Behandlung: Wie werden Kinder mit einem schweren Immundefekt behandelt?
Autor: Prof. Dr. med. Volker Wahn, Julia Dobke,, Redaktion: Ingrid Grüneberg, Zuletzt geändert: 13.12.2017
Inhaltsverzeichnis
Wurde bei Ihrem Kind ein primärer Immundefekt festgestellt, so sollte es spätestens jetzt in einem spezialisierten Behandlungszentrum (ImmunDefektZentrum) vorgestellt werden. Dort findet eine Betreuung durch ein Behandlungsteam statt, das aus spezialisierten ärzten und Ärztinnen besteht. Ebenfalls gehören zu dem Team Kranken und Gesundheitspfleger(innen), Sozialarbeiter(innen), Physiotherapeuten(innen) und Psychologen(innen).
Auch können die Patienten, bei denen der primäre Immundefekt im Zusammenhang mit einer anderen Erkrankung steht, gleichzeitig von einem solchen Experten mit betreut werden. Regelmäßige Vorstellungen in so einem Zentrum sorgen dafür, dass der Krankheitsverlauf sorgfältig überwacht, Komplikationen frühzeitig erkannt und unmittelbar von Spezialisten behandelt werden.
Außerdem können Fragen zum Umgang mit dem kranken Kind, zu neuen Behandlungsmethoden und aktuellen Forschungsergebnissen fachgerecht beantwortet werden. Die Behandlungen für Kinder und Jugendliche mit einem primären Immundefekt haben zum Ziel, die Anzahl und Schwere von Infektionen zu verkleinern. Zu den Therapien, die derzeit bei primären Immundefekten eingesetzt werden, gehören:
- Gabe von Antibiotika, Antimykotika, Virostatika
- Gabe von Antikörpern (Immunglobulinen)
- Stammzelltransplantation (SZT)
- Gentherapie (im Moment noch experimentell)
- unterstützende Maßnahmen
Antibiotika, Antimykotika, Virustatika
Bei Infektionen ist die frühzeitige Behandlung mit Antibiotika angezeigt. Bei einer weniger schwerwiegenden Immunschwäche kann eine Antibiotikabehandlung als alleinige Therapie ausreichen. In manchen Fällen ist aber auch eine dauerhafte Einnahme von Antibiotika nötig, eine sogenannte Prophylaxe. Antivirale Medikamente schützen gegen manche Viren und auch Medikamente gegen Pilze (Antimykotika) werden bei bestimmten Erkrankungen vorsorglich eingesetzt.
Antikörperersatztherapie
Viele Kinder mit einem PID können aufgrund der fehlerhaften Abwehrzellen meist nicht genügend oder nicht die richtigen Antikörper (Immunglobuline) bilden, um gegen Infektionen ankämpfen zu können. Daher müssen diese Antikörper in Form einer Infusion ersetzt werden. Es ist möglich die Antikörper über die Vene (alle 4 Wochen) oder auch subkutan in das Unterhaufettgewebe (1x-2x/Woche) zu geben. Da die Antikörper nach einer gewissen Zeit im Körper abgebaut werden, müssen die Infusionen regelmäßig und meist lebenslang wiederholt werden.
Stammzelltransplantation (HSZT)
Die Durchführung einer Stammzelltransplantation ist inzwischen ein gut erprobtes Verfahren für Kinder mit verschiedenen besonders schweren Immundefekten. Hierzu gehören zum Beispiel:
- Schwere kombiniere Immundefekte (SCID)
- Wiskott-Aldrich-Syndrom
- Einzelne Varianten des Hyper-IgM-Syndroms
- Chediak-Higashi-Syndrom
- Septische Granulomatosen
Bevor eine hämatopoetische Stammzelltransplantation (HSZT) durchgeführt wird, muss erstens geklärt sein, ob sie überhaupt angezeigt (indiziert) ist und zweitens, welche Form der Stammzelltransplantation bei dem betroffenen Patienten in Frage kommt. Dabei reicht es manchmal aus, anders als z.B. bei Leukämien, den Empfänger der Stammzellen mit relativ milden immunsuppressiven Medikamenten vorzubereiten (Konditionierung). Der Stammzellspender sollte möglichst HLA-identisch sein, wobei Familien- und Fremdspender gleichwertig sind.
Für den Erfolg der Stammzelltransplantation spielt der Allgemeinzustand des Patienten vor HSZT eine wichtige Rolle. Kinder und Jugendliche, die bereits mit vorgeschädigten Organen in die Transplantation gehen, haben ein größeres Risiko, Komplikationen nach der Transplantation zu entwickeln.
