Behandlung: Wie werden Patienten mit ß-Thalassämie behandelt?

Autor: Prof. Dr. med. Holger Cario, erstellt am: 06.02.2012, Redaktion: Ingrid Grüneberg, Freigabe: PD Dr. med. Gesche Tallen, Prof. Dr. med. Ursula Creutzig, Zuletzt geändert: 21.10.2020

Wurde bei Ihrem Kind eine ß-Thalassämie festgestellt, so sollte es in einem spezialisierten Behandlungszentrum (Klinik für pädiatrische Hämatologie) angemeldet werden. Dort findet eine Betreuung durch ein erfahrenes Behandlungsteam statt, das aus Ärzten und weiteren Mitarbeitern wie Krankenschwestern und -pflegern, Sozialarbeitern, Krankengymnasten und Psychologen besteht. Die regelmäßige Vorstellung des erkrankten Kindes in solch einem Zentrum ist sehr wichtig, damit der Krankheitsverlauf sorgfältig überwacht wird. Außerdem können Komplikationen frühzeitig erkannt und umgehend von Spezialisten behandelt werden. Die Spezialisten können zudem Ihre Fragen zu neuen Behandlungsmethoden und Forschungsergebnissen beantworten.

Während Kinder und Jugendliche mit einer Thalassaemia minor (siehe „Erkrankungsformen“) nur selten einer Behandlung bedürfen, können sowohl Thalassaemia major als auch intermedia, wenn sie nicht oder unzureichend behandelt werden, zu schweren, manchmal sogar tödlichen Komplikationen führen. Es gibt allerdings keine etablierte Behandlung, mit der die Ursache der ß-Thalassämie, also der Defekt auf dem ß-Globinketten-Gen (siehe „Ursachen“) repariert werden kann. Die Therapie besteht in erster Linie aus der Behandlung der verschiedenen gesundheitlichen Probleme, die mit der Krankheit einhergehen können, der so genannten Symptome wie Blutarmut und Eisenüberladung (siehe „Krankheitszeichen“). Diese Behandlung wird deshalb auch als symptomatische Therapie bezeichnet. Bei manchen Patienten kann eine Stammzelltransplantation notwendig werden (kurative Therapie).

Behandlung von Blutarmut und Eisenüberladung (symptomatische Therapie)

Alle Therapiemaßnahmen sollten zur Sicherheit des Kindes und zur Vermeidung von Nebenwirkungen immer in Absprache mit dem Behandlungsteam erfolgen. Sie dienen der Behandlung der gesundheitlichen Probleme, die bei Patienten mit schwerer und mittelschwerer ß-Thalassämie (siehe „Krankheitszeichen“) auftreten können. Einige der Maßnahmen können zu Hause von den Eltern vorgenommen, andere Maßnahmen müssen in einem Spezialzentrum durchgeführt werden. Patienten mit lebensbedrohlichen Notfällen müssen unmittelbar in der Notfallambulanz oder im Rahmen eines stationären Aufenthalts im Krankenhaus versorgt werden. Im Folgenden wird ein Überblick über regelmäßig eingesetzte symptomatische Behandlungsmaßnahmen bei verschiedenen Komplikationen der ß-Thalassämie gegeben:

Behandlung der Blutarmut: Transfusionsprogramm

Seit den sechziger Jahren ist die lebenslange regelmäßige Gabe von roten Blutkörperchen (Erythrozytenkonzentrate) in Form von Bluttransfusionen fester Bestandteil der Behandlung einer Blutarmut. Bei Kindern mit einer ß-Thalassämie wird üblicherweise mit einer Transfusionsbehandlung begonnen, wenn die Blutarmut zu gesundheitlichen Problemen führt (siehe „Krankheitszeichen“). In der Regel kommt es dazu, wenn die Konzentration des roten Blutfarbstoffs (Hämoglobin) unter einem bestimmten Wert (üblicherweise unter 8 g/dl mit individuellen und teilweise auch altersabhängigen Schwankungen) liegt. Es wird allerdings auch dann ein regelmäßiges Transfusionsprogramm eingeleitet, wenn regelmäßig Hämoglobinwerte gemessen wurden, die leicht oberhalb dieser Grenze liegen, der Zustand des Kindes jedoch beeinträchtigt ist. Während der Blutransfusion muss die richtige Menge an Erythrozyten in der notwendigen Geschwindigkeit transfundiert werden. Diese Faktoren werden für jeden Patienten individuell und im Rahmen jeder Transfusion immer wieder neu bestimmt. Dabei berücksichtigt der Arzt beispielsweise das Alter und das Körpergewicht des Patienten, die Schwere der Blutarmut sowie die Menge an Blutzellen, die in der Blutkonserve enthalten sind.

