Ersatz von Gerinnungsfaktoren (Faktor-Substitutionstherapie)
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Seit etwa 50 Jahren gibt es Konzentrate von Gerinnungsfaktoren zur Behandlung von Patienten mit Hämophilie. Bei diesen Faktorkonzentraten handelt es sich um Gerinnungsfaktoren (Faktor VIII und Faktor IX), die zuvor aus menschlichem Blutplasma gewonnen wurden. Seit den 90er Jahren sind auch Gentechnisch hergestellte (rekombinante) Faktoren verfügbar.
In den letzten Jahren wurden diese gentechnisch hergestellten Faktoren durch verschiedene Verfahren, die deren Abbauzeit im Stoffwechsel verlängern (biologische Halbwertszeit), verändert. Zu diesen Verfahren gehören die Kopplung an andere Moleküle wie bei der Albuminfusion mit F IX (rIX-FP = Albutrepenonacog alfa, Idelvion), die Fc-Fusion mit F VIII und F IX (rF VIIIFc Efmoroctocog alfa, Elocta; rF IXFc Eftrenonacog alfa Alprolix) oder die PEGlierung von F VIII und F IX (Rurioctocog alfa pegol, Adynovi; Da-moctocog alfa pegol, Jivi; Turoctocog alfa pegol, Esperoct und der PEGylierte F IX Nonacog beta pegol, Refixia).
Welches Präparat im Einzelfall zum Einsatz kommt, ist von vielen Faktoren abhängig und wird individuell gemeinsam mit den Eltern entschieden. Die Therapie mit Faktorkonzentraten ermöglicht den gezielten Ersatz des Faktors, der dem Patienten fehlt. Hämophilie-A-Patienten erhalten Faktor VIII und Hämophilie-B-Patienten Faktor IX. Die Gabe von Faktorkonzentraten wird als Substitutionstherapie ("Substitution" stammt aus dem Lateinischen und bedeutet "Ersatz") bezeichnet. Sie erfolgt über eine Vene (intravenös). Eltern sollten wissen:
Obwohl Patienten mit Hämophilie A oder B ähnliche Krankheitsverläufe haben, werden sie mit unterschiedlichen Faktorpräparaten behandelt.
Daher ist für eine erfolgreiche Behandlung entscheidend, dass zuvor die richtige Diagnose gesichert wurde (siehe "Diagnose").
Faktorkonzentrate werden wie folgt angewandt:
- als Bedarfs- ( "on-demand") Behandlung, also bei bestehender Blutung
- als blutungsverhütende Dauerbehandlung (Prophylaxe)
Bedarfsbehandlung (On-Demand-Behandlung)
Bei der Bedarfsbehandlung wird ein Gerinnungsfaktor dann ersetzt, wenn ein aktueller Bedarf besteht. Das ist beispielsweise bei einer akuten Blutung oder vor einer Operation oder vor einer Zahnbehandlung der Fall. Bei einer akuten Blutung muss die Verabreichung des Faktorkonzentrates so schnell wie möglich erfolgen. Normalerweise spürt der Betroffene die beginnende Blutung bereits sehr früh, auch wenn die Blutung für Außenstehende noch nicht sichtbar ist (siehe "Krankheitszeichen"). Zu diesem Zeitpunkt können beginnende Blutungen durchaus mit einer einzigen Injektion gestoppt werden. Größere Blutungen bedürfen für ihre Rückbildung in der Regel einer mehrtägigen oder manchmal wochenlangen Therapie.
Dauerbehandlung (Prophylaxe)
Die Dauerbehandlung wird vorwiegend bei Kindern und Jugendlichen mit schwerer Hämophilie durchgeführt. Sie hat zum Ziel, einen Faktorspiegel (siehe "Krankheitszeichen") von mehr als 1 % im Blut des Patienten dauerhaft aufrecht zu erhalten. Dazu ist ein regelmäßiger Ersatz von Faktor VIII beziehungsweise Faktor IX notwendig.Auf diese Weise schwächt sich die schwere Hämophilie je nach zeitlichem Abstand zur letzten Spritze zur milden bis mittelschweren Form ab. Das bedeutet:
Dauerbehandelte Hämophiliepatienten haben weiterhin eine verstärkte Blutungsneigung, jedoch kommt es seltener als bei Unbehandelten zu spontanen Gelenkblutungen.
Bei den Faktorpräparaten handelt es sich um Eiweißstoffe. Unterschiedliche Eiweiße haben unterschiedlichebiologische Halbwertszeiten. Das hat zur Folge, dass sie jeweils nur für eine bestimmte Zeit im Körper aktiv sind, bevor sie abgebaut und dadurch unwirksam werden. Faktor VIII hat eine kürzere Halbwertszeit als Faktor IX. Deshalb benötigen Hämophilie A-Patienten häufiger Faktorgaben (in der Regel dreimal in der Woche oder alle zwei Tage) als Hämophile mit der B-Form (ein bis zweimal wöchentlich).