Deswegen ist es bei einigen Patienten sinnvoll, eine HSZT möglichst früh zu planen, wenn der Allgemeinzustand entsprechend gut ist.
Fortschritte, die sowohl die herkömmlichen Behandlungsmöglichkeiten als auch die Transplantationsmedizin betreffen, werden diese schwierigen Fragestellungen stetig beeinflussen. Ob letztlich tatsächlich eine Stammzelltransplantation durchgeführt wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem von der Verfügbarkeit eines passenden Spenders und dem Allgemeinzustand des Patienten. Die behandelnden Ärzte berücksichtigen diese und weitere Bedingungen bei ihrer Entscheidung. Selbstverständlich müssen auch der einwilligungsfähige Patient und/oder seine Angehörigen mit der Behandlung einverstanden sein.
Gentherapie
Die Gentherapie hat zum Ziel, die fehlerhaften Gene der Abwehrzellen des Patienten gegen gesunde, funktionsfähige Gene auszutauschen. Hierfür werden dem Patienten die defekten Zellen des Knochenmarks entnommen und im Labor korrigiert. Als Vehikel für die gesunden Gene werden oft Viren verwendet, die dann die gesunden Gene in die Zelle einschleusen. Die reparierten Blutzellen des Patienten können nun noch vermehrt werden und dann in den Körper zurückgegeben werden.
Z.Zt. stellt dies jedoch noch eine experimentelle, keine etablierte Therapie dar, die Risiken sind noch erheblich. Es bleibt zu hoffen, dass durch die Forschung noch bessere Verfahren gefunden werden.
Unterstützende Maßnahmen
Die folgenden Maßnahmen helfen Kindern und Jugendlichen mit einer Immunschwäche und ihren Familien, Infektionen vorzubeugen und auch im Alltag so gut wie möglich mit der Erkrankung umzugehen. Allein durch unterstützende Maßnahmen kann allerdings keine Normalisierung des Immunsystems erzielt werden.
- Allgemein- und Mundhygiene: Regelmäßiges Händewaschen und sorgfältige Mundpflege (Zähneputzen, Mundausspülen mit bestimmten Lösungen) verringert das Risiko, an Infektionen zu erkranken. Zur erfolgreichen Mundhygiene gehören auch regelmäßige Besuche beim Zahnarzt.
- Impfungen: Patienten mit angeborenen Immundefekten sollten keine Lebendimpfstoffe erhalten wie zum Beispiel MMR (Masern, Mumps, Röteln) oder den oralen Polioimpfstoff (Kinderlähmung). Nur abgetötete Impfstoffe werden für Kinder mit angeborenen Immundefekten empfohlen. Geschwisterkinder sollten ebenfalls keine Lebendimpfstoffe erhalten, da sie einen lebenden Virus ausscheiden könnten.
- Routine-Vorsorgeuntersuchungen (U-Untersuchungen) beim Kinderarzt: Bei den zehn U-Untersuchungen und später bei der J1 überprüft der Kinderarzt die altersgerechte körperliche, geistige und auch emotionale Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen. Im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen finden auch die Impfungen statt. Kinder mit einer Immunschwäche sollten keine Lebendimpfstoffe erhalten. Die Ergebnisse der Vorsorgeuntersuchungen werden in das "Gelbe Heft" eingetragen, das den Eltern nach der Geburt ausgehändigt wurde. In diesem Heft ist eine Tasche, in der Sie den Impfpass des Kindes aufbewahren können. Das "Gelbe Heft" mit dem Impfpass sollten Sie zu jedem Arztbesuch mitnehmen.
- Temperaturüberwachung: Regelmäßiges Messen der Körpertemperatur trägt dazu bei, Infektionen möglichst früh zu erkennen und sie prompt zu behandeln. Bei Fieber von mehr als 38,5°C sollte sofort ein Arzt kontaktiert werden, da eine Infektion die Ursache dafür sein kann.
- Kommunikation mit dem Behandlungsteam: Es ist wichtig, die Kontaktdaten des Kinderarztes und der Klinik und des Behandlungsteams jederzeit verfügbar zu haben, um in Notfällen keine Zeit zu verlieren.
- Infektionsvorbeugung vor Auslandsreisen: Neben den von den Tropeninstituten etc. empfohlenen Maßnahmen zur Vorbeugung von Infektionen bei bestimmten Auslandsreisen müssen bei Kindern und Jugendlichen mit einem Immundefekt zusätzliche Vorkehrungen getroffen werden. Deshalb sollte eine Auslandsreise immer rechtzeitig mit dem Behandlungsteam abgesprochen werden. Nach Möglichkeit sollte auch eine Kontaktadresse für eventuelle fachgerechte medizinische Versorgung am Urlaubsort zur Verfügung stehen.