Die Hauptziele der Transfusionstherapie bei Kindern mit einer ß-Thalassämie sind:

  • Verbesserung des Allgemeinbefindens
  • die Ausbreitung des hyperaktiven Knochenmarks und damit Skelettveränderungen (siehe „Krankheitszeichen“) so gering wie möglich zu halten
  • ein normales Körperwachstum
  • Verminderung der Zähflüssigkeit (Viskosität) des Blutes und dadurch Herabsetzung des Risikos für Blutgerinnsel (Thrombosen)
  • Normalisierung der gesteigerten Eisenaufnahme im Darm und dadurch geringere Eisenablagerung (Hämosiderose) in den Organen (siehe „Krankheitszeichen“)

Bei einer Bluttransfusion wird dem Organismus des Patienten fremdes Blut von einem Spender zugeführt. Diese Spenderzellen wurden zwar im Vorfeld ausgiebig im Hinblick auf größtmögliche Ähnlichkeit mit den Blutzellen des Patienten getestet. Dennoch sind sie niemals ganz genau gleich. Sie können so Abwehrreaktionen und andere Komplikationen beim Patienten hervorrufen. Entsprechend birgt eine Bluttransfusion auch Risiken für den Patienten. Deshalb muss ihr Einsatz regelmäßig aufs Neue und sorgfältig abgewogen werden. Zu den Komplikationen einer Transfusion zählen die Ärzte jedes unvorteilhafte Ereignis, das während oder nach einer Transfusion auftritt. Bei diesen so genannten Transfusionsreaktionen werden folgende Komplikationen unterschieden:

Reaktionen des Abwehrsystems (Immunsystems) auf eine Bluttransfusion

Zu den vom eigenen oder, sehr selten, auch durch die Spenderzellen ausgelösten Abwehrreaktionen gehören beispielsweise:

  • Fieber
  • allergische Reaktionen wie Hautquaddeln (Urtikaria), Störungen von Organfunktionen bis zum Kreislaufschock (Anaphylaxie)
  • gesteigerter Abbau der Blutzellen (Hämolyse)
  • transfusionsbedingte Lungenerkrankung
  • Spender-gegen-Wirt-Reaktion (Graft-versus-Host-Reaktion, GvH)

Andere Transfusionsreaktionen

Komplikationen, die nicht durch eine gesteigerte Immunabwehr verursacht werden sind insbesondere übertragbare Infektionskrankheiten wie

Die Häufigkeit dieser Übertragungen ist je nach Land unterschiedlich. In Deutschland kommen sie extrem selten vor. Statistiken zu transfusionsbedingten Infektionsrisiken werden regelmäßig von Mitarbeitern des Paul-Ehrlich-Instituts, dem Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, herausgegeben.

Umgang mit Transfusionsreaktionen

Die Behandlung von Komplikationen im Rahmen einer Bluttransfusion kann, je nach Schwere der Reaktion, folgende Maßnahmen beinhalten:

  • fiebersenkende Medikamente (Antipyretika)
  • Maßnahmen, die die allergische Reaktion abschwächen oder die Immunabwehr kurzfristig herabsetzen (z. B. Gabe von Antihistaminika oder Kortikosteroiden)
  • sofortiges Abbrechen der Transfusion
  • Stabilisierung der Kreislauffunktionen (Schockbehandlung)
  • Anti-Virus-Medikamente

Behandlung der Eisenüberladung (Hämosiderose): Steigerung der Eisen-Ausscheidung mit Medikamenten

