Damit waren über zwei Drittel der Erkrankungsfälle der neuen Untersuchung bereits in den früheren Studien enthalten.
Zu jedem Fall wurden aus derselben Region Kontrollen mit demselben Alter und Geschlecht zufällig ausgewählt (insgesamt 4735). Für alle wurde der Abstand der Wohnung zum nächstgelegenen Kernkraftwerk mit einer mittleren Genauigkeit von ungefähr 25 Metern ermittelt.
Bei einem Teil der Fälle und Kontrollen versuchten wir in einem zweiten Schritt mit Fragebögen weitere Risikofaktoren zu ermitteln, die als Confounder wirken könnten. Confounder sind andere Faktoren, die das Erkrankungsrisiko beeinflussen und unter Umständen das Studienergebnis verfälschen.

Was sind die wichtigsten Ergebnisse?
Unsere Studie hat bestätigt, dass sich in Deutschland ein Zusammenhang beobachten lässt zwischen der Nähe der Wohnung zu einem Kernkraftwerk und dem Risiko eines Kindes, vor seinem fünften Geburtstag an Krebs zu erkranken.
Wie groß ist dieses Risiko? Für den untersuchten Zeitraum (1980-2003) wurde für das Wohnen innerhalb einer 5 km-Zone um eines der 16 Kernkraftwerke in Bezug auf Krebsleiden insgesamt ein „attributables“ Risiko von etwa 0,2 % errechnet. Das heißt, in dieser Zeit wären 29 der insgesamt in Deutschland aufgetretenen 13373 Krebserkrankungen bei Kindern unter fünf Jahren dem Wohnen innerhalb der 5 km-Zone um ein Kernkraftwerk zuzuschreiben, vorausgesetzt die Modellannahmen, auf denen unsere Berechnungen basieren, sind richtig und es besteht ein ursächlicher Zusammenhang. Das wären 1,2 Fälle pro Jahr.
Auf die Untergruppe der Leukämien bezogen errechneten wir ein „attributables“ Risiko von etwa 0,3 %. Das wären 20 der 5893 Leukämieerkrankungen bei Kindern unter fünf Jahren in ganz Deutschland in der betreffenden Zeit und damit 0,8 Fälle pro Jahr.
Der für die gesamten Krebserkrankungen beobachtete Effekt kommt im Wesentlichen durch die Erhöhung des Risikos bei der relativ großen Gruppe der Leukämien zustande. Diese Risikoschätzungen sind allerdings wegen der zugrunde liegenden kleinen Fallzahlen mit einer erheblichen Unsicherheit behaftet.
Leider haben in der zweiten Phase der Studie zu wenig Eltern die Fragebögen beantwortet. Das gilt vor allem für die innere 5 km-Zone. Deshalb ließ sich nicht ermitteln, ob die Studienergebnisse durch mögliche Confounder verzerrt wurden.

Wie lassen sich die Ergebnisse deuten?
Kann man aus den Ergebnissen der KiKK-Studie schließen, dass aus Kernkraftwerken Strahlung entweicht und bei Kindern Krebs und speziell Leukämie verursacht? Kurz gesagt: nein.
Die Belastung von Personen durch radioaktive Strahlung wird in Millisievert (mSV) gemessen. Als Grenzwert für die Belastung in der Umgebung von kerntechnischen Anlagen in Deutschland gelten 0,3 mSV pro Jahr. Die tatsächlichen Belastungen liegen weit darunter. So schätzt man, dass eine Person, deren Wohnsitz sich in 5 km Entfernung von einem Kernkraftwerk befindet, einer Belastung zwischen 0,0000019 mSv und 0,0003200 mSv Strahlung in der Luft ausgesetzt ist.
Die jährliche natürliche Strahlenexposition in Deutschland beträgt etwa 1,4 mSv. Demgegenüber ist die Strahlenbelastung in der Nähe deutscher Kernkraftwerke folglich um den Faktor 1000 bis 100000 niedriger. Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand lässt sich also die erhöhte Anzahl der Kinderkrebsfälle und speziell der Leukämiefälle in der Umgebung von Kernkraftwerken nicht durch die davon ausgehende radioaktive Strahlung erklären.
Vielen dürfte bekannt sein, dass in der Nähe des Kernkraftwerks Krümmel eine unerwartet große Anzahl von Kindern an Leukämie erkrankte. Man könnte daher vermuten, dass sich der beobachtete Effekt in unserer Studie vielleicht auf diese Fälle zurückführen lässt. Diese Erkrankungen haben das Ergebnis unserer Studie in der Tat beeinflusst. Aber auch ohne sie findet man noch eine Erhöhung des Erkrankungsrisikos.
Die KiKK-Studie erlaubt keine Aussage darüber, wodurch sich die beobachtete Erhöhung der Anzahl von Kinderkrebsfällen in der Umgebung deutscher Kernkraftwerke erklären lässt. Denkbar wäre, dass bisher noch unbekannte Faktoren beteiligt sind oder dass es sich um Zufall handelt.

Fazit
In Deutschland lässt sich ein Zusammenhang beobachten zwischen der Nähe der Wohnung zu einem Kernkraftwerk und dem Risiko, dass ein Kind vor seinem fünften Geburtstag an Krebs (vor allem an Leukämie) erkrankt. Warum das so ist, lässt sich mit unseren Daten leider nicht erklären. Allerdings kommt nach heutigem Wissen Strahlung, die von Kernkraftwerken im Normalbetrieb ausgeht, als Ursache nicht in Betracht.

Dr. Peter Kaatsch, Leiter des Deutschen Kinderkrebsregisters

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