Die Faktorbehandlung kann von den Patienten – nach einer entsprechenden Schulung – ohne fremde Hilfe zu Hause durchgeführt werden (Heimselbstbehandlung).
Neue Non-Faktor-Therapie der Hämophilie A (Prophylaxe) / Beispiel Emicizumab (Hemlibra®)
In den vergangenen Jahren kamen immer wieder neue Gerinnungspräparate zur Behandlung der Hämophilie A auf den Markt. Meist handelte es sich um gentechnisch hergestellte Faktor-VIII-Konzentrate, von denen vor allem die neueren Präparate durch eine Modifikation, wie oben beschrieben, eine verlängerte Wirkdauer aufweisen.
Mit Emicizumab wurde ein komplett neues Arzneimittel entwickelt, das sich nicht nur durch die subkutane Verabreichung von den klassischen Gerinnungsfaktoren unterscheidet, sondern anders als die übliche Faktor-Ersatztherapie wirkt.
Emicizumab ist kein Gerinnungsfaktor, sondern ein gentechnologisch hergestellter, humanisierter bispezifischer Antikörper. Es handelt sich nicht um einen Faktor VIII-Hemmkörper, wie man fälschlicherweise annehmen könnte. Der Begriff Antikörper bezieht sich darauf, dass das Molekül Emicizumab ähnlich wie ein Schlüssel in ein Schlüsselloch passt und das Signal zur Türöffnung gibt. Emicizumab gibt nach Anbindung an die Gerinnungsfaktoren IXa und X wie der natürliche Faktor VIII (FVIII) das Signal zur Thrombinbildung und übernimmt somit die Funktion von FVIII in der Gerinnung. Thrombin ist zur Blutstillung erforderlich.
Bei Emicizumab handelt es sich nicht um einen Faktor VIII. Deshalb kann das Medikament insbesondere bei Patienten, die gegen das zugeführte FVIII-Konzentrat einen Antikörper entwickelt haben (25 - 30 % der Patienten), zur Vorbeugung von Blutungen (Blutungsprophylaxe) eingesetzt werden). Für diese Indikation ist das Präparat seit Februar 2018 in Deutschland zugelassen. Außerdem können Patienten mit schwerer Hämophilie A mit diesem Medikament behandelt werden.
Während bisher bekannte Gerinnungsfaktoren in eine Vene gespritzt werden, wird Emicizumab unter die Haut (subkutan) ähnlich einer Heparin- oder Insulinspritze gegeben.
Üblicherweise erhalten Hämophilie A Patienten, die einen Hemmkörper (Inhibitor) gegen Faktor VIII entwickeln, zur Vorbeugung oder Behandlung von Blutungen folgenden Medikamente:
Feiba® (aPCC, aktiviertes Prothrombinkomplex-Konzentrat) oder NovoSe-ven® (rFVIIa, rekombinanter Faktor VIIa) als sogenannte Bypassing agents (BPA). Stattdessen können diese Patienten nun mit Emicizumab (Hemlibra®) behandelt werden. Auf Grund der relativ kurzen Halbwertszeit von NovoSeven® und Feiba® müssen diese Präparate bei Blutungen mehrmals täglich und Feiba® zur Prophylaxe täglich oder zumindest mehrmals wöchentlich intravenös verabreicht werden. Emicizumab wird nicht bei Blutungen angewendet, sondern nur zur Vorbeugung von Blutungen gespritzt. Dieses erfolgt subkutan einmal pro Woche beziehungsweise nur alle 2 oder alle 4 Wochen.
Wegen möglicher Nebenwirkungen (Thrombosen, thrombotische Mikroangiopathie) darf Feiba bei Emicizumab Patienten nicht zusätzlich angewendet werden.
Während in der Studie keine Antikörper (sog. Anti-Drug-Antibodies, ADAs) gegen Emicizumab auftraten, wurden diese nach Markteinführung weltweit vereinzelt beobachtet. Ein ADA gegen Emicizumab führt dazu, dass das Medikament Hemlibra® unwirksam wird.
Zur Wirksamkeit von Emicizumab bei anderen Gerinnungsstörungen kann momentan keine Aussage getroffen werden. Es laufen aber zurzeit im Labor Untersuchungen zur Wirksamkeit von Emicizumab bei Patienten mit von Willebrand Syndrom und erworbener Hemmkörper-Hämophilie.
Wichtig zu wissen: Da die Substanz Emicizumab die Gerinnselbildung beeinflusst, sind viele Gerinnungsteste, die die Zeit bis zur Gerinnselbildung messen, nicht mehr verwertbar. Das betrifft unter anderem die PTT, die klassische Faktor VIII-Bestimmung im Einstufentest, die Hemmkörper-Messung und einige andere Teste. Der Emicizumab-Spiegel im Blut kann mit einem käuflich erwerblichen speziellen Einstufentest (gegen Emicizumab kalibriert) gemessen werden. Patienten, die mit diesem Medikament behandelt werden, sollten auf jeden Fall einen speziellen Ausweis erhalten und die Therapie muss engmaschig vom Hämophiliearzt überwacht werden.