Durch die gesteigerte Eisenaufnahme aus der Nahrung einerseits sowie durch die lebenslange Transfusionstherapie andererseits kommt es bei Kindern und Jugendlichen mit ß-Thalassämie im Verlauf zu einer zunehmenden Eisenüberladung vieler Organe. Diese Eisenüberladung kann bei unzureichender Behandlung zu schweren, manchmal tödlich verlaufenden Komplikationen führen (siehe „Krankheitszeichen“). Da der Körper selbst keine effektiven Mittel besitzt, überschüssiges Eisen zu entfernen, müssen Medikamente eingesetzt werden, die mit dem Eisen eine Bindung eingehen (so genannte Eisenbinder oder Eisenchelatoren), so dass es über den Urin und den Stuhl ausgeschieden werden kann.

Eisenbindende Medikamente

Für die Behandlung werden in Abhängigkeit vom Alter des Patienten regelmäßig Eisenbinder eingesetzt, die im Krankenhaus unter die Haut (subkutan) verabreicht werden (Deferoxamin) oder die zu Hause geschluckt werden können (z. B. Deferasirox, Deferipron).

Zeitpunkt der Behandlung mit Eisenbindern

Wann mit der Gabe von Eisenbindern begonnen wird, entscheiden die Ärzte anhand folgender Steuergrößen:

  • zu hoheFerritinkonzentration im Blut (bei wiederholten Blutuntersuchungen jeweils über > 1000 µg/l)
  • zu hoher Lebereisengehalt (gemessen mittels Magnetresonanztomographie(MRT), oder auch mittels SQUID („superconducting quantum interference device). Dieses ist eine Methode, die magnetischen Fluss misst.)

Behandlung der überaktiven Milz (Hypersplenie-Syndrom): Milzentfernung (Splenektomie)

Die Milz ist ein Organ im linken Oberbauch und Teil des körpereigenen Abwehrsystems (Immunsystem). In ihr reifen weiße Blutkörperchen zu Abwehrzellen, den so genannten B-Lymphozyten und T-Lymphozyten, heran. Darüber hinaus werden in der Milz überalterte rote Blutzellen und Blutplättchen (Thrombozyten) sowie bei der ß-Thalassämie auch krankhaft veränderte rote Blutkörperchen aussortiert und vermehrt abgebaut.

Ziele der Milzentfernung

Ohne eine rechtzeitig begonnene, regelmäßige Transfusionstherapie (siehe oben) beginnt die Milz bei Kindern und Jugendlichen mit ß-Thalassämie irgendwann, selbst Blut zu bilden. Dabei vergrößert sich die Milz ständig, wird überaktiv und beginnt vermehrt auch gesunde rote Blutkörperchen (aus Bluttransfusionen) und gesunde weiße Blutzellen abzubauen. In der Folge kann es zu einem gesteigerten Transfusionsbedarf mit zunehmender Eisenüberladung, erhöhter Infektanfälligkeit, Schmerzen und mechanischen Behinderungen führen (siehe „Krankheitszeichen“). Daraus ergibt sich bei einigen Patienten manchmal die Notwendigkeit der Milzentfernung mit den folgenden Zielen:

  • geringerer Bedarf an Bluttransfusionen
  • Verminderung der Eisenüberladung
  • Herabsetzung der Neigung zu Infektionen

Zeitpunkt der Milzentfernung

Bei wem eine Milzentfernung (Splenektomie) angezeigt ist, sowie Einzelheiten zum operativen Eingriff, werden vom Behandlungsteam sorgfältig abgewogen und zum gegebenen Zeitpunkt ausführlich mit den Betroffenen besprochen. Folgende Faktoren werden bei der Entscheidung für eine Splenektomie berücksichtigt:

  • eine übergroße Milz, die sehr tief unter dem linken Rippenbogen des Patienten tastbar ist und Beschwerden verursacht
  • wenn mehr und mehr Bluttransfusionen nötig werden, um eine gewisse Konzentration an rotem Blutfarbstoff aufrecht zu erhalten
  • das Kind sollte mindestens sechs Jahre alt sein, weil jüngere Kinder nach einer Milzentfernung häufiger an bestimmten Infektionen erkranken (siehe unten)

