Allgemeine Krankheitszeichen bei unterschiedlichen Schweregraden der Hämophilie

Autor: PD Dr. med. G. Tallen, erstellt am: 10.01.2014, Zuletzt geändert: 01.04.2020

Gemäß der Definition der Internationalen Gesellschaft für Thrombose und Hämostase (isth) werden eine schwere, mittelschwere und eine milde Form der Hämophilie unterschieden. Diese Unterscheidung richtet sich nach dem Ausmaß des Mangels an den Gerinnungsfaktoren VIII (bei Patienten mit Hämophilie A) oder IX (bei Patienten mit Hämophilie B). Diese so genannte "Faktor-Restaktivität" lässt sich nach einer Blutentnahme im Blut des Patienten bestimmen und wird in Prozent angegeben. Der Normbereich in der gesunden Bevölkerung liegt zwischen 50 % und 150 %.

Die verschiedenen Schweregrade der Hämophilie sind jeweils durch die folgenden Restaktivitäten und gesundheitlichen Probleme gekennzeichnet:

Schwere Hämophilie

  • weniger als 2% Faktor-Restaktivität
  • häufig spontane, schmerzhafte Blutungen in Muskeln, Weichteilen und Gelenken (besonders in Knie-, Ellbogen u. Sprunggelenken)
  • Schmerzen und Behinderungen durch chronische Gelenkschäden
  • unbehandelt lebensbedrohliche Blutungen nach Verletzungen und im Rahmen von Operationen

Mittelschwere Hämophilie

  • Faktor-Restaktivität zwischen 2 % und 5 %
  • häufig schmerzhafte Blutungen nach Verletzungen
  • Gelenkblutungen hauptsächlich nach Verletzungen, weniger spontan und seltener als bei der schweren Form
  • weniger Langzeitschäden nach Gelenkblutungen
  • unbehandelt lebensbedrohliche Blutungen nach Verletzungen und im Rahmen von Operationen

Milde Hämophiie

  • Faktor-Restaktivität mehr als 5 % und weniger als 40 %
  • im Alltag langfristig meist keine gesundheitlichen Probleme
  • gelegentlich Gelenk-, Muskel- oder Weichteilblutungen nach Verletzungen
  • unbehandelt Risiko lebensbedrohlicher Blutungen nach Verletzungen und im Rahmen von Operationen

Hämophile mit der milden Form haben im Alltag häufig lange Zeit keine gesundheitlichen Probleme. Dadurch sind sie jedoch besonders gefährdet, weil sie oft erst durch schwere Blutungskomplikationen, mit denen bisher niemand gerechnet hat, auffällig werden. Die milde Hämophilie wird manchmal sogar erst im Erwachsenenalter entdeckt, beispielsweise durch Nachblutungen nach operativen Eingriffen oder Zahnsanierungen. Eltern von Kindern und Jugendlichen mit milder Hämophilie sollten wissen:

Das alltägliche Umfeld von Kindern und Jugendlichen mit milder Hämophilie (Kindergarten, Schule, Zahnarzt etc.) muss trotz der "pseudo-unauffälligen" Situation der Betroffenen über Vorliegen und Risiken der Erkrankung informiert sein, so dass eventuelle körperliche Beschwerden der Patienten im Hinblick auf eine drohende Blutung interpretiert und nicht unterschätzt oder verkannt werden.

Frauen, die das defekte X-Chromosom tragen (Überträgerinnen, Carrier), haben häufig einen Faktorspiegel unter 40 % und sind ebenso blutungsgefährdet. Sie fallen häufig durch verlängerte oder verstärkte Regelblutungen auf und sind ebenfalls Patienten mit milder Hämophilie.