Ursachen: Wie entstehen primäre Thrombozytosen?

Von einer primären Thrombozytose spricht man, wenn die gesteigerte Bildung von Blutplättchen (Thrombozyten) durch eine genetisch bedingte Störung der Plättchenproduktion im Knochenmark entstanden ist. Solche Fehlregulationen können vorkommen bei:

  • vererbten Erkrankungen der Thrombozyten (familiäre primäre Thrombozytose)
  • bösartigen Erkrankungen des Knochenmarks (sporadische primäre Thrombozytose)
  • familiäre (angeborene, erbliche) primäre Thrombozytose

Die familiäre Form der Thrombozytose ist selten. Sie wird von den Eltern an ihre Kinder vererbt. Es gibt eine Reihe von genetischen Veränderungen, die dieser Form der primären Thrombozytose zugrunde liegen. Darunter sind die Gene für den Botenstoff (siehe Zytokine) Thrombopoietin (TPO) sowie für dessen Bindungsstelle auf den Blutplättchen, den Thrombopoietinrezeptor (MPL), am häufigsten betroffen.

Vererbungsformen der familiären Thrombozytose

Es gibt verschiedene Wege, auf denen genetische Veränderungen, die zu angeborenen Erkrankungen wie der familiären Thrombozytose führen, vererbt werden. Die häufigste Form wird autosomal-dominant vererbt. Daneben gibt es autosomal-rezessive Formen und die seltene X-chromosomale Vererbung.

Autosomal-dominanter Erbgang

bedeutet, dass die Erkrankung bei einem Kind bereits dann auftritt, wenn es die Veränderung auf dem betroffenen Gen (siehe oben) nur von einem Elternteil geerbt hat. Obwohl es also vom anderen Elternteil auch noch Erbinformation für eine normale Menge an gesundem Thrombopoietin oder Rezeptor erhalten hat, kommt die Krankheit zum Ausbruch. Das kranke Erbgut "setzt sich durch". Es ist also "dominant".

Autosomal-rezessiver Erbgang

bedeutet, dass ein Kind das veränderte Gen vom Vater und von der Mutter erhalten muss, damit die Krankheit auftritt. Die Eltern sind dabei jeweils so genannte Anlageträger. Das heißt, dass sie nicht an einer Thrombozytose erkrankt sein müssen, jedoch über veränderte Gene verfügen, die sie an ihre Nachkommen weitergeben können.

X-chromosomaler Erbgang

bedeutet, dass eine Genveränderung geschlechtsgebunden über die Geschlechtschromosomen X oder Y vererbt wird. Bei einer X-chromosomal vererbten Thrombozytose liegt der genetische Defekt auf dem X-Chromosom. Weitere Informationenen zur geschlechtsgebundenen Vererbung finden Sie auf den Webseiten von Eurogentest.

So erkranken in der Regel nur die männlichen Nachkommen einer Mutter, die ein krankes X-Chromosom besitzt. Die Söhne eines an einer solchen Thrombozytose erkrankten Vaters sind alle gesund, weil sie von ihm das gesunde Y-Chromosom (und nicht sein krankes X-Chromosom) erhalten. Die Töchter eines Erkrankten erhalten demgegenüber alle das betroffene X-Chromosom. Da sie zusätzlich noch ein zweites, gesundes X-Chromosom (von der Mutter) erhalten, sind sie jedoch nicht wie ein männlicher Nachkomme an Thrombozytose erkrankt. Die Töchter besitzen ein gesundes X-Chomosom. Sie tragen das kranke X-Chromosom vom Vater allerdings zeitlebens in sich und können es also an ihre Nachkommen weitergeben. Sie werden deshalb Überträgerinnen genannt.

Genetische Beratung

Bei jeder Erbkrankheit besteht das Risiko, dass die Erkrankung oder die Anlage dafür an die Nachkommen weitergegeben wird. Wie hoch dieses Risiko ist, hängt vom jeweiligen Vererbungsweg ab (siehe oben). Bei den autosomal-dominant vererbten Formen der Thrombozytose beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass die Erkrankung bei den Nachkommen auftritt, bei jeder Schwangerschaft 50%, bei den autosomal-rezessiv vererbten Varianten 25%. Bei den (seltenen) geschlechtsgebundenen Formen sind die Töchter zu 100% überträgerinnen der Erkrankung. Die Nachkommen einer solchen Überträgerin haben geschlechtsunabhängig eine 50% Wahrscheinlichkeit, als Junge an Thrombozytose erkrankt beziehungsweise als Mädchen überträgerin zu sein. Daher wird empfohlen:

Alle Erkrankungsträger und erkrankten Patienten mit familiärer Thrombozytose sollten bei Kinderwunsch eine genetische Beratung in einem spezialisierten Zentrum wahrnehmen. Dort können die Risiken, die sich für das Kind ergeben, bestimmt und besprochen, und ebenso auch die möglichen Maßnahmen für eine komplikationslose Entbindung/Geburt veranlasst werden.

Sporadische primäre Thrombozytose

Die sporadische Form der primären Thrombozytose geht in der Regel von einer Stammzelle im Knochenmark aus, die sich plötzlich und ohne bekannte Ursache (sporadisch), genetisch verändert hat. Die Mutation geschieht „einfach so“, das heißt ohne einen zugrundeliegenden Vererbungsmodus (siehe oben). Diese genetische Veränderung bewirkt, dass die Stammzelle eine fehlerhafte Information zur Blut- beziehungsweise Thrombozytenbildung erhält. Die Mutation wird dann bei jeder Zellteilung an die nächste Zellgeneration weitergegeben.

Folgende bösartige Erkrankungen des Knochenmarks können mit einer solchen sporadischen primären Thrombozytose einhergehen:

Chronische myeloische Leukämie

Mit Nachweis eines verkürzten Chromosoms 22 (so genanntes Philadelphia-Chromosom beziehungsweise BCR-ABL1 Fusionsgen) - eine bei Kindern und Jugendlichen insgesamt seltene Form von Blutkrebs.

Myeloproliferative Neoplasien (MPN)

Eine Gruppe von Bluterkrankungen, bei denen zu etwa 30% das Gen für die so genannte JAK2 Tyrosinkinase fehlerhaft verändert ist (JAK2-Mutation-V617F). In der Folge kann es zu einer unkontrollierten Vermehrung von Blutzellen wie den Thrombozyten und ihren Vorstufen, den Megakaryozyten, also zur Thrombozytose kommen.

Typische MPN mit JAK2-Mutation-V617F sind:

  • essentielle Thrombozythämie (ausgeprägte Thrombozytose)
  • Polyzythämia vera (Überproduktion von roten Blutkörperchen und Blutplättchen)
  • Myelofibrose (fortschreitende Verödung (so genannte Fibrosierung) des Knochenmarks mit fehlerhafter Blutbildung)

Insgesamt sind MPN-Veränderungen bei Kindern und Jugendlichen seltener als bei Erwachsenen.