Folgen der Milzentfernung

Die Entfernung der Milz kann schwerwiegende Folgen für den Organismus von Kindern und Jugendlichen haben. Deshalb wird die Entscheidung zur Milzentfernung heutzutage bei allen Patienten grundsätzlich sehr zurückhaltend gefällt. Zu den kurz- und langfristigen Folgen einer Milzentfernung gehören beispielsweise:

  • ein lebenslang erhöhtes Risiko, an schwerwiegenden und manchmal sogar tödlich verlaufenden Bakterien-Infektionen, insbesondere des Blutes (Blutvergiftung/Sepsis) und der Hirnhäute (Meningitis), zu erkranken ("overwhelming postsplenectomy infection/OPSI"-Syndrom); dies gilt besonders für Kinder, bei denen die Milz zwischen dem 1. und dem 5. Lebensjahr entfernt wurde
  • erhöhte Neigung zur Entwicklung von Blutgerinnseln, insbesondere in der Lebervene (Portalvenenthrombose)
  • erhöhtes Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle nach dem 40. Lebensjahr

Vorbeugung von Folgen der Milzentfernung

Die Vorbeugung von gesundheitlichen Problemen bei Patienten nach einer Milzentfernung umfasst vor allem folgende Maßnahmen:

  • Penicillinprophylaxe: Penicillin ist ein Antibiotikum, das von Kindern mit ß-Thalassämie nach einer Splenektomie regelmäßig wie vom Arzt verordnet, eingenommen werden sollte. Diese Penicillin-Einnahmen helfen, den schweren Infektionen durch kapseltragende Bakterien (Pneumokokken, Meningokokken, Haemophilus) vorzubeugen, für die Patienten nach einer Splenektomie besonders anfällig sind. Liegt eine Penicillin-Allergie vor, so können andere Substanzen mit vergleichbarem Wirkungsmechanismus zum Einsatz kommen
  • Impfungen: Patienten mit ß-Thalassämie sollten, ebenso wie gesunde Kinder, nach dem aktuellen Impfkalender geimpft werden. Vor und nach einer Milzentfernung müssen sie allerdings besonders gegenüber Bakterien wie Pneumokokken (Lungenentzündung), Meningokokken (Hirnhautentzündung), Haemophilus (Krupp, Lungenentzündung, Hirnhautentzündung, Gelenkentzündungen) geschützt sein. Daher sind bestimmte Auffrisch-Impfungen notwendig, deren Zeitpunkte Sie vom Kinderarzt Ihres Kindes erfahren können
  • Routine-Vorsorgeuntersuchungen (U-Untersuchungen) beim Kinderarzt: Bei den zehn U-Untersuchungen und später bei der J1 überprüft der Kinderarzt die altersgerechte körperliche, geistige und auch emotionale Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen. Im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen finden auch die Impfungen statt. Die Ergebnisse der Vorsorgeuntersuchungen werden in das "Gelbe Heft" eingetragen, das den Eltern nach der Geburt ausgehändigt wurde [siehe Gelbes Heft]. In diesem Heft ist eine Tasche, in der Sie den Impfpass des Kindes aufbewahren können. Das "Gelbe Heft" mit dem Impfpass sollte zu jedem Arztbesuch mitgenommen werden
  • Temperaturüberwachung: Regelmäßiges Messen der Körpertemperatur trägt dazu bei, Infektionen möglichst früh zu erkennen und sie prompt zu behandeln. Bei Fieber von mehr als 38,5°C sollte sofort ein Arzt kontaktiert werden, da eine gefährliche Infektion die Ursache dafür sein könnte.
  • Kommunikation mit dem Behandlungsteam: Es ist wichtig, die Kontaktdaten der Klinik und des Behandlungsteams jederzeit verfügbar zu haben, um sie in Notfällen sofort parat zu haben.
  • Infektionsvorbeugung vor Auslandsreisen: Neben den von den Tropeninstituten etc. empfohlenen Maßnahmen zur Vorbeugung von Infektionen bei bestimmten Auslandsreisen müssen bei Kindern und Jugendlichen mit ß-Thalassämie nach Milzentfernung zusätzliche Vorkehrungen getroffen werden. Deshalb sollte eine Auslandsreise immer rechtzeitig mit dem Behandlungsteam abgesprochen werden. Nach Möglichkeit sollte auch eine Kontaktadresse für eventuell notwendige, fachgerechte medizinische Versorgung am Urlaubsort zur Verfügung stehen

Anmerkung: Weitere Maßnahmen sowie Einzelheiten zu den verschiedenen Vorkehrungen erfragen Sie am besten beim zuständigen Behandlungsteam Ihres Kindes.

