Behandlung von Patienten mit einem lymphoblastischen Non-Hodgkin-Lymphom (LBL)
Autor: Maria Yiallouros, erstellt am: 04.08.2010, Zuletzt geändert: 04.06.2020
Inhaltsverzeichnis
- 1. Vorphase (zytoreduktive Vorphase)
- 2. Induktionstherapie (Protokoll Ia)
- 3. Induktions- oder Konsolidierungstherapie (Protokoll Ib)
- 4. Protokoll M
- 5. Re-Induktionstherapie (bei Patienten mit den Krankheitsstadien III und IV)
- 6. ZNS-Therapie (Extrakompartment-Therapie)
- 7. Erhaltungs- oder Dauertherapie
- Behandlungsmöglichkeiten bei unvollständigem Ansprechen der Erkrankung auf die Standardtherapie
- Hinweis zur Therapieoptimierungsstudie LBL 2018
Für Patienten mit einem lymphoblastischen T- oder B-Zell-Lymphom hat sich eine mehrphasige Behandlungsstrategie (ähnlich der Therapiestrategie für die akute lymphoblastische Leukämie) als erfolgreich erwiesen [BUR2018] [BUR2017] [BUR2006] [GRE2001] [REI2000c]. Die Therapie dauert in der Regel etwa zwei Jahre und besteht aus einer intensiven Phase und einer Erhaltungsphase.
Wichtige Therapieelemente sind:
1. Vorphase (zytoreduktive Vorphase)
Die zytoreduktive Vorphase ist Teil der Induktionstherapie (siehe unten). Sie dient der Einleitung der Behandlung und besteht aus einer kurzen, circa einwöchigen Chemotherapie mit ein bis zwei Medikamenten (zum Beispiel Prednison), die intravenös oder in Tablettenform verabreicht werden. Um auch Lymphomzellen im Zentralnervensystem zu erreichen, wird außerdem ein Medikament (Methotrexat) einmalig direkt in den Nervenwasserkanal gespritzt (intrathekale Chemotherapie, siehe Abschnitt ZNS-Therapie).
Der Zweck der Vorphase-Behandlung besteht darin, die Lymphomzellen schrittweise und damit für den Organismus möglichst schonend zu reduzieren. Das ist deshalb wichtig, weil aus den abgetöteten Lymphomzellen durch den Zellabbau bestimmte Stoffwechselprodukte (zum Beispiel Harnsäure) freigesetzt werden, die den Organismus und insbesondere die Nieren schädigen, wenn sie in großen Mengen auftreten. Die Gefahr einer solchen Komplikation (auch Zellzerfall- oder Tumorlyse-Syndrom genannt) ist umso größer, je höher die anfängliche Zahl der Lymphomzellen ist und je schneller ihre Zerstörung erfolgt. Durch eine vorsichtige Steigerung der Behandlungsintensität und eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr während dieser Behandlungsphase (die so genannte Wässerung oder Hydrierung) soll verhindert werden, dass der Zellzerfall ein für den Organismus bedrohliches Maß erreicht (siehe auch Patienteninformation zur Supportivtherapie, Kapitel "Tumorlyse-Syndrom").
2. Induktionstherapie (Protokoll Ia)
Die eigentliche Induktionstherapie besteht aus einer besonders intensiven (hoch dosierten) Chemotherapie, in der mehrere Medikamente zum Einsatz kommen. In der ersten Therapiephase der Induktion, die etwa vier Wochen dauert (Protokoll Ia), werden zum Beispiel die Zytostatika Prednison (PRED), Vincristin (VCR), Daunorubicin (DNR), E.-coli-Asparaginase (ASP) sowie Cyclophosphamid (CPM), Cytarabin (ARA-C) und 6-Thioguanin (6-GT) intravenös verabreicht. Zusätzlich erfolgen intrathekale Gaben von Methotrexat (MTX) (siehe auch Abschnitt zu ZNS-Therapie).
Die erste Phase der Induktionstherapie zielt darauf ab, innerhalb kurzer Zeit die Mehrzahl der Lymphomzellen zu vernichten, das heißt, eine so genannte Remission zu erreichen. Remission bedeutet jedoch nicht, dass keine bösartigen Zellen im Körper mehr vorhanden sind oder dass bereits ein Zustand erreicht ist, in dem von Heilung gesprochen werden kann (siehe auch Kapitel „Krankheitsverläufe“). Aus diesem Grund schließen sich weitere Behandlungsphasen an.
