Ursachen: Wie entsteht die ß-Thalassämie?
Autor: Prof. Dr. med. Holger Cario, erstellt am: 06.02.2012, Redaktion: Ingrid Grüneberg, Freigabe: PD Dr. med. Gesche Tallen, Prof. Dr. med. Ursula Creutzig, Zuletzt geändert: 05.02.2020
Die ß-Thalassämie ist eine Erbkrankheit. Sie ist nicht ansteckend und kann auch nicht im Laufe des Lebens erworben werden. Die Erkrankung entsteht durch veränderte Erbanlagen (Gene), die vom Vater und von der Mutter auf ihre Kinder übertragen werden. Diese Vererbung erfolgt bei der ß-Thalassämie meist über einen autosomal-rezessiven Erbgang. Die ß-Thalassämie wird durch Fehler (Mutationen) bestimmter Gene verursacht, welche unterschiedliche Eiweißketten, sogenannte Globinketten, produzieren. Globinketten sind Bestandteile des roten Blutfarbstoffs (Hämoglobin) und für dessen richtige Funktion unverzichtbar. Um besser zu verstehen, auf welche Weise krankhaft veränderte Globinketten eine Thalassämie verursachen können, ist es zunächst wichtig, etwas mehr über den roten Blutfarbstoff zu erfahren.
Hämoglobinstruktur und -formen
Hämoglobinstruktur
Hämoglobin ist der rote Blutfarbstoff, der in den roten Blutkörperchen (Erythrozyten) enthalten ist. Es wird zur Sauerstoffversorgung aller Organe benötigt (siehe „Was ist Blut und wozu wird es gebraucht?“). Normales Hämoglobin ist aus folgenden Bestandteilen aufgebaut:
- zwei identischen Eiweiß- (Globin-) Kettenpaaren, dass heißt entweder aus zwei so genannten alpha (α) -Ketten, oder zwei beta (β) -, zwei gamma (χ) -, delta (δ) -, oder epsilon (ε)-Ketten. Diese können jeweils mit zwei α-Ketten als Doppelpaare (so genannte Tetramere wie beispielsweise α2β2) vorliegen . Die Art und Weise, wie sich diese Ketten zusammenlagern, bestimmt die räumliche Struktur des roten Blutfarbstoffs. Ist seine Struktur krankhaft verändert, kann er nicht normal funktionieren.
- dem so genannten Häm-Eisen, welches für Sauerstofftransport im Körpers zuständig ist
Die Bildung von Hämoglobin wird durch verschiedene Gene reguliert: Es gibt insgesamt vier Gene, die jeweils für Entstehung der α-Globinkette und zwei Gene, die für die Produktion der ß-Kette verantwortlich sind. Beim Gesunden werden alpha- und beta-Ketten in genau gleichen Mengen produziert. Allerdings werden die α-Ketten bereits im Mutterleib gebildet, während die ß-Ketten erst im zweiten Lebenshalbjahr entstehen.
Hämoglobinformen
Fetales Hämoglobin (HbF)
Während der Schwangerschaft enthält das Blut des Ungeborenen (Fetus) eine besondere Form des Hämoglobins, die fetales Hämoglobin genannt wird (HbF). Dieses HbF besteht aus einem Paar α-Ketten und einem Paar χ -Ketten (α2χ2). Fetales Hämoglobin hat dieselbe Funktion wie das Hämoglobin bei älteren Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen: den Transport von Sauerstoff im Körper. Bei Säuglingen, also von der Geburt bis etwa zum zweiten Lebenshalbjahr wird diese Aufgabe weiterhin vom HbF durchgeführt.
Erwachsenes (adultes) Hämoglobin (HbA)
Ab dem zweiten Lebensjahr wird das HbF allmählich durch das so genannte „erwachsene Hämoglobin“ (HbA) ersetzt. HbA besteht aus zwei α- und aus zwei β-Ketten (α2β2).
Blutarmut durch Bildung von zu wenig erwachsenes Hämoglobin (HbA)
Aufgrund des Mangels an ß-Ketten kann nicht genügend „erwachsenes“ Hämoglobin produziert und in die roten Blutkörperchen eingebaut werden. In der Folge sind die roten Blutkörprechen zahlenmäßig verringert und kleiner als normal. Es besteht eine Sauerstoffunterversorgung des Körpers. Der Organismus von Kindern und Jugendlichen versucht, den HbA-Mangel auszugleichen, indem er anhaltend große Mengen an HbF produziert. Aber selbst hohe HbF-Konzentrationen können nicht soviel Sauerstoff transportieren, wie vom wachsenden Körper eines Kindes oder Jugendlichen benötigt wird. Deshalb leiden die Patienten an den Folgen des Sauerstoffmangels (siehe „Krankheitszeichen“). Der Arzt spricht dann von einer mikrozytären (kleinzelligen), hypochromen (mit wenig Farbstoff) Anämie (Blutarmut).
Blutarmut durch Überschuss an α-Globinketten
Da bei der ß-Thalassämie weiterhin eine normale Menge an α-Ketten produziert werden, jedoch nicht genügend β-Ketten für die Paarbildung zur Verfügung stehen, häufen sich immer mehr α-Ketten an. Diese überschüssigen α-Ketten zerfallen bereits während der Blutbildung in den Vorläuferzellen der roten Blutkörperchen, was zu Folge hat, dass diese bereits im Knochenmark, also viel zu früh, abgebaut werden (Hämolyse). Dadurch kann die Anzahl an reifen, das heißt funktionstüchtigen roten Blutkörperchen um 95% vermindert sein und es entsteht eine schwere Blutarmut.