Behandlung weiterer Komplikationen

Viele der Folgekrankheiten von Patienten mit ß-Thalassämie sind unmittelbare Folgen der Eisenüberladung (siehe „Krankheitszeichen“). Sie sind durch eine fachgerechte Behandlung mit Eisenbindern (siehe oben) in der Regel unter Kontrolle zu halten und bei manchen Kindern dann sogar rückläufig. Bei anderen kommt es dennoch zu schweren Komplikationen wie einer Herzschwäche und Herzrhythmusstörungen, die einer Notfallbehandlung bedürfen. Eine besondere Stellung unter den Folgeerkrankungen nehmen die Knochenschmerzen und erhöhte Knochenbrüchigkeit beim so genannten Osteopenie-Osteoporose-Syndrom (siehe „Krankheitszeichen“) ein: Diese Beschwerden können nämlich auch bei Thalassämiepatienten vorkommen, die eine regelmäßige Transfusionsbehandlung sowie eine angemessene Therapie der Eisenüberladung (siehe oben) erhalten. Die Behandlung dieser Beschwerden stützt sich auf vier Säulen:

  • Vermeidung zusätzlicher Risikofaktoren wie körperliche Inaktivität und Rauchen
  • fachgerechte Behandlung von zugrunde liegenden Erkrankungen wie der Blutbildung außerhalb des Knochenmarks (extramedulläre Blutbildung, siehe „Krankheitszeichen“) oder der Eisenüberladung durch regelmäßige Bluttransfusionen beziehungsweise mit Eisenbindern
  • fachgerechte Behandlung der zum Ostopenie-Osteoporose-Syndrom beitragenden, meist durch Eisenüberladung verursachten Erkrankungen wie Zuckerkrankheit, Schilddrüsen- und Nebenschilddrüsenunterfunktion, Vitamin D-Mangel (siehe „Krankheitszeichen“)
  • Behandlung mit so genannten Biphosphonaten wie Aledronat, Pamidronat und Zoledronat, in Kombination mit Kalzium- und Vitamin-D-Gaben. Diese Behandlungsform befindet sich bei Kindern und Jugendlichen mit ß-Thalassämie allerdings noch in der Prüfphase

Stammzelltransplantation (SZT) (kurative Therapie)

Die Heilung eines Patienten mit ß-Thalassämie kann durch eine Stammzelltransplantation (SZT) erzielt werden. Die typischen, zusätzlich zur Blutarmut auftretenden, gesundheitlichen Probleme von Kindern und Jugendlichen mit ß-Thalassämie wie Eisenüberladung, Herzprobleme oder Störungen im Hormonhaushalt (siehe „Krankheitszeichen“) können nach einer SZT besser behandelt und zum Teil sogar geheilt werden. Im Folgenden erhalten Sie einige allgemeine Informationen zur SZT bei Kindern und Jugendlichen:

Was ist eine SZT?

Bei einer SZT werden dem Thalassämiepatienten in Form einer Bluttransfusion über eine große Vene Stammzellen der Blutbildung (Blutstammzellen) verabreicht, die zuvor aus dem Knochenmark eines gesunden Spenders entnommen wurden. Der Spender muss in den meisten Gewebemerkmalen (HLA-Merkmale) mit denen des Patienten übereinstimmen. Vor dieser SZT wird das Knochenmark des Erkrankten, in dem die kranken Thalassämiezellen gebildet werden, durch eine Chemotherapie oder eine Strahlentherapie zerstört, damit das gesunde Spender-Knochenmark dieses ersetzen und nach einer gewissen Zeit neue, gesunde Blutzellen bilden kann. Die Risiken und der Nutzen einer SZT werden für jeden einzelnen Patienten genau gegeneinander abgewogen, bevor die Entscheidung für diese Behandlungsmaßnahme getroffen wird.