Hinweis zur Studie LBL 2018: Im Rahmen der neuen Studie wird in dieser Therapiephase geprüft, ob eine zweiwöchige Dexamethason-Behandlung an Stelle der Behandlung mit Prednison (siehe oben) das Auftreten von Krankheitsrückfällen mit ZNS-Beteiligung reduzieren kann.
3. Induktions- oder Konsolidierungstherapie (Protokoll Ib)
Die zweite Phase der Induktion (Protokoll Ib) beginnt etwa zwei Wochen nach Ende der ersten Induktionsphase. Sie soll durch den Einsatz einer anderen Medikamentenkombination die noch verbliebenen Lymphomzellen im Körper vernichten und so das Risiko eines Krankheitsrückfalls minimieren. Analog zur akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL) wird diese Therapiephase auch als Konsolidierungstherapie bezeichnet. Die Behandlung dauert ebenfalls etwa vier Wochen. Eingesetzt werden zum Beispiel 6-Mercaptopurin (intravenös) und Methotrexat, das sowohl intrathekal als auch in hoher Dosis intravenös (als Hochdosis-MTX) verabreicht wird.
4. Protokoll M
Nach Abschluss der Induktionstherapie erfolgt eine Therapiephase, der zur Extrakompartment-Therapie gehört (siehe unten). Sie soll vor allem das Zentralnervensystem und die Hoden erreichen und dauert circa zwei Monate. Im Anschluss an diese Phase werden die Patienten, je nach Stadium ihrer Erkrankung, verschiedenen Therapiezweigen zugeordnet (Dauertherapie oder vorab, zwischengeschaltet, Re-Induktionstherapie, siehe im Anschluss).
Hinweise zur Studie LBL 2018: Im Rahmen der Studie wird bei Patienten der Hochrisikogruppe (HR) geprüft, ob an Stelle der Standardtherapie mit Protokoll Ib und M (siehe oben) eine intensivierte Therapie (intensiviertes Protokoll Ib und M) zu einer besseren rückfallfreien (ereignisfreien) Überlebenswahrscheinlichkeit führt.
5. Re-Induktionstherapie (bei Patienten mit den Krankheitsstadien III und IV)
Die Re-Induktionstherapie wird nur bei Patienten mit fortgeschrittenen Krankheitsstadien (Stadium III und IV) durchgeführt, die allerdings die große Mehrheit der LBL-Patienten ausmachen. (Patienten mit geringem Rückfallrisiko erhalten sofort eine Dauertherapie, siehe unten). Die Re-Induktionstherapie ist ähnlich intensiv wie die Induktionstherapie, das heißt, sie erfolgt mit Zytostatika-Kombinationen in hoher Dosierung.
Typische Zytostatika in diesem Behandlungsabschnitt sind zum Beispiel Dexamethason (DEXA), Vincristin (VCR), Doxorubicin (DOX), Asparaginase (ASP), Cyclophosphamid (CPM), Cytarabin (ARA-C) und 6-Thioguanin (6-GT), die intravenös verabreicht werden. Die Reinduktionstherapie dauert circa sieben Wochen und soll die vollständige Zerstörung aller Lymphomzellen sichern.
6. ZNS-Therapie (Extrakompartment-Therapie)
Ein wichtiger Bestandteil der gesamten intensiven Therapiephase (Vortherapie, Induktionstherapie, Re-Induktionstherapie) und des Protokolls M ist die vorbeugende (prophylaktische) oder therapeutische Behandlung des Zentralnervensystems (ZNS), die so genannte ZNS-Therapie oder Extrakompartment-Therapie. Sie soll verhindern, dass sich Lymphomzellen im Gehirn oder Rückenmark ansiedeln oder weiter ausbreiten.
Die ZNS-Therapie erfolgt in erster Linie in Form mehrerer Zytostatikagaben in den Nervenwasserkanal (intrathekale Chemotherapie), dabei werden besonders gut ZNS-gängige Medikamente (wie Methotrexat) eingesetzt. Ergänzt wird dies durch die hochdosierte systemische MTX-Behandlung während der Konsolidierungsphase (siehe oben). Patienten ohne nachweisbaren ZNS-Befall sind auf diese Weise ausreichend geschützt. Die Dosierung des intrathekal verabreichten Methotrexats richtet sich vor allem nach dem Alter des Patienten.
