Krankheitsformen: Welche Arten der Thrombozytenfunktionsstörungen gibt es?
Autor: Prof. Dr. med. R. Knöfler, erstellt am: 24.02.2021, Zuletzt geändert: 01.03.2021
Es gibt angeborene und erworbene Thrombozytenfunktionsstörungen. Auf den folgenden Seiten erhalten Sie einen Überblick über einige Formen von Thrombozytenfunktionsstörungen. Ein vollständiger Überblick kann aufgrund der Vielzahl der Störungen nicht gegeben werden.
Angeborene Thrombozytenfunktionsstörungen
Bernard-Soulier-Syndrom
(nach den französischen Spezialisten für Blutkrankheiten, Jean Bernard (1907–2006) und Jean-Pierre Soulier (1915–2003)
Es handelt sich um Defekte auf den Chromosomen 17 und 22. Diese führen dazu, dass ein ganzer Eiweiss-Komplex, der Glykoprotein Ib-IX-Komplex (GpIb-IX), als Bindungsstelle für den Von-Willebrand-Faktor, nicht richtig gebildet werden können. Daraus resultiert eine Störung der Fähigkeit von Thrombozyten, sich an eine verletzte Gefässwand anzuheften. Bei dieser Erkrankung liegen auch eine Verminderung der Thrombozytenzahl im Blut und eine abnorme Thrombozytengröße (Riesenthrombozyten) vor.
Thrombasthenie Glanzmann
(nach dem Schweizer Kinderarzt Eduard Glanzmann (1887-1959)
Auch hier existieren krankhafte Veränderungen auf dem Chromosom 17. Davon ist der Glykoprotein-Rezeptor (GpIIb/IIIa) als Bindungsstelle für das Fibrinogenbetroffen. Die Plättchen der erkrankten Patienten können keine Thrombozytenaggregate. Ebenso wie beim Bernard-Soulier-Syndrom resultiert eine eine schwere Blutungsneigung (siehe "Krankheitszeichen").
Genetische Diagnostik und Beratung
Grundsätzlich gibt es verschiedene Wege, bei denen genetische Veränderungen, die zu angeborenen Erkrankungen führen, vererbt werden. So liegt beim Bernard-Soulier-Syndrom und der Thrombasthenie Glanzmann (siehe "Krankheitsformen") ein so genannter autosomal-rezessiver Erbgang vor. Das bedeutet, dass das Kind die veränderten Gene, die bei der Erkrankung eine Rolle spielen, von beiden Elternteilen erhalten muss, damit die Krankheit auftritt. Die Eltern sind dabei so genannte Anlageträger. Das heißt, dass sie zwar nicht an einer Fehlfunktion von Plättchen erkrankt sind, jedoch zum Teil über kranke Gene verfügen, die sie an ihre Nachkommen weitergeben können.
Bei autosomal-rezessiv vererbten Krankheiten beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass die Nachkommen nicht miteinander verwandter Eltern an einer erhöhten Blutungsneigung leiden, bei jeder Schwangerschaft 25 %. Die Wahrscheinlichkeit ist höher, dass die Nachkommen (Kinder, Enkel) zwar die Krankheitsanlage erben, jedoch ebenso wie ihre Eltern oder Großeltern nicht an einer Blutungsneigung leiden. Für betroffene Frauen, die Träger dieser Erkrankung sind, sind sowohl Schwangerschaft als auch eine normale Entbindung möglich.
Wie auch bei anderen angeborenen Erkrankungen wird heutzutage zunehmend eine genetische Diagnostik bei Verdacht auf das Vorliegen einer angeborenen Erkrankung der Blutplättchen durchgeführt. Dabei wird meist zielgerichtet nach den erkrankungsverursachenden Genen gesucht. Bei genetischer Bestätigung der Diagnose erlaubt dies die zielgerichtete Behandlung des Betroffenen aber ggf. auch eine Ausweitung der Diagnostik auf dessen Familie. Grundsätzlich gilt, dass laut deutschem Gendiagnostikgesetz eine genetische Diagnostik nur im Zusammenhang mit einer genetischen Beratung und mit schriftlichem Einverständnis des Patienten und bei Minderjährigen von dessen Eltern durchgeführt werden darf. Diese Beratung sollte bevorzugt in den Gerinnungszentren von erfahrenen Ärzten, die über große Erfahrungen bei der Diagnostik aber auch der Therapie dieser Erkrankungen verfügen, erfolgen.
Allen Menschen, in deren Familie eine angeborene Gerinnungsstörung schon einmal vorgekommen ist, sowie allen Erkrankungsträgern und erkrankten Patienten wird empfohlen, bei Kinderwunsch eine genetische Beratung wahrzunehmen. Dies sollte aufgrund der großen Erfahrungen bevorzugt im Gerinnungszentrum erfolgen. Dort kann die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der Erkrankung beim Kind, die damit verbundenen Risiken und die Therapiemöglichkeiten besprochen werden. Die Geburt des von einer Gerinnungsstörung mit Blutungsneigung betroffenen Kindes sollte in einer Geburtshilfeabteilung mit enger Anbindung an ein Gerinnungszentrum erfolgen
Erworbene Thrombozytenfunktionsstörungen durch Medikamente
Durch Medikamente ausgelöste Plättchenfunktionsstörungen
Im Gegensatz zum Erwachsenenalter stellen die durch Medikamente hervorgerufenen (medikamenten-induziert) Thrombozytenfunktionsstörungen - aufgrund des vergleichsweise begrenzten Einsatzes von Medikamenten - im Kindes- und Jugendalter kein wesentliches Problem dar. Trotzdem sollte auch bei Kindern nach der Einnahme bestimmter Medikamente mit einer Blutungsneigung gerechnet werden. Relevant sind dabei die entzündungshemmenden Medikamente, die sogen, nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR, wie z.B. Ibuprofen, Naproxen und Diclofenac) und Acetylsalicylsäure (ASS). ASS hemmt die Funktion der Thrombozyten für etwa 10 Tage und die NSAR für maximal 2 Tage. Auch andere Medikamente wie Antibiotika (z.B. Penicilline, Cephalosporine) und das bei Epilepsie eingesetzte Valproat können Thrombozytenfunktionsstörungen auslösen. Viele wissen nicht, dass auch der gesteigerte Verzehr bestimmter Nahrungsergänzungsmittel wie zum Beispiel Vitamin E oder Fischöl mit Omega-3-Fettsäuren oder Ginko-Extrakt zu einer verstärkten Blutungsneigung durch eine ausgelöste Thrombozytenfunktionsstörung führt.
Anmerkung: Diese Aufzählungen enthalten keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Eltern sollten wissen:
1. Kinder und Jugendliche mit angeborenen Gerinnungsstörungen mit Blutungsneigung sollten grundsätzlich keine Medikamente einnehmen, welche zusätzlich noch die Plättchenfunktion beeinträchtigen können und somit das Blutunsgrisiko erhöhen.
2. Die Gabe/Einnahme jedes (auch rezeptfreien) Medikaments sowie der regelmäßige Verzehr von Nahrungsergänzungsmitteln sollten bei Kindern und Jugendlichen mit einer angeborenen Gerinnungsstörung vorher mit dem Arzt besprochen werden.