Bei welchen Kindern und Jugendlichen mit ß-Thalassämie ist eine SZT angezeigt?

Patienten mit ß-Thalassämie, bei denen eine SZT als die Therapie der Wahl angesehen wird, sind in erster Linie Kinder und Jugendliche mit Thalassaemia major, die einen HLA-identischen verwandten Spender (Geschwister) haben. Auch nicht verwandte Spender kommen grundsätzlich in Frage, müssen aber nach strengen Kriterien sorgfältig ausgesucht werden. Dabei helfen die Mitarbeiter von zentralen Registern, in denen die HLA-Eigenschaften von freiwilligen Spendern gesammelt und katalogisiert werden, so dass weltweit nach einem passenden Knochenmark gesucht werden kann. Die Chance, in der Familie einen völlig HLA-identischen Spender zu finden, hängt vor allem von der Größe der Familie ab und liegt derzeit insgesamt bei 30%. Die Schwierigkeit, einen passenden Nicht-Familienspender zu finden, ist entsprechend größer. Grundsätzlich gilt: Je mehr HLA-Merkmale von Spender und Empfänger übereinstimmen, desto geringer ist die Gefahr von Abstoßungsreaktionen und entsprechend größer der Behandlungserfolg. Eine SZT wird vorzugsweise bei Kindern und Jugendlichen vor dem 16. Lebensjahr durchgeführt, weil die Behandlungsergebnisse in dieser noch wenig eisenbeladenen Altersgruppe besser sind als bei älteren Patienten mit einer ausgeprägten Eisenüberladung.

Risikofaktoren für die Entwicklung von Komplikationen während und nach einer SZT sind

  • vergrößerte Leber
  • bereits vorhandene Leberschäden
  • unzureichend kontrollierte Eisenbelastung

Der ideale Patient für eine erfolgreiche SZT

  • ist jünger als 16 Jahre
  • weist maximal nur einen Risikofaktor (siehe oben) auf
  • besitzt einen HLA-identischen Spender

Nach einer SZT ist eine lebenslange Nachsorge notwendig. Dabei kommt es neben der Überwachung von möglichen Komplikationen durch die SZT wie Blutungen, Infektionen oder eine Abstoßungsreaktion auch darauf an, die Eisenüberladung des Körpers weiter zu kontrollieren und die Behandlung entsprechend anzupassen. Weitere Informationen zur SZT, insbesondere zu möglichen Komplikationen und deren Behandlung finden Sie hier.

Gentherapie bei ß-Thalassaemia major

Ziel der Gentherapie

Mit der Gentherapie wird es erstmals möglich, die ß-Thalassaemia major ursächlich zu behandeln, also den Gendefekt lebenslang zu korrigieren, ohne dass dafür eine Stammzelltransplantation von einem passenden Spender erforderlich ist. Bei der ß-Thalassaemia major stört ein erblicher Defekt im ß-Globulin-Gen die Produktion von Hämoglobin (siehe auch „Ursachen der ß-Thalassämie“). Mit einer Gentherapie wird eine korrekte Version des ß-Globulin-Gens (βA-T87Q-Globin-Gen) unter Mithilfe eines Lenti-Virus als Transportmittel – dem viralen Vektor – in die Blutstammzellen des Patienten eingeschleust und damit der Gendefekt behoben.

Die Gentherapie mit ZYNTEGLO® behandelt schwere Formen der Erbkrankheit ß-Thalassämie. Bei vollständigem Ansprechen auf diese Therapie können die Betroffenen danach vollständig auf Bluttransfusionen verzichten.