Wenn das Zentralnervensystem nachweislich befallen ist, erfolgt im Anschluss an die Intensivtherapie zusätzlich eine Bestrahlung des Kopfes (Schädelbestrahlung). Die Dauer der Strahlentherapie beläuft sich auf circa zwei bis drei Wochen, je nachdem, welche Gesamtstrahlendosis der Patient erhalten soll. Kinder unter einem Jahr werden nicht bestrahlt.
7. Erhaltungs- oder Dauertherapie
Die letzte Phase der Behandlung, die so genannte Erhaltungs- oder Dauertherapie, ist darauf ausgerichtet, durch eine möglichst lange Therapiedauer all jene Lymphomzellen zu vernichten, die trotz der intensiven Behandlung überlebt haben. Auf diese Weise soll ein Krankheitsrückfall verhindert werden.
Die Dauertherapie besteht aus einer milderen Chemotherapie mit 6-Mercaptopurin und Methotrexat (in Tablettenform). Sie wird in der Regel so lange durchgeführt, bis die vorgesehene Gesamt-Therapiedauer von zwei Jahren erreicht ist. Die Behandlung erfolgt vorwiegend ambulant, das heißt, der Patient kann während dieser Therapiephase zu Hause sein und in der Regel auch den Kindergarten- oder Schulbesuch fortsetzen.
Behandlungsmöglichkeiten bei unvollständigem Ansprechen der Erkrankung auf die Standardtherapie
Bei manchen Patienten kann durch die Standardbehandlung keine oder nur eine unzureichende Tumorrückbildung (Remission) erzielt werden. In Fachkreisen spricht man auch von „Non-Response“ (Nicht-Ansprechen).
Ein unzureichendes Ansprechen der Erkrankung auf die Therapie liegt definitionsgemäß dann vor, wenn sich ein Tumor nach 33 Tagen Behandlung nicht um mindestens 35 % verkleinert hat und/oder (ebenfalls am Tag 33) Lymphomzellen im Knochenmark beziehungsweise in der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit (Liquor) gefunden werden. Bei diesen Patienten kann zum Beispiel eine Hochdosis-Chemotherapie mit anschließender Stammzelltransplantation in Betracht kommen (siehe auch Kapitel „Behandlungsmethoden“). Das Behandlungsteam wird gemeinsam mit Ihnen erörtern, welche Möglichkeiten der Behandlung im Einzelfall in Frage kommen.
Hinweis zur Therapieoptimierungsstudie LBL 2018
Im Rahmen der Therapieoptimierungsstudie LBL 2018 (Start: September 2019) wird derzeit überprüft, ob durch ein anderes Therapiekonzept während der Induktion (Protokoll Ia) das Auftreten von Rückfällen mit Beteiligung des Zentralnervensystems gesenkt werden kann. Zu diesem Zweck werden die an der Studie teilnehmenden Patienten nach dem Zufallsprinzip einem Kontroll- beziehungsweise Prüfarm zugeteilt (so genannte Randomisierung R1): Patienten im Kontrollarm erhalten die Standardtherapie, Patienten im Prüfarm eine davon abweichende Therapie mit Dexamethason (siehe oben). Für Patienten der Hochrisikogruppe soll die Studie darüber hinaus zeigen, ob eine intensivierte Behandlung an Stelle der Standardtherapie gemäß Protokoll Ib und M das ereignisfreie Überleben verbessern kann. Die Zuteilung der Hochrisiko-Patienten zu Kontroll- beziehungsweise Prüfarm erfolgt ebenfalls durch Zufallsverteilung (Randomisierung R2). (Mehr zur Studie siehe auch Kapitel „Therapieoptimierungsstudien und Register“).
Ob ein Patient in der Standardrisikogruppe (SR) oder Hochrisikogruppe (HR) behandelt wird, hängt vom Typ des lymphoblastischen Lymphoms (T-LBL, B-LBL), molekularen Eigenschaften sowie der Ausbreitung der Erkrankung (zum Beispiel ZNS-Befall ja oder nein) ab.