Krankheitsbild: Was sind megaloblastäre Anämien?
Autor: Dr. med. habil. Gesche Tallen, erstellt am: 17.02.2021, Zuletzt geändert: 21.04.2021
Megaloblastäre Anämien entstehen in Folge von Störungen der Zellreifung und Zellteilung. Sie sind zumeist Folge eines Vitamin B9 (Folat/Folsäure)-Mangels und/oder Vitamin B12 (Kobalamin)-Mangels, können jedoch auch andere, seltenere Ursachen haben (siehe „Ursachen“). Vitamin B9-Mangel tritt auf, wenn bestimmte Nahrungsmittel nicht konsumiert werden. Vitamin B9 ist gegen Licht und Hitze empfindlich und natürlicherweise in Gemüse und Hülsenfrüchten, aber auch in Leber und Eigelb enthalten. Blutarmut, die durch einen Vitamin B12-Mangel entstanden ist, kennt man auch unter der Bezeichnung perniziöse (lateinisch „perniciosus“ bedeutet „schädlich“) Anämie.
Sowohl Folat als auch Kobalamin sind Wachstumsfaktoren und daher für eine normale Zellteilung, genauer gesagt für eine normale DNA-Synthese unverzichtbar. Mangelt es an diesen Vitaminen, kommt es beispielsweise zu einer gestörten DNA-Synthese bei der Neubildung roter Blutkörperchen (Erythrozyten) im Knochenmark. Fazit: Anstelle einer normalen Anzahl gesunder Erythrozyten, die den Organismus bedarfsgemäß mit Sauerstoff versorgen, entstehen viel zu große (makrozytäre), funktionsuntüchtige rote Blutkörperchen mit übergroßen, unreifen Zellkernen (Megaloblasten).
Deshalb entwickeln die Patienten Blutarmut (Anämie) mit den typischen Zeichen der Unterversorgung ihrer Organe mit Sauerstoff: also Beschwerden wie Müdigkeit, Blässe, Kopfschmerzen, Schwindel, Konzentrationsstörungen und Kurzatmigkeit. Häufig betrifft diese fehlerhafte DNA-Synthese allerdings nicht nur die Erythrozyten. Auch die Bildung der weißen Blutkörperchen (Leukozyten) und der Blutplättchen (Thrombozyten) ist oft beeinträchtigt (PanZytopenie), so dass die Patienten nicht nur zu wenig rote Blutkörperchen, sondern auch nicht genügend beziehungsweise funktionsuntüchtige Leuko- und Thrombozyten bilden (Leukozytopenie, Thrombozytopenie).
Auch die Neubildung anderer Zellen, zum Beispiel Nervenzellen, ist herabgesetzt, so dass auch das Nervensystem Schaden nehmen kann. So kann es zusätzlich zu den Symptomeneiner Anämie auch zu einer gesteigerten Infekt- und Blutungsneigung, Wachstumsstörungen, sowie zu neurologischen Beschwerden wie Kribbeln in Händen und Füßen, Seh- und Gedächtnisstörungen kommen.
Bei Embryonen von Schwangeren mit Folatmangel können Verschlussstörungen bei der Entwicklung der Wirbelkörper und -säule, so genannte Neuralrohrdefekte, wie beispielsweise eine Spina bifida (umgangssprachlich oft auch als „offener Rücken“ bezeichnet) auftreten.
Bei Patienten mit Verdacht auf eine megaloblastäre Anämie sind spezielle Bluttests zur Bestimmung des Folat- und/oder Vitamin B12-Spiegels sowie andere Untersuchungen angezeigt. Letztere helfen dabei, die Ursache für den Vitaminmangel zu finden, um daraufhin eine gezielte Behandlung zur Bekämpfung dieser Ursache zu festzulegen. Zusätzlich kommen bei der Behandlung diätetische Maßnahmen, teilweise auch mit Nahrungsergänzung von B-Vitaminen, die allerdings streng unter ärztlicher Kontrolle erfolgen sollte, erfolgreich zum Einsatz.
Wenn eine megaloblastäre Anämie frühzeitig erkannt und fachgerecht behandelt wird, können viele Komplikationen vermieden werden. Eine Voraussetzung ist, dass die Patienten von einem spezialisierten Behandlungsteam betreut werden. Ebenso entscheidend für einen günstigen Verlauf sind ein umfassendes Wissen und die aktive Mitarbeit seitens der Betroffenen und ihrer Angehörigen.
Wichtig zu wissen: Nicht nur der Mangel an Vitaminen, sondern auch eine nicht fachgerecht überwachte Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln wie Vitamin-Präparaten, kann langfristig zu unerwünschten Folgen führen.