Vorerfahrungen / bisherige Ergebnisse

Erstmalig wurde im Jahr 2010 über eine langfristig heilende (kausale) Therapie bei ß-Thalassaemia major durch eine Gentherapie berichtet [CAV2010]. Inzwischen liegen Daten zu einer größeren Gruppe (Kohorte) von Patienten vor, die erfolgreich mittels Gentherapie unter Verwendung eines lentiviralen Vektors (Lentiglobin®) behandelt wurden [THO2016]. Dabei wurde bei der Mehrzahl der Patienten mit mindestens einem ß+-Allel oder einer HbE/ß-Thalassämie eine lang andauernde Transfusionsfreiheit erzielt. Bei Patienten mit ß0-Thalassämie wurde in dieser Studie in den meisten Fällen zwar eine deutliche Verringerung des Transfusionsbedarfes, nicht aber eine Transfusionsfreiheit erreicht. In Folgestudien mit einem veränderten Protokoll, deren Ergebnisse bisher nur auf Tagungen vorgestellt wurden und die noch nicht publiziert wurden, scheint die Gentherapie auch für diese Patienten vergleichbar erfolgreich zu sein.

Welche Patienten kommen für die Gentherapie in Frage?

Für eine Behandlung kommen bisher nur Patienten in Frage, die an einer bluttransfusionsabhängigen Form von ß-Thalassämie leiden und folgende Vorbedingungen erfüllen:

  • sie sind mindestens 12 Jahre alt
  • sie erfüllen die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Durchführung einer Konditionierungstherapie
  • es findet sich kein passender verwandter Spender für eine hämatopoetische allogene Stammzelltransplatation (Das Vorhandensein eines passenden nicht verwandten Spenders ist hingegen kein Ausschlussgrund für eine Gentherapie). In dem Fall wären Vor- und Nachteile beider Therapieoptionen abzuwägen und mit dem Betroffenen zu diskutieren.
  • die Krankheit beruht nicht auf dem ß0/ß0 Genotyp (sondern auf einem ß0/ß+ oder ß+/ß Genotyp)

Durchführung der Gentherapie

Zynteglo® ist eine Gentherapie, die das Erbgut von Blutstammzellen verändert. Die Zellen stammen aus dem Körper der Patienten, man bezeichnet sie als autolog. Eigentlich befinden sich diese Blutstammzellen im Knochenmark, wo sie für die Herstellung der verschiedenen Blutzellen zuständig sind. Um sie einfacher gewinnen zu können, werden sie mit Hilfe eines Medikaments, dem G-CSF, dazu angeregt, in die Blutbahn zu wandern. Dort werden sie mittels einer Blutwäsche (Apherese) aus dem Blut des Erkrankten entnommen. In die Blutstammzellen des Erkrankten wird im Labor unter Mithilfe eines Virus als Transportmittel – dem viralen Vektor – eine funktionstüchtige Genvariante, das ßA-T87Q-Globin-Gen eingeschleust. Die veränderten Blutstammzellen werden mittels einer Infusion in das Blut zurückgegeben und wandern von dort zurück in das Knochenmark. Es erfolgt nur eine einmalige Gabe.

Diese genetisch veränderten Blutstammzellen des Patienten ermöglichen nun die Produktion ausreichender Mengen von funktionstüchtigem Hämoglobin. Die Patienten werden zuvor mit einer Chemotherapie (Konditionierung), derzeit mit dem Medikament Busulfan, behandelt, um die Stammzellen im Knochenmark zu reduzieren und damit die Aufnahme der veränderten Blutstammzellen im Knochenmark zu erleichtern.

Der genetische Defekt wird damit behoben, im Fall des vollständigen Ansprechens kommt der Eingriff einer Heilung gleich.

Nebenwirkungen der Gentherapie

Die Nebenwirkungen der Gentherapie mit Zynteglo® halten sich - angesichts der Schwere der Erkrankung - in einem vertretbaren Rahmen. Als einzige lebensbedrohliche Reaktion trat bei einem einzigen Patienten eine anhaltende Thrombpzytopenie auf, eine schwere Störung der Blutgerinnung. Weitere ernste Nebenwirkungen waren Bauch- und Brustschmerzen, Schmerzen in den Extremitäten, Atemnot und Rötungen der Haut.

