Ursachen: Wie entsteht ein Hämophagozytose-Syndrom?
Autor: Prof. Dr. med. Stephan Ehl, erstellt am: 25.09.2019, Zuletzt geändert: 30.10.2019
Das Hämophagozytose-Syndrom ist Folge einer unkontrollierten, überschießenden Immunreaktion. Hierdurch entsteht hohes Fieber, die Lymphorgane (Lymphknoten, Milz und Leber) schwellen an und Blutzellen werden zerstört. Kann diese unkontrollierte Immunreaktion nicht gestoppt werden, kann es zu einer lebensbedrohlichen Entzündung kommen, die den ganzen Körper betrifft. Die Ursachen für ein Hämophagozytose-Syndrom sind vielfältig, und häufig gibt es mehrere Faktoren, die zum Ausbruch der Erkrankung beitragen. Man unterscheidet im Wesentlichen zwei Formen der Erkrankung: eine angeborene Form (primäre HLH oder familiäre HLH = FHL) und eine erworbene Form (sekundäre HLH), die nicht angeboren ist.
Primäre HLH
Bei der primären HLH liegt eine genetische Veranlagung vor, die die Entstehung einer HLH begünstigt. In der Regel sind Gene betroffen, die für das Begrenzen von Immunantworten notwendig sind. Das bedeutet, dass betroffene Patienten in der Regel bei Geburt und in den ersten Lebensmonaten (manchmal über Jahre) keine klinischen Symptome haben. Wenn aber das Immunsystem stark stimuliert wird, reagiert es überschießend und kommt nicht mehr zur Ruhe mit der Folge einer sehr starken Entzündungsreaktion und Überaktivierung Immunzellen, vor allem von Lymphozyten und Makrophagen (Fresszellen). Der Krankheitsbeginn ist oft im ersten Lebensjahr.
Die meisten Formen der primären HLH werden autosomal-rezessiv vererbt. Hierzu gehört die FHL-Erkrankungen (FHL2 = Perforin-Defekt, FHL3 = Munc 13-4 Defekt oder FHL4 = Syntaxin 11 Defekt, das Chediak-Higashi-Syndrom und das Griscelli-Syndrom Typ 2 Das bedeutet, dass beide Elternteile klinisch gesunde Träger des defekten Gens sind, d.h. beide haben neben dem krankmachenden auch ein gesundes Gen, das ausreicht, um vor der Erkrankung zu schützen. Für die Nachkommen entsteht dadurch eine Erkrankungswahrscheinlichkeit von 25 %. Der Krankheitsbeginn liegt meist schon im ersten Lebensjahr.
Auch die X-chromosomale lymphoproliferative Erkrankung (kurz: XLP, auch Purtilo-Syndrom genannt) geht mit einem hohen Risiko für HLH einher. XLP gibt es in zwei Varianten, bei beiden entsteht die HLH oft im Zusammenhang mit einer Infektion durch Epstein-Barr-Virus (EBV). XLP1 hat zusätzlich ein hohes Risiko für Infektionsanfälligkeit und Lymphdrüsenkrebs, XLP2 hat ein hohes Risiko für entzündliche Darmerkrankung und andere Entzündungen. Der Krankheitsbeginn ist bei XLP oft jenseits des ersten Lebensjahres, kann aber auch im Säuglingsalter auftreten.
Bei der X-chromosomalen lymphoproliferativen Erkrankung liegt ein anderer Vererbungsgang vor. Das betroffene Gen liegt auf dem X-Chromosom und wird daher geschlechtsgebunden vererbt. Hier ist meist die Mutter Trägerin des kranken Gens, welches aber bei der Mutter durch ein gesundes Gen auf dem zweiten X-Chromosom ausgeglichen wird. Jungen haben nur ein X-Chromosom, das sie als eines von zwei mütterlichen X-Chromosomen zufällig von der Mutter erben. Wenn sie das X-Chromosom mit dem kranken Gen erben, tritt die Krankheit auf, da sie diese nicht mit einem 2. gesunden Gen ausgleichen können. Bei diesem Erbgang ist die Hälfte aller Jungen von der Krankheit betroffen, während die Mädchen alle gesund sind. Die Hälfte der Mädchen kann allerdings die Krankheit wieder an ihre eigenen männlichen Kinder übertragen. In diesem Fall spricht man von Konduktorinnen: Die Überträgerinnen der Erkrankungen sind selbst gesund, ihre männlichen Nachkommen hingegen können erkranken.
Bei allen angeborenen, primären Formen ist der Bauplan (Gen) für ein Eiweiß (Protein) fehlerhaft, so dass das Protein nicht mehr in der richtigen Form oder gar nicht mehr gebildet werden kann. Verschiedene Gen-Defekte können die Ursache für das Hämophagozytose-Syndrom sein. Meistens liegt ein Defekt in den Genen für Perforin, Munc 13-4 oder Syntaxin 11 vor. Bis heute sind aber nicht alle genetischen Ursachen für die verschiedenen FHL-Varianten bekannt.
Wird eine primäre HLH diagnostiziert, sollte immer eine genetische Familienberatung durchgeführt werden.
Sekundäre HLH
Die sekundären Formen des Hämophagozytose-Syndroms können alle Altersklassen betreffen und sind am häufigsten nach Infektionen, vor allem nach (Virus)- Infektionen wie dem Epstein-Barr-Virus(EBV-Infektion = Pfeiffer’sches Drüsenfieber), Cytomegalievirus (CMV) und/ oder z.B. nach einer Leishmanieninfektion zu beobachten. Aber auch Kinder mit bösartigen (malignen) Erkrankungen oder systemischen rheumatologischen Erkrankungen, z.B. dem Morbus Still oder Systemischer Lupus Erythematodes, Stoffwechseldefekten oder Immundefekten können von Hämophagozytose-Episoden betroffen sein.
Auch einzelne Medikamente können in seltenen Fällen eine HLH als unerwünschte Nebenwirkung auslösen (zum Beispiel. das Antiepileptikum Lamotrigin und das Immussuppressivum Fingolimod).
Die sekundäre HLH ist nicht vererbt und tritt daher nicht gehäuft in Familien auf..