Therapie: Wie werden Patienten mit Wiskott-Aldrich-Syndrom behandelt?
Autor: PD Dr. med. Michael Albert / PD Dr. med. Gesche Tallen, Zuletzt geändert: 24.11.2016
Inhaltsverzeichnis
Die Behandlung von Patienten mit WAS ist unterschiedlich und hängt vom Schweregrad des WAS ab. Manche Patienten mit der milden Variante (siehe „Krankheitsverläufe“) benötigen lebenslang keine Therapie. Viele Patienten mit der klassischen Verlaufsform hingegen können nur überleben, wenn sie frühzeitig sowohl mit Medikamenten zur Linderung der Krankheitszeichen behandelt werden (symptomatische Therapie) als auch Therapien erhalten, durch die die Blutzellen mit dem kranken WAS-Protein komplett durch gesunde Blutzellen ersetzt werden (kurative Therapie).
Derzeit lässt sich weder anhand der Schwere der Krankheitsausprägung in den ersten Lebensjahren, noch aufgrund der zugrundeliegenden Art der Veränderung im WAS-Gen zuverlässig vorhersagen, wie die Erkrankung weiter verlaufen wird. Deshalb werden bei allen Patienten mit WAS die Behandlungsentscheidungen immer individuell vorgenommen und sollten regelmäßig überprüft werden.
Die folgenden Behandlungen können bei Patienten mit WAS zum Einsatz kommen:
Symptomatische Therapie
Die symptomatische Therapie hat das Ziel, die gesundheitlichen Probleme eines Patienten mit Wiskott-Aldrich Syndrom (WAS) zu lindern. Sie richtet sich vor allem nach den Krankheitssymptomen und nach der Ausprägung des Immundefekts.
Behandlung des Immundefekts
Bei einem schweren Immundefekt kann die Gabe von Medikamenten angezeigt sein, mit denen Infektionen vorgebeugt wird (prophylaktische Antibiotikatherapie) sowie von Substanzen, die die körpereigene Abwehr stärken (Immunglobuline).
Behandlung von Autoimmunkrankheiten
WAS-Patienten, die zusätzlich zu einem Immundefekt an Autoimmunkrankheiten leiden (siehe „Krankheitszeichen“), profitieren oft auch von Medikamenten, die das körpereigene Immunsystem unterdrücken (zum Beispiel Glukokortikoide). Vor Beginn einer solchen Behandlung wird bei diesen Patienten jedoch sorgfältig abgewogen, ob zum gegebenen Zeitpunkt eher der Immundefekt oder die Autoimmunerkrankung als Beschwerdeverursacher im Vordergrund steht.
Behandlung mit Spenderblutplättchen (Thrombozytenkonzentrat)
Manchmal ist auch die Gabe von Spenderblutplättchen (Thrombozytenkonzentrat) angezeigt. Dies gilt insbesondere vor Operationen oder größeren zahnmedizinischen Eingriffen und bei akuten, bedrohlichen Blutungen. Die Behandlung mit Spenderblutplättchen ist allerdings keine Routinemaßnahme und erfolgt nicht bei harmlosen Blutungen wie Nasenbluten.
Milzentfernung
Die Milz ist ein Organ im linken Oberbauch und Teil des körpereigenen Abwehrsystems. Darüber hinaus werden in der Milz überalterte rote Blutzellen und Blutplättchen (Thrombozyten) abgebaut.
Bei Patienten mit WAS kann man durch Entfernung der Milz (Splenektomie) fast immer einen Anstieg bis hin zur Normalisierung der Blutplättchenzahlen erreichen. Diese Therapie kommt nur für Patienten in Frage, die eine sehr milde Verlaufsform des WAS ohne Immundefekt haben.
Folgen der Milzentfernung
Die Entfernung der Milz kann schwerwiegende Folgen für den Organismus von Kindern und Jugendlichen haben. Deshalb wird die Entscheidung zur Milzentfernung heutzutage bei allen Patienten mit WAS grundsätzlich sehr zurückhaltend gefällt. Zu den kurz- und langfristigen Folgen einer Milzentfernung gehören:
- ein lebenslang erhöhtes Risiko, an schwerwiegenden und manchmal sogar tödlich verlaufenden Bakterien-Infektionen, insbesondere des Blutes (Blutvergiftung/ Sepsis) und der Hirnhäute (Meningitis), zu erkranken ("overwhelming postsplenectomy infection/OPSI"-Syndrom); dies gilt besonders für Kinder, bei denen die Milz zwischen dem 1. und dem 5. Lebensjahr entfernt wurde
- erhöhte Neigung zur Entwicklung von Blutgerinnseln, insbesondere in der Lebervene (Portalvenenthrombose)
- erhöhtes Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle nach dem 40. Lebensjahr.
Vorbeugung von Folgen der Milzentfernung
Die Vorbeugung von gesundheitlichen Problemen bei Patienten nach einer Milzentfernung umfasst vor allem folgende Maßnahmen:
- Penicillinprophylaxe: Penicillin ist ein Antibiotikum, das Kinder nach einer Milzentfernung (Splenektomie) regelmäßig, wie vom Arzt verordnet, einnehmen sollten. Diese Penicillinprophylaxe muss bei Patienten mit WAS nach einer Milzentfernung lebenslang erfolgen. Die Penicillin-Einnahmen helfen, den schweren Infektionen durch kapseltragende Bakterien (Pneumokokken, Meningokokken, Haemophilus) vorzubeugen, für die Patienten nach einer Milzentfernung besonders anfällig sind. Liegt eine Penicillin-Allergie vor, so können andere Substanzen mit vergleichbarem Wirkungsmechanismus zum Einsatz kommen.