Bedingt durch die Vorbehandlung (Konditionierung) des Patienten, derzeit mit Busulfan, können entsprechende Nebenwirkungen auftreten:

  • Es kann bei einzelnen Patienten zu einer Lebervenenverschlusskrankheit (venoocclusive disease) der Leber kommen. Das Risiko kann durch die vorsorgliche Gabe des Medikaments Defibrotide stark reduziert werden.
  • Da durch die Behandlung mit Busulfan die Zellen im Knochenmark stark vermindert oder vollständig zerstört werden, kommt es meist zu einer vorübergehenden Blutarmut (Anämie), einem vorübergehenden Mangel an weißen Blutkörperchen und Blutplättchen. In der Folge besteht ein erhöhtes Risiko für Infektionen und Blutungen.

Auch vor dem Hintergrund entsprechend negativer Erfahrungen in der Vergangenheit besteht bei Gentherapien die Sorge vor der Entstehung bösartiger Bluterkrankungen (Leukämien). Inzwischen wurden vielfältige Veränderungen an den Vektoren vorgenommen, um dieses Risiko zu minimieren. Bislang gibt es bei mehrjähriger Nachbeobachtung vieler der mit Zynteglo® behandelter Patienten keinen Hinweis darauf, dass sich eine Leukämie entwickelt. Abschließend wird diese Frage aber sicher erst bei noch längerer Beobachtung einer großen Zahl von Patienten zu beantworten sein.

Aktuelle Entwicklung

Die Entwicklung der Gentherapie erfolgte durch die US-amerikanische Firma Bluebird Bio. Anfangs lautete der Name noch LentiGlobin, die Umbenennung Zynteglo® erfolgte erst kurz vor der möglichen Zulassung. Der erste Patient wurde im Jahr 2010 behandelt. Im Jahr 2016 [NEG2016]. wurde die erste klinischen Studie veröffentlicht, in der die Wirksamkeit aber stark schwankte: Einigen Patienten ging es besser, anderen nicht.

Bluebird Bio veränderte daraufhin den Herstellungsprozess des lentiviralen Vektors und die vorbereitende Behandlung der Patienten. Eine Studie aus dem Jahr 2018 ergab daraufhin durchgehend gute Ergebnisse, die eine wesentliche Grundlage für den Antrag auf Zulassung bildeten.

Im Juni 2019 wurde die Gentherapie mit körpereigenen (autologen) CD34+-Blutstammzellen, die das βA-T87Q-Globin-Gen kodieren (Zynteglo®) in der EU zugelassen. Seit Januar 2020 können die ersten Patienten behandelt werden.

Die Kosten

Die Kosten für Zynteglo® liegen bei fast 1,6 Millionen €, die verteilt über fünf Jahre in Raten zu zahlen sind. Wenn die Wirkung von Zynteglo® weniger als fünf Jahre anhalten sollte, werden alle noch ausstehenden Zahlungen erlassen.

Genetische Beratung

Wie bei jeder Erbkrankheit besteht auch bei einer Thalassämie das Risiko, dass die Erkrankung oder die Anlage dafür an die Nachkommen weitergegeben wird. Wie hoch dieses Risiko ist, hängt vom jeweiligen Vererbungsweg ab. Bei einer autosomal-rezessiv vererbten Erkrankung wie der ß-Thalassämie beträgt das Risiko, die Erkrankung an die Nachkommen weiterzugeben, 25%. Allen Menschen, in deren Familie die ß-Thalassämie schon einmal vorgekommen ist, sowie den Erkrankungsträgern mit Thalassämia minor und allen Patienten mit Thalassaemia major und intermedia (siehe „Erkrankungsformen“) wird daher empfohlen, bei Kinderwunsch eine genetische Beratung wahrzunehmen. Dort können die Risiken, die sich für das Kind ergeben könnten, bestimmt und besprochen werden. Auch das jetzt erkrankte Kind ist ein Erbträger.

Die Empfehlung, bei einem Kinderwunsch eine genetische Beratung wahrzunehmen, gilt für

  • alle Menschen, in deren Familie die ß-Thalassämie schon einmal vorgekommen ist
  • den Erkrankungsträgern mit Thalassaemia minor
  • und allen Patienten mit Thalassaemia major und intermedia (siehe „Erkrankungsformen“)

Bitte fragen Sie das Behandlungsteam Ihres Kindes nach genetischen Beratungsstellen in Ihrer Nähe.