Ursachen: Wie entsteht eine Thrombozytenfunktionsstörung?
Autor: Prof.Dr. med. R. Knöfler, erstellt am: 24.02.2021, Zuletzt geändert: 01.03.2021
Um besser zu verstehen, wie es bei einem Kind zu einer Plättchenfunktionsstörung und daraufhin zu Problemen bei der Blutgerinnung kommt, ist es zunächst wichtig, etwas mehr zu Blutplättchen (Thrombozyten) und deren Aufgaben im menschlichen Körper zu erfahren.
Allgemeine Informationen zu Blutplättchen und Blutgerinnung
Blutplättchen sind die kleinsten Blut-Zellen und werden ebenso wie die roten (Erythrozyten) und weißen (Leukozyten) Blutzellen im Knochenmark gebildet. Sie besitzen keinen Zellkern und somit auch keine Erbinformation (Desribo-Nuklein-Säure - DNS), sondern entstehen durch Abschnürung von ihren großen Vorläuferzellen, den Megakaryozyten. Ein Mikroliter Blut von einem gesunden Kind oder Erwachsenen enthält etwa 150.000 bis 400.000 Blutplättchen. Die Lebenszeit der Thrombozyten beträgt durchschnittlich neun Tage. Nach diesem Zeitraum werden sie hauptsächlich in der Milz abgebaut.
Gesunde Blutplättchen enthalten besondere körnchenartige Einlagerungen (Organellen mit Granula und Lysosomen), in denen plättchen- und gerinnungsaktivierende Substanzen gespeichert werden. Die Zellwand der Thrombozyten ist so aufgebaut, dass sie nach dem Anheften an eine Verletzungsstelle ihre Form ändern und die in den Organellen gespeicherten Substanzen ins Blut ausschütten können. Dies führt zur Aktivierung und Anheftung weiterer vorbeifließender Thrombozyten an die Verletzungsstelle. Auf der Oberfläche der Plättchen befinden sich verschiedene Bindungsstellen (MembranRezeptoren), welche über spezielle Signalwege aktiviert werden. Nach der Rezeptor-Aktivierung können sich bestimmte Eiweiße (Proteine) an diese Bindungsstellen ankoppeln. Dazu zählen unter anderem die Gerinnungsfaktoren Von Willebrand Faktor (VWF), der die Bindung an die Verletzungsstelle („Thrombozytenadhäsion“) erlaubt und das Fibrinogen, welches zur Verbindung der Thrombozyten untereinander („Thrombozytenaggregation“) führt.
In den kleinen Blutgefäßen (Arterien und Venen) erfolgt die Drosselung des Blutflusses nach einer Verletzung zunächst durch ein Sich-Zusammenziehen des betroffenen Gefäßes. Daraufhin kommt es an der Verletzungsstelle zur Thrombozytenadhäsion (siehe oben). Hierzu ist die Anwesenheit des bereits erwähnten Von-Willebrand-Faktors (VWF) erforderlich. Dieser wird hauptsächlich in den Gefäßwandzellen gebildet und dann ins Blut freigesetzt. Während der Anheftung verändern die Blutplättchen ihre Form und setzen aus ihren Organellen die dort gespeicherten Substanzen frei, welche:
- zur Aktivierung weiterer, vorbeiströmender Plättchen führen und
- zur festen Verbindung zwischen den Blutplättchen mit Hilfe des Fibrinogens führt.
Es entsteht eine Art Pfropf, ein stabiles Gerinnsel, welches die Wunde endgültig verschließt. Störungen dieser Phase der Blutgerinnung mit Thrombozytenadhäsion und -aggregation entstehen meist aufgrund von Fehlfunktionen der Plättchen. Diese können angeboren oder erworben sein (siehe "Krankheitsformen").
Welche Störungen der Thrombozytenfunktion gibt es?
Folgende Thrombozytenfunktionsstörungen werden aufgrund ihrer zugrundeliegenden Defekte unterschieden (siehe dazu auch "Ursachen"). Diese Defekte können angeboren oder erworben sein. Die angeborenen Defekte werden wie folgt eingeteilt:
- Störungen der Anheftung von Blutplättchen an die Verletzungsstelle (Thrombozytenadhäsions-Defekt)
- Verminderung oder Fehlen wichtiger gerinnungsaktivierender Substanzen in den Thrombozyten-organellen (Thrombozytengranula-Defekte)
- gestörte innere Signalwege für die Thrombozytenaktivierung
- Defekte an den Bindungsstellen auf der Thrombozytenoberfläche (Rezeptor-Defekte)
- Defekte des Thrombozytenaufbaus (Zellstruktur-Defekte)
Angeborene (hereditäre) Funktionsstörungen der Blutplättchen
Angeborene Fehlfunktionen von Thrombozyten werden durch Fehler (Mutationen) in bestimmten Erbanlagen (Genen) verursacht. Diese Erbanlagen sind für die Produktion von bestimmten Eiweißen verantwortlich, die beim Aufbau sowie bei den Aufgaben der Blutplättchen eine Rolle spielen. Durch die Mutationen ist die Bildung dieser Eiweiße gestört. Die häufigsten angeborenen Störungen der Plättchenfunktion werden durch die Thrombozytengranula-Defekte verursacht, welche mit einer leichten Blutungsneigung einhergehen. Wesentlich seltener treten das Bernard-Soulier-Syndrom und die Thrombasthenie Glanzmann als schwere angeborene Plättchenfunktionsstörungen auf (siehe "Krankheitsformen"). Mehrere Formen der angeborenen Thrombozytenfunktionsstörungen gehen auch mit einer Verminderung der Thrombozytenzahl mit Werten unter 100.000 pro Mikroliter Blut (Normalbereich: 150.000 – 400.000 pro Mikroliter) einher.
Erworbene Funktionsstörungen der Blutplättchen
Die meisten erworbenen Thrombozytenfunktionsstörungen (siehe „Krankheitsformen“) werden sowohl durch vorher bestehende Erkrankungen als auch durch Störfaktoren von außen, wie beispielsweise bestimmte Medikamente oder andere Substanzen ausgelöst. Diese erworbenen Erkrankungen treten bei Kindern wesentlich seltener als bei Erwachsenen auf. Folgende Ursachen sind bekannt:
- Medikamente
- Nierenversagen
- Leberschäden
- bösartige Erkrankungen des Knochenmarks.
Dabei ergeben sich ebenso wie bei den angeborenen Störungen unterschiedlich starke Einflüsse auf die Thrombozytenfunktion. Deshalb ist die Schwere der Blutungsneigung (siehe "Krankheitszeichen") meist nicht vorhersehbar.