- Impfungen: Patienten nach Milzentfernung sollten, ebenso wie gesunde Kinder, nach dem aktuellen Impfkalender geimpft werden. Vor und nach einer Milzentfernung müssen sie allerdings besonders gegenüber Bakterien wie Pneumokokken (Lungenentzündung), Meningokokken (Hirnhautentzündung) und Haemophilus (Krupp, Lungenentzündung, Hirnhautentzündung, Gelenkentzündungen) geschützt sein. Daher sind bestimmte Auffrisch-Impfungen notwendig, deren Zeitpunkte Sie vom Kinderarzt Ihres Kindes erfahren können.
- Routine-Vorsorgeuntersuchungen U1 – U10 für Kinder, J1 für Jugendliche: Die Ergebnisse der Vorsorgeuntersuchungen werden in ein spezielles "Gelbes Heft" eingetragen, das den Eltern nach der Geburt ausgehändigt wurde. Im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen finden auch Impfungen statt. Das Heft mit dem Impfpass sollte zu jedem Arztbesuch mitgenommen werden
- Temperaturüberwachung: Regelmäßiges Messen der Körpertemperatur trägt dazu bei, Infektionen möglichst früh zu erkennen und sie prompt zu behandeln. Bei Fieber von mehr als 38,5°C sollte sofort ein Arzt kontaktiert werden, da eine gefährliche Infektion die Ursache dafür sein könnte.
- Kommunikation mit dem Behandlungsteam: Es ist wichtig, die Kontaktdaten der Klinik und des Behandlungsteams jederzeit verfügbar zu haben, um sie in Notfällen sofort parat zu haben.
- Infektionsvorbeugung vor Auslandsreisen: Neben den von den Tropeninstituten empfohlenen Maßnahmen zur Vorbeugung von Infektionen bei bestimmten Auslandsreisen müssen bei Kindern und Jugendlichen nach Milzentfernung zusätzliche Vorkehrungen getroffen werden. Deshalb sollte eine Auslandsreise immer rechtzeitig mit dem Behandlungsteam abgesprochen werden. Nach Möglichkeit sollte auch eine Kontaktadresse für eventuell notwendige, fachgerechte medizinische Versorgung am Urlaubsort zur Verfügung stehen.
Anmerkung: Weitere Maßnahmen sowie Einzelheiten zu den verschiedenen Vorkehrungen erfragen Sie am besten beim zuständigen Behandlungsteam Ihres Kindes.
Wichtig zu wissen
Bei Patienten, bei denen später eine Stammzelltransplantation geplant ist, wird die Milz in der Regel nicht entfernt, um die Komplikationsraten durch Infektionen so gering wie möglich zu halten.
Kurative Therapie - Hämatopoetische Stammzelltransplantation (HSZT)
Durch die Übertragung von blutbildenden Stammzellen eines gesunden Spenders (hämatopoetische allogene Stammzelltransplantation, HSZT) kann das WAS geheilt werden.
Diese Behandlungsform ist bei allen Patienten mit der klassischen Variante der Erkrankung (siehe „Krankheitsverläufe“) frühzeitig angezeigt. Da die Behandlung nicht frei von Risiken und Spätfolgen ist, kann sie zwar auch bei Patienten mit milderen Krankheitsverläufen in Erwägung gezogen werden, jedoch sollten individueller Nutzen und potenzielle Nachteile für den Patienten sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Grundsätzlich kann man heute nach allogener HSZT in einem spezialisierten Zentrum von Heilungsraten um 90% ausgehen.
Voraussetzung für diese Therapiemöglichkeit ist allerdings, dass der Patient einen passenden Stammzellspender (Geschwister oder unverwandter Fremdspender) hat. Darunter versteht man einen Spender, dessen wichtige Oberflächenmerkmale der Zellen mit denen des Patienten übereinstimmen. Bei Fehlen eines passenden Spenders kann heutzutage die Transplantation von einem halb-identischen (haploidentischen) Spender, z.B. einem Elternteil, erwogen werden.
Bei einer HSZT werden dem WAS-Patienten über eine große Vene Stammzellen der Blutbildung (Blutstammzellen) vergleichbar mit einer Bluttransfusion verabreicht. Die Blutstammzellen wurden zuvor aus dem Knochenmark oder dem Blut eines gesunden Spenders entnommen.
Eine gefürchtete Nebenwirkung der allogenen HSZT ist das Auftreten einer unerwünschten Immunreaktion der Spenderzellen gegen den Empfänger, die sogenannte Transplantat-gegen-Wirt-Krankheit (englisch: Graft versus Host Disease, GvHD). Um dieses Risiko zu vermeiden, wird versucht, die Erkrankung durch Transplantation von eigenen (autologen) Stammzellen zu behandeln, die zuvor im Reagenzglas „genkorrigiert“ wurden. Eine solche "autologe Stammzell-Gentherapie" ist jedoch noch in Erforschung. Ausführliche Informationen zur Stammzelltransplantation